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BAG: Welchen Beweiswert hat AU-Bescheinigung aus Nicht-EU-Ausland?

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Geht es um die Glaubwürdigkeit und den Beweiswert einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so gelten nach einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) „die gleichen Grundsätze“ wie bei einem in Deutschland ausgestellten Krankenschein. Nötig ist demnach im Zweifelsfall immer eine „Gesamtbetrachtung des zu würdigenden Einzelfalls“ (BAG, Urteil vom 15. Januar 2025, Az. 5 AZR 284/24).

Im Zentrum des Prozess stand die Frage, ob eine AU-Bescheinigung aus einem Nicht-EU-Ausland glaubwürdig und Lohnfortzahlung fällig ist, wenn der zu strenger Bettruhe verordnete Krankgeschriebene noch während dieser Zeit mit einer Autofähre von Tunis nach Genua übersetzt und von Genua aus mit seinem Auto weiter nach Deutschland fährt?

Vorgelegt hatte den Krankenschein ein Lagerarbeiter, der seit 2002 bei der Beklagten beschäftigt ist. Sein Bruttoverdienst beträgt durchschnittlich 3.612,94 Euro. Der Mann hatte seinen Urlaub vom 22. August bis zum 9. September 2022 in Tunesien verbracht. Am 7. September informierte er seinen Arbeitgeber per E-Mail von einer Krankschreibung bis zum 30. September 2022. Ein Attest, ausgestellt in Französisch, wurde ebenfalls gemailt.

Darin bescheinigte der behandelnde Arzt dem Patienten, an „schweren Ischialbeschwerden“ im engen Lendenwirbelsäulenkanal zu leiden, heißt es in einer Mitteilung des BAG. Der Erkrankte benötige deshalb 24 Tage strenge häusliche Ruhe. Er dürfe sich während der Zeit bis zum 30. September 2022 auch nicht bewegen. Entsprechend sei der Mann nicht reisefähig.

Streit um Entgeltfortzahlung

Doch bereits am 08. September 2022 – einen Tag nach seinem Arztbesuch – buchte der Kläger für den 29. September 2022 ein Ticket für die Autofähre von Tunis nach Genua. Er reiste an diesem Tag auch wie geplant und fuhr ab Genua nach Deutschland mit seinem Pkw weiter. Mit Datum vom 04. Oktober 2022 legte der spätere Kläger dann „Erstbescheinigung eines deutschen Arztes“ vor, die ihm Arbeitsunfähigkeit bis zum 08. Oktober 2022 bescheinigte.

Das Unternehmen teilte dem Mann unterdessen mit, dass das vermeintliche Attest vom 07.09. aus ihrer Sicht keine gültige AU sei. Daraufhin legte der Arbeiter eine weitere Bescheinigung des tunesischen Arztes vor. Der bescheinigte erneut seine Untersuchung vom September und verwies nochmals auf „eine beidseitige Lumboischialgie, die eine Ruhepause mit Arbeitsunfähigkeit und Reiseverbot für 24 Tage“ erforderlich gemacht habe.

Dennoch lehnte der Arbeitgeber die geforderte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab und kürzte die Vergütung des Beschäftigten für September um 1.583,02 Euro. Diesen Betrag klagte der Lagerist daraufhin ein. Das Arbeitsgericht wies die Klage jedoch zunächst ab, das Landesarbeitsgericht München (LAG) wiederum verurteilte die Beklagte zur Zahlung.

AU-Bescheinigung glaubwürdig? Es kommt darauf an!

Mit seiner Revision hatte der Arbeitgeber dann aber Erfolg: Das BAG folgte dem LAG zwar dahingehend, dass eine AU-Bescheinigung aus einem Nicht-EU-Land grundsätzlich den „gleichen Beweiswert“ hat, wie eine hierzulande ausgestellte Bescheinigung, wenn erkennbar ist, dass der ausstellende Arzt eine Erkrankung von einer mit einer Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung unterscheiden kann. Allerdings vermissten die Richterinnen und Richter bei der Würdigung der vom Unternehmen vorgetragenen Aspekte eine Gesamtbetrachtung. Es seien nur Einzelbetrachtungen erfolgt.

Der Fünfte Senat verwies zudem darauf, dass der tunesische Arzt keine Wiedervorstellung am Ende der Arbeitsunfähigkeit angeordnet habe. Auch habe der Kläger trotz des Verbots sich zu bewegen und zu reisen, ein Fährticket für den 29. September gebucht und an diesem Tag die lange Rückreise nach Deutschland auch tatsächlich angetreten. Außerdem habe der Beschäftigte „bereits in den Jahren 2017 bis 2020 dreimal unmittelbar nach seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt“.

Aus Sicht der höchsten Arbeitsrichter begründen diese Gegebenheiten in summa „ernsthafte Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen“. Daraus folge, „dass nunmehr der Kläger die volle Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG trägt“.

Zur neuen Verhandlung und Entscheidung wurde die Sache deshalb an das LAG zurückverwiesen.

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Hinweis: Dieser Beitrag erschien zuerst auf unserem Schwesterportal BetriebsratsPraxis24.