Für manchen Personaler ein Traum, für andere blanker Horror: intelligente Software, die hunderte Kandidaten-CVs in Sekunden sichtet und bewertet. Funktioniert das? Und wie brauchbar sind die Ergebnisse? Eine aktuelle Studie hat ein Tool unter die Lupe genommen.
Ein wichtiger Trend im heutigen Recruiting ist die autonome Personalvorauswahl mit algorithmenbasierter Software. Diese Software hat die Funktion, Bewerbungsunterlagen zu lesen und zu interpretieren. Sie soll den Recruiting-Prozess effizienter und schneller gestalten.
Der idealtypische Recruiting-Prozess lässt sich heutzutage wie in Abbildung 1 darstellen. Im ersten Schritt werden potenzielle Bewerber nach den Anforderungen einer Stelle identifiziert und angesprochen. Daraufhin gehen Bewerbungen beim ausschreibenden Unternehmen ein. Diese werden von Recruitern gelesen, und Kandidaten werden vorausgewählt. Das ausschreiben- de Unternehmen tritt mit interessanten Bewerbern in Kontakt und gibt ihnen die Möglichkeit, am weiteren Auswahlprozess – zum Beispiel an einem Assessment oder einem persönlichen Interview – teilzunehmen. Auf Basis der weiteren Schritte wird die finale Entscheidung, wem die Stelle angeboten wird, gefällt.
In dem oben beschriebenen Prozess erfolgt die Vorauswahl durch menschliche Recruiter. Die menschliche Personalvorauswahl weist jedoch zwei wesentliche Schwächen auf: Sie ist zeitaufwendig und es mangelt ihr an Objektivität.
Hoher Aufwand: Das Lesen der Bewerberunterlagen ist mit einem sehr hohen Zeitaufwand verbunden. Durch die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Reichweite von Stellenausschreibungen kann pro offene Vakanz eine Vielzahl an Bewerbungen eingehen. Zudem besagt die Anwerbungsertragspyramide von Muchinsky eine Relation von Erstkontakt zu Neueinstellung von 1:50. Das heißt, dass es für eine zu besetzende Position rund 50 zu sichtende Bewerbungen gibt. Im Rahmen der Studie „Recruiting Trends 2017“ gaben rund 90 Prozent der befragten Recruiter an, dass sie bis zu 15 Minuten mit der ersten Sichtung der Bewerbungs- unterlagen verbringen. Damit fallen allein für die Sichtung der Bewerbungen etwa 1,5 Personentage an.
Mangelnde Objektivität: Die zweite Schwachstelle ist die Objektivität des Menschen als Beurteiler, die durch viele Aspekte, wie zum Beispiel den Namen des Bewerbers, die Herkunft oder das Lichtbild, eingeschränkt wird. Bereits vor über zwanzig Jahren haben Studien die Auswirkungen des Lichtbilds auf Lebensläufen auf Beurteiler untersucht und festgestellt, dass weniger attraktive Frauen unabhängig von ihrer Berufserfahrung als weniger geeignet eingeschätzt werden. Aktuellere Untersuchungen haben gezeigt, dass Bewerbungen mit Deutsch klingenden Namen gegenüber Bewerbungen mit Namen türkischen Ursprungs bevorzugt werden und dass die Objektivität von weiteren Faktoren – wie zum Beispiel vom Alter oder auch vom mutmaßlichen Körpergewicht des Bewerbers – beeinflusst wird.
Theoretisch kann eine autonome Personalvorauswahl beide Schwächen kompensieren: Sie urteilt zugleich schneller und nüchterner als ein Personaler.
Forschungsfrage
Die autonome Personalvorauswahl hat also das Potenzial, Rekrutierungsprozesse wirtschaftlicher zu gestalten. Ihr Einsatz nützt allerdings nur dann, wenn sie zumindest zu ähnlich brauchbaren Ergebnissen wie menschliche Recruiter kommt. Erste Befunde einer griechischen Forschungsgruppe deuten darauf hin, dass die Urteile von Algorithmen durchaus in der Lage sind, menschliche Urteile zu imitieren.
Die hier nun vorliegende Studie hat anhand einer Stich- probe von deutschsprachigen Recruitern und Bewerbern untersucht, ob die autonome Personalvorauswahl zu gleichen Ergebnissen wie menschliche Recruiter kommt. Der Mensch wird hier als Referenzwert herangezogen, weil er diese Aufgabe im heutigen Arbeitsall- tag erfüllt. Die Ergebnisse von autonomer Personalauswahl sollen demnach in dieser Studie mit den Auswahlergebnissen menschlicher Recruiter verglichen werden. Dies wird mithilfe der Software „E-Recruiting by Log On“ untersucht.
Methode
Für diese Studie konnten 242 Personaler (50,8 Prozent weiblich) über E-Mail-Anfragen und Social-Media- Kanäle gewonnen werden. Das Alter der Personaler lag zwischen 20 und 62 Jahren (Mittelwert: 36,7 Jahre). Hauptberuflich als Recruiter tätig waren 59,5 Prozent der Befragten. Weitere 30,6 Prozent gaben an, Recruiting-Aufgaben neben anderen Tätigkeiten auszuüben. Die Befragten bewerteten 189 anonymisierte und neutralisierte Lebensläufe. Jeder Recruiter bewertete dabei im Durchschnitt circa fünf Lebensläufe. Jeder Lebenslauf wurde damit durchschnittlich von 6,47 Recruitern bewertet.
