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Executive Search: Frauen-Hunting ist anders

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Mit gut 40 Prozent erreicht der Frauenanteil in Dax-Aufsichtsräten aktuell einen historischen Höchststand. Diese Rekordzahl ist auch ein Resultat des Zweiten Führungspositionen-Gesetzes (FüPoG II), das 2022 in Kraft getreten ist. Danach muss bei Neubesetzungen von Vorstands- und Aufsichtsgremien großer deutscher Unternehmen, bei Unternehmen mit Bundesbeteiligung sowie für Spitzenposten im öffentlichen Dienst der Frauenanteil bestimmte Quoten erreichen. Für viele Organisationen ist das aus dem eigenen Personalbestand heraus kaum zu erreichen, sie greifen deswegen bei der Suche nach weiblichen Führungskräften auf die Dienste von Headhuntern zurück. Die Personalberatung Hunting/Her hat sich bereits seit 2007 auf Personalberatung für Frauen spezialisiert. Christian Böhnke und Regina Lindner, beide Managing Partner der Organisation, erläutern, wie das funktioniert.

Personalwirtschaft: Wie schwierig ist es Ihrer Erfahrung nach für Unternehmen beziehungsweise Organisationen, geeignete Frauen für solche Spitzenpositionen zu finden?
Christian Böhnke:
Die Nachfrage nach Frauen für Führungspositionen steigt seit mehr als zehn Jahren recht kontinuierlich. Ein Grund dafür sind natürlich auch gesetzliche Vorgaben wie das FüPoG II in Deutschland.
Regina Lindner: Wie schwierig es ist, geeignete Frauen zu finden, kommt sehr stark auf die Branche und auch die konkret ausgeschriebene Position an. Gerade in den MINT-Bereichen ist es in Einzelfällen nicht immer möglich, eine hundertprozentig passende Kandidatin zu finden – dann besteht die Möglichkeit, flexibler zu reagieren und beispielsweise Suchkriterien anzupassen.

Ihre Agentur trägt den Namen „Hunting/Her“ – wo und wie jagen Sie Frauen?
Christian Böhnke: Unser Firmenname ist über die Jahre schon fast zum Synonym für das Frauen-Headhunting geworden. Er beschreibt aber lediglich einen Teil unserer Prozesskette bei der Besetzung von Führungs-Frauen. Das Hunting, also die gezielte Suche und Identifizierung passender Kandidatinnen, erfolgt dabei sehr positionsspezifisch und folgt einem sehr individuellem Projektdesign. Wir haben uns schon frühzeitigen auf das Thema Female Executive Search fokussiert – lange vor dem Aufkommen der ersten Debatten um die Frauenquote auf EU-Ebene. Heute kommen uns ein seit 2007 gewachsenes Kontaktnetz und unsere Datenbanken zugute. Wir beobachten auch eine deutlich höhere Response-Rate und Kooperationsbereitschaft in unserer weiblichen Zielgruppe.
Regina Lindner: Die Suche nach Führungsfrauen ist ein sehr individueller Vorgang, der von dem jeweils geforderten Profil, der Führungsebene und der Branche abhängt. Geografisch betrachtet suchen wir weltweit, wenn dies erforderlich und gewünscht ist – dabei profitieren wir von der strategischen Partnerschaft mit einem der global führenden Top-10 Executive Search-Beratungshäuser. Thematisch ist die Suche stark abhängig von der jeweils ausgeschriebenen Position: Wenn es beispielsweise um Führungsnachwuchs für den Sektor Wissenschaft und Forschung geht, sind auch Hochschulen Orte, an denen wir suchen. Karrierenetzwerke, in denen sich Frauen zusammenschließen sind ein anderes Beispiel, wo wir nach talentierten Frauen fahnden.

Funktioniert die Suche nach weiblichen Führungskräften anders als die nach talentierten Männern?
Christian