Wer sich krankschreiben lassen möchte, geht zur Arztpraxis und erhält eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU). Inzwischen gibt es alternativ die Möglichkeit der telefonischen Krankschreibung. Doch lediglich einen Online-Fragebogen auszufüllen, ohne je einen Arzt gesprochen zu haben – das geht nicht und kann sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen.
Das musste kürzlich ein IT-Consultant aus dem Ruhrgebiet erfahren, der sich im August 2024 krankgemeldet hatte. Seine AU über eine Dauer von mehreren Tagen bekam der Mann dabei allerdings nicht von einer Arztpraxis, sondern über ein Internetportal, das Krankschreibungen gegen Gebühr anbietet. Dort hatte der Arbeitnehmer in einem Online-Fragbogen als Beschwerden „Unwohlsein, trockener Husten, Gliederweh und Rückenweh“ angeben und eingetragen, dass er Schmerzmittel, Hustenlöser, homöopathische Präparate gegen Verspannung und andere Arzneien einnehme. Direkten Kontakt zu Arzt oder Ärztin hatte er jedoch nicht – weder telefonisch noch online.
Dennoch bekam er kurz darauf eine digitale „Bescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit“ zugeschickt. Die erinnerte optisch stark an die früher gebräuchlichen gelben Vordrucke AU der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und trug auch den seinerzeit üblichen Aufdruck „Muster 1b (1.2018)“. Als Angabe im Feld „Vertragsarztstempel / Unterschrift des Arztes“ stand dort lediglich „[Name] Privatarzt per Telemedizin“ sowie eine WhatsApp- und E-Mail-Adresse.
HR wird misstrauisch, handelt und scheitert erstinstanzlich
Nachdem der Consultant das PDF-Dokument in einem firmeneigenen Meldesystem hochgeladen und nach Ende der Krankschreibung wieder seine Arbeit aufgenommen hatte, eskalierte die Situation: Zunächst kam in der Personalabteilung der Verdacht auf, es könne sich bei dem Dokument um eine Fälschung handeln. Zudem ließ sich über den Datenaustausch mit der Krankenkasse keine elektronische AU zu abrufen. Als dann Gespräche mit verschiedenen Beteiligten keine Lösung brachten, kündigte das Unternehmen dem Beschäftigten am 18. September außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.
Dagegen legte der Mann Kündigungsschutzklage ein und bekam zunächst vor dem Arbeitsgericht Dortmund recht. Das entschied, es gebe keinen – gemäß § 626 Abs. 1 BGB erforderlichen – wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung. Zwar sei der Beweiswert des vermeintlichen Attestes erschüttert und der Kläger habe gegen seine Pflicht verstoßen, „einen ordnungsgemäßen und korrekten Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit vorzulegen“. Das habe er aber nicht durch „aktives Verhalten“ getan, weshalb eine Abmahnung als milderes Mittel ausreichend sei und auch die ordentliche Kündigung unwirksam.
LAG: Kündigung wegen Vertrauensbruch wirksam
Im Berufungsverfahren folgte das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm dann aber der Rechtsauffassung des Arbeitgebers und wies die Kündigungsschutzklage ab. In ihrer Begründung verwies die Kammer vor allem darauf, das Verhalten des IT-Consultants sei keineswegs eine Lappalie, sondern rechtfertige durchaus einen fristlosen Rauswurf.
Die Richterinnen und Richter wörtlich:
„Durch die Vorlage der Bescheinigung vom 21. August 2024 zum Nachweis seiner Arbeitsunfähigkeit suggerierte der Kläger der Beklagten bewusst wahrheitswidrig, es habe zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein Kontakt mit einem Arzt stattgefunden. Dies stellt eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) dar, die aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruches als „an sich“ wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist.“
Konkret stieß sich das LAG dabei an folgenden Punkten: Die Bescheinigung erwecke „für einen unbefangenen Dritten den Eindruck, es handele sich um eine ärztliche Bescheinigung, die aufgrund eines ärztlichen Kontakts zustande gekommen sei“. Auch werde darin von „Fernuntersuchung“ gesprochen. Dem Angestellten sei allerdings bewusst gewesen, dass genau das aber nicht stimmte, sondern er lediglich online Fragen ausgefüllt hatte.