Die Untersuchung erfolgte über ein Online-Bewertungstool. Jedem Teilnehmer wurden zufällig Lebensläufe zugeteilt, die anhand von zwölf Kriterien bewertet werden sollten. Jedes Kriterium wurde auf einer Skala von 1 bis 4 abgebildet. Die Punkte der Skala wurden ebenfalls über Beschreibungen konkret definiert. Um ein Beispiel zu geben, lautete für das erste Kriterium „Führung“ die Skalenbeschriftung wie folgt:
- „Der Kandidat hat keine Führungsverantwortung innegehabt“
- „Der Kandidat hat vereinzelt Führungserfahrung, zum Beispiel durch Mentoring gesammelt.“
- „Der Kandidat hat bereits die Führungsverantwortung für ein Team übernommen.“
- „Der Kandidat hat strategische Verantwortung/Managementerfahrung.“
Die ermittelten Bewertungen wurden mit dem Ergebnis der Bewertung durch das Softwaretool verglichen.
Ergebnisse und Interpretation
Abbildung 2 zeigt die Ergebnisse der Studie. In der ersten Spalte sind die Korrelationen zwischen der Beurteilung des Tools und der menschlichen Recruiter dargestellt. Es ergaben sich statistisch bedeutsame positive Korrelationen für alle Kriterien, die allerdings zwischen von sehr hohen Korrelationen von 0,70 für das Kriterium „Führung“ bis zu niedrigen Korrelationen von 0,24 für das Kriterium „Verantwortungsbewusstsein“ reichen. Im Mittel liegen die Korrelationen bei 0,40, was, wie Cohen (1988) beschrieben hat, als mittlere Korrelation zu bewerten ist.
In der zweiten Spalte sind die Übereinstimmungen der menschlichen Beurteiler als Korrelationskoeffizienten geschätzt. Diese Übereinstimmungen liegen zwischen 0,16 und 0,82. Hier zeigen sich unter den Recruitern eindeutige Inkonsistenzen in der Beurteilung. Ebenso wird deutlich, dass die Korrelationen zwischen maschinellem Urteil und dem Urteil der Recruiter mit den Schätzungen der Beurteilerübereinstimmung korrespondieren. Will heißen: Wenn sich die menschlichen Personaler nicht einig sind, kommt auch keine hohe Korrelation mit dem Urteil der Maschine zustande.
In der letzten Spalte sind die Korrelationen zwischen Tool und menschlichen Recruitern für die mangelnde Übereinstimmung rechnerisch korrigiert. Der Median der Korrelationen in dieser Spalte liegt bei 0,61, was nach Cohen als hohe Korrelation zu bewerten ist. Die Ergebnisse zeigen, dass die autonome Personalauswahl zu vergleichbaren Ergebnissen wie der Mensch kommt.
Zusammenfassung und Empfehlungen
Die autonome Personalvorauswahl kann, das zeigt die Studie, zu Ergebnissen gelangen, die der menschlichen Vorauswahl ähnlich sind. Dadurch könnte sie durchaus als Lösung dienen, die Wirtschaftlichkeit des Vorauswahlverfahrens zu verbessern. Die teilweise sehr niedrigen Übereinstimmungen unter den menschlichen Urteilen deuten auf die eingeschränkte Objektivität des Menschen als Beurteiler hin.
Insofern ist in weiteren Studien zu klären, ob die autonome Personalvorauswahl gar der menschlichen Personalvorauswahl überlegen ist. Hierzu müssen Längsschnittstudien durchgeführt werden, um die Ergebnisse der autonomen Personalvorauswahl mit Kriterien des Berufserfolgs in Beziehung zu setzen. Mit möglichen noch unbekannten Schwachstellen autonomer Personalvorauswahl muss sich ebenfalls auseinandergesetzt werden, genauso wie mit Bewerberreaktionen auf autonome Personalvorauswahlmethoden.
In Zeiten der Digitalisierung ist die autonome Personalvorauswahl ein wichtiger technologischer Trend, mit dem sich Arbeitgeber vertraut machen sollten. Die automatisierte Personalvorauswahl kann HR Arbeit abnehmen und Vorschläge unterbreiten. Die finale Entscheidung über die Akzeptanz oder Ablehnung von Bewerbern sollte aber weiterhin beim Menschen liegen – allein schon aus ethischen Gründen.
Studie kompakt |
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Forschungsfrage: Autonomes Matching von Bewerber und Job gilt als Zukunftstool im Bereich der Personalauswahl. Aber was kann es wirklich? Wie sehr korrelieren die Einschätzungen menschlicher Recruiter mit denen eines spezialisierten Softwaretools? |
Forschungsansatz: Empirisch. 242 Personaler bewerteten 189 anonymisierte und neutralisierte Lebensläufe. Jeder Recruiter bewertete dabei im Durchschnitt circa fünf Lebensläufe. Die Ergebnisse der Recruiter wurden kumuliert und abgeglichen mit den Ergebnissen der Matching-Software „E-Recruiting by Log On“. |
Ergebnisse: Die autonome Personalvorauswahl gelangt zu Ergebnissen, die der menschlichen Vorauswahl ähnlich sind. Die Bewertungen der menschlichen Recruiter ergeben höhere Streuungen bei der Beurteilung der CVs als das Tool. Wenn sich die Personaler in ihrer Bewertung des CVs nicht einig sind, kommt auch keine hohe Korrelation mit dem Urteil der Maschine zustande. |
Autoren:
Laura Schlegel, Absolventin der Wirtschaftspsychologie, FH Westküste, Heide
Prof. Dr. Tim Warszta, Institutsleiter, Westküsteninstitut für Personalmanagement (WinHR), FH Westküste, Heide, warszta@fh-westkueste.de
Dr. Peter Kolb, Geschäftsführer, LogOn Consulting GmbH, Buxheim, Peter.Kolb@logon-consulting.de
Dieser Beitrag stammt aus der Personalwirtschaft 10/2017.