Frage an die HR-Werkstatt: Wieso sollten Unternehmen das Hinweisgeberschutzgesetz als Chance sehen und was müssen sie dafür tun?
Es antwortet: Bernd Vermaaten, Geschäftsführer der solute GmbH.
Einer neuen Studie zufolge greifen bereits 85 Prozent aller europäischen Unternehmen auf Whistleblowing-Systeme zurück. Die Motivation: die Erfüllung von gesetzlichen Anforderungen. Doch die technische Umsetzung des Whistleblower-Gesetzes in Unternehmen allein reicht noch nicht aus, dass Mitarbeiter diese Option wahrnehmen, auf Missstände aufmerksam zu machen. Dazu muss Whistleblowing in der Unternehmenskultur verankert werden.
Whistleblowing kein neues Phänomen
Whistleblowing heißt, vertrauliche oder geheime Informationen über illegale, unmoralische oder unethische Praktiken in einer Organisation, eines Unternehmens oder einer Regierung zu veröffentlichen. Zugleich ist der Akt des Veröffentlichens oft mit Risiken und negativen Konsequenzen für den Whistleblower verbunden. Ein in diesem Zusammenhang prominentes Beispiel ist Edward Snowden. 2013 publizierte er streng geheime Dokumente der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) und markierte damit den Beginn einer globalen Debatte zur Rechtmäßigkeit der Überwachung von Privatpersonen durch staatliche Organe, Institutionen und Behörden sowie den Datenschutz.
Gesichertes Whistleblowing durch das Hinweisgeberschutzgesetz
Hinweisgeber haben einen nicht immer guten Ruf, dabei können sie einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Fortschritten leisten. Ähnliches ließ sich auch im Fall Snowden beobachten – bis heute. Am 2. Juli 2023, zehn Jahre nach Edward Snowdens Enthüllungen, trat in Deutschland schließlich das Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) in Kraft. Das Gesetz regelt den Schutz von hinweisgebenden Personen im beruflichen Kontext.
Ab dem 1. Dezember 2023 gilt nun auch der HinschG-Bußgeldkatalog für Unternehmen ab einer Größe von 250 Mitarbeitenden, ab dem 17. Dezember für kleinere Betriebe mit 50 bis 249 Beschäftigten. Unternehmen drohen empfindliche Geldstrafen, wenn sie bis dahin keine dauerhaften Meldestrukturen installieren. Betriebe mit weniger als 49 Mitarbeitern bleiben von dieser Regelung ausgeschlossen. Das HinSchG gilt aber auch für sie. Nur sind sich viele nicht der Vorteile dieses Gesetzes für die Unternehmenskultur bewusst und zögern mit der Implementierung.
Whistleblowing erfordert neue Unternehmenskultur
Allerdings bietet das HinschG Unternehmen auch vielfältige Chance und sollte nicht als Gefahr für den Unternehmensfrieden gesehen werden. Das erfordert jedoch eine fundamentale Änderung der Unternehmenskultur. Es braucht menschliche und ethische Antworten auf Fragen, die sich HR-Verantwortliche im Zusammenhang mit Whistleblowing oft noch nicht gestellt haben.
Dazu ist eine Diskussion mit der Unternehmensleitung und über alle hierarchischen Ebenen hinweg erforderlich, wie ein Unternehmen mit Fehlern umgeht. Ziel ist es, dass Mitarbeiter der Unternehmensführung als auch den Kollegen vertrauen: Vertrauen entsteht in einem Klima der Angstfreiheit.
Führungskräfte kommt hier eine Vorbildfunktion für ihre Mitarbeiter zu, da sie essenziell für die Gewährleistung einer transparenten Unternehmenskultur sind. Besteht Vertrauen über alle Ebenen hinweg, können kritische Themen angesprochen und aufgearbeitet werden.
Whistleblowing wertet Arbeitgebermarke auf
Mehr noch: Whistleblowing wirkt sich fundamental auf die Arbeitgebermarke aus. Denn eine gelebte Whistleblowing-Kultur, in der auch sensible Themen nachweislich ohne Angst vor negativen Konsequenzen angesprochen werden können, verleiht einer Arbeitgebermarke ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit.
Dies zahlt sich aus, etwa dann, wenn Talente auf Arbeitssuche sind und zunehmend Arbeitgeberportale dabei zurate ziehen und Bewertungen konsultieren. Gerade Nachwuchskräfte orientieren sich verstärkt danach, inwieweit Unternehmen heute moderne ESG-Rahmenbedingungen (Environment, Social, Governance) erfüllen – und dazu zählt auch eine gelebte Whistleblowing-Kultur. In Zeiten des Fachkräftemangels kann sie zum entscheidenden Puzzlestück werden, das einer Arbeitgebermarke im Wettbewerb um die besten Köpfe noch fehlt.
Meldeprozesse einrichten und Mitarbeiter zur Nutzung ermutigen
Unternehmen sollten das HinSchG daher nicht als Hindernis, sondern als eine Chance begreifen. Es fördert die Transparenz, stärkt das Vertrauen von Stakeholdern und verbessert gleichzeitig die Qualität des Arbeitsumfelds, indem es den Mitarbeitern Schutz und die Möglichkeit zur Meldung von Missständen bietet. Daher sollten Unternehmen diese Möglichkeit nutzen, um notwendige Meldestrukturen einzurichten und aktiv auf ihre Mitarbeiter zuzugehen, beispielsweise durch entsprechende aufklärende Meetings im Vorfeld zu der Einführung von Meldesystemen.
Entweder externes Drittsystem oder eigene Software
Die technische Umsetzung des HinSchG in Unternehmen kann binnen kurzer Zeit durch automatisierte Meldefallsysteme erfolgen. Dies gelingt entweder durch einen externen Dienstleister, auf dessen Systeme Unternehmen dann zugreifen. Die zweite Möglichkeit stellen Softwaresysteme dar, die Unternehmen vollständig erwerben und in ihren Tech-Stack integrieren. Beide Systeme fungieren als digitale Stimme für Hinweisgeber und müssen qua Gesetz stets auch die Einhaltung von DSGVO-Standards sicherstellen.
Fazit: Transparenz verdient Respekt!
Dauerhaft installierte Melderoutinen erhöhen die Transparenz und stärken sowohl auf Kunden- als auch auf Mitarbeiterseite das Vertrauen in Unternehmen. Daher gilt es, Whistleblower entsprechend zu schützen. Dazu ist allerdings auch die kulturelle Verankerung des Whistleblowings in der Unternehmens-DNA erforderlich. Hier sind die Führungskräfte gefragt. Denn fest steht: Transparenz verdient Respekt.
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