Beweiswerthinweis ignoriert, AU erschlichen
Ferner – und das komme erschwerend hinzu – werde auf der Website „unmissverständlich“ darauf hingewiesen, dass es sich bei dem gewählten Service „um eine gegen Gebühr erworbene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung handelt, die nicht nach den allgemeinen medizinischen Grundregeln zustande gekommen ist“.
Dort heiße es, um einen teureren Service mit Konsultation anzubieten: „Unsere AU OHNE Arztgespräch hat im Streitfall vor Gericht geringeren Beweiswert als unsere AU MIT Arztgespräch.” Insofern habe sich der Mann letztlich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen.
Entsprechend sei es auch „unerheblich“, ob der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig war. Ausschlaggebend sei der Vertrauensverlust. Daher bedürfe es auch keiner Abmahnung. Die Kammer verweist in diesem Kontext auf ein Urteil des Bundearbeitsgerichts zur Vorlage einer Corona-Impfunfähigkeitsbescheinigung, die ohne ärztliche Untersuchung erstellt wurde (BAG, Urteil vom 14. Dezember 2023, Az. 2 AZR 55/23 – Rn. 16). In diesem Fall beurteilte das Gericht eine Abmahnung aber als zulässiges Mittel, und keine Kündigung, da es auch nicht um eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ging.
Fazit: Die fristlose Kündigung hat Bestand, Revision wurde nicht zugelassen.
LAG Hamm, Urteil vom 5. September 2025, Az. 14 SLa 145/25.
Hinweis der Redaktion: Nach Untersuchungen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) gibt es empirisch „keine missbräuchliche Nutzung der telefonischen Krankmeldung“. Zudem seien im Bereich der Ortskrankenkassen 2024 rein rechnerisch nur „1,5 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitsfälle wegen Atemwegserkrankungen telefonisch veranlasst“. Der vorliegende Fall zeigt jedoch, dass bei Beschwerden der Weg über Online-Portale – unabhängig vom tatsächlichen Gesundheitszustand – Gefahren für Beschäftigte mit sich bringt (wir berichteten).
Info
Diese Regeln gelten für (echte) telefonische Krankschreibungen:
Laut Bundesregierung sind telefonische Krankschreibungen von in Deutschland niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten bei leichten Erkrankungen – etwa einem grippalen Infekt – auch nach dem Abflauen von Corona weiterhin möglich. Voraussetzung: Die Patientin oder der Patient ist in der betreffenden Praxis bereits persönlich bekannt. Auch Eltern können sich bei Krankheit ihres Kindes auf diesem Weg eine ärztliche Bescheinigung ausstellen lassen.
Wer aufgrund einer leichten Erkrankung arbeitsunfähig ist, kann sich für bis zu fünf Kalendertage telefonisch krankschreiben lassen. Die Ärztin oder der Arzt erkundigt sich im Telefonat nach Symptomen, Krankheitsverlauf und eventuellen Vorerkrankungen und entscheidet dann, ob eine telefonische Krankschreibung ausreicht oder ob eine Untersuchung in der Praxis erforderlich ist.
Wichtig: Eine auf diesem Weg ausgestellte AU kann nicht erneut telefonisch verlängert werden. Für eine Folgebescheinigung ist ein Praxisbesuch nötig. Anders sieht es aus, wenn die erste Krankschreibung im Rahmen eines Praxisbesuchs erfolgte: In diesem Fall ist eine Verlängerung per Telefon möglich. Wurde die elektronische Gesundheitskarte im laufenden Quartal noch nicht in der Praxis eingelesen, muss dies nach überstandener Erkrankung nachgeholt werden.
Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem verantwortlich weitere Projekte von Medienmarken der F.A.Z. Business Media GmbH.

