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Blue- und White-Collar: Wir kreieren eine fatale Zweiklassengesellschaft

New Work ist in aller Munde. Verstärkt wurde dies durch die Corona-Krise. Angestellte arbeiten zu einem großen Teil mit dem Notebook ausgestattet zu Hause. Sie können sich ihre Arbeitszeit selbst einteilen und eine optimale Work-Life-Integration gestalten. Schöner gestaltet werden auch ihre Büros, die nun aus bequemen Sitzecken, bunten Farben, Entspannungs- und Entertainment-Elementen bestehen. Die Arbeitsbedingungen für White-Collar-Mitarbeitende haben sich enorm verbessert.

Sie profitieren von den New Work-Grundpfeilern und können freier, selbstständiger und gemeinschaftlicher arbeiten. Etwas, wovon ihre Kolleginnen und Kollegen im Blue-Collar-Bereich vielerorts nur träumen. Dieses Ungleichgewicht ist problematisch, denn es kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass sich in Unternehmen eine Zweiklassengesellschaft bildet, die zu (berechtigten) Unruhen führen kann.

Die übersehenen Blue-Collar-Mitarbeitenden

Sowohl Schichtarbeitende in der Industrie als auch Mitarbeitende von Handwerks- sowie Sozialberufen werden bei der New-Work-Transformation oftmals außen vor gelassen. Ein Dachdecker oder eine Elektrikerin kann nun mal nicht von Zuhause aus arbeiten und er oder sie kann die eigenen Arbeitszeiten nicht wie White-Collar-Mitarbeitende selbst wählen. Eine Krankenschwester kann das ebenfalls nicht, da die Gesundheit des Patienten oberste Priorität hat und nicht die Ausweitung ihrer Freiheitsgrade bei der Arbeit.

In der deutschen Industrie arbeiteten 2019 fast 16 Prozent der Menschen in Schichtarbeit oder anders gesagt: mehr als sechs Millionen Menschen. Jeder sechste Arbeitnehmer ist oft auch besonders früh, besonders spät oder gar komplett nachts tätig.

Diese Mitarbeitenden kommen kaum in den Genuss von New Work. Das ist fatal. Die Mitarbeitenden fühlen sich zurückgesetzt und nicht wertgeschätzt. Dabei leisten sie einen wertvollen Beitrag zum Erfolg der deutschen Wirtschaft. Sie sind es, die zum Beispiel unseren Maschinen- und Automobilbau von hoher Qualität so erfolgreich machen. Durch sie ist Deutschland zu einem der weltweit besten Hersteller dieser Produkte geworden. Dadurch genießen wir einen Wohlstand, der in dieser Form in der Welt nicht häufig ist.  Wenn Deutschlands Wirtschaft nur aus White-Collar-Mitarbeitenden bestehen würde, wäre sie nicht so erfolgreich.

Daher müssen Mitarbeitende in der Industrie und Produktion eine höhere Wertschätzung erfahren, indem Arbeitgeber in ihren Bereichen ebenfalls verstärkt New Work einführen. Das kann folgendermaßen geschehen:

  1. Eigenständige Gestaltung von Arbeitszeitflexibilität ermöglichen
    Die klassischen Schichtzeiten 6 bis 14, 14 bis 22 und 22 bis 6 Uhr sollten variabler und mit größeren persönlichen Freiheitsgraden genutzt werden. Wenn jemand zum Beispiel eine Stunde eher aus privaten Gründen in der Frühschicht gehen will, sollte er oder sie die Möglichkeiten erhalten, eine Kollegin oder einen Kollegen seiner Schicht oder der späteren Schicht anzusprechen, damit diese Person für sie oder ihn einspringt, um den Fortlauf der Produktion zu gewährleisten. In naher Zukunft kann das andersherum erfolgen, damit ein gerechter Arbeitszeitausgleich für die einspringende Person erfolgt.
  • Rückzugsräume anbieten
    Unternehmen sollten Rückzugsräume in der Produktion schaffen, in denen die Blue-Collar-Mitarbeitende beispielsweise über neue Lösungen in ihrem Produktionsprozess diskutieren können, um ihn zu optimieren. Dadurch kann auch wie bei den Angestellten mehr Kreativität freigesetzt werden. Solche Räumlichkeiten können zusätzlich wie bei Open Space zur Entspannung genutzt werden. Warum kann hier nicht auch ein Kicker stehen? Für wichtige private Telefonate können kleine Kabine wie beim Open Space zur Verfügung gestellt werden.
  • Raumgestaltung optimieren
    Ich habe Produktionshallen immer in Grau erlebt. Sie sollten farbenfroher werden, wie es mittlerweile auch Wände und Einrichtung von Büroräumen sind. Farben beeinflussen auch die Stimmung von Menschen. Die Erkenntnisse der Farbpsychologie sollte man auch in den Gebäuden von Schichtbetrieben nutzen.
  • Anerkennung ausdrücken
    Die Geschäftsleitung eines Unternehmens sollte die Wertschätzung der Blue-Collar-Mitarbeitenden mehr in den Fokus rücken. Sie sollte häufiger betonen, wie wichtig diese Mitarbeitenden für den Erfolg des Unternehmens sind. Vor allem sollten ihre Bedürfnisse mehr Aufmerksamkeit erhalten. Aus diesem Grund habe ich zusammen mit Great Place to Work eine neue Industriekategorie geschaffen. Viele Befragungssysteme für Mitarbeitende richten sich auf White-Collar-Mitarbeitende aus. In der neuen Industriekategorie wurden speziell Fragen formuliert, die für Mitarbeitende der Produktion, Logistik et cetera relevant sind. Durch diese Befragungsmethode sollen Führungskräfte und Geschäftsleitung die Möglichkeit erhalten, die speziellen Bedürfnisse dieser Mitarbeitenden zu erfahren und darauf gezielt einzugehen.

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Natürlich können Mitarbeitende von Schichtbetrieben nie wie Angestellte vollkommen im Homeoffice arbeiten. Aber Arbeitgeber können durch die geschilderten Maßnahmen dafür sorgen, dass Blue-Collar-Mitarbeitende ansatzweise so ausgeprägt im New-Work-Stil ihrer Tätigkeit nachgehen, wie es Angestellte tun. Es ist auch denkbar, seine White-Collar-Mitarbeitenden dazu zu ermutigen, aus Solidarität zu den Kolleginnen und Kollegen aus dem Blue-Collar-Bereich weniger oft im Homeoffice zu arbeiten.

Dadurch können sich beide Gruppen von Mitarbeitenden mehr auf Augenhöhe begegnen und die fatale Entwicklung zu einer Zweiklassengesellschaft stoppen. Die Geschichte der Menschheit hat bewiesen, dass eine solidarische Gesellschaft, in der sich Menschen auf Augenhöhe und gegenseitiger Wertschätzung begegnen, die erfolgreichere ist. In diesem Sinn sollten gerade wir, die HRlerinnen und HRler, unsere Unternehmen für die Zukunft darauf ausrichten.

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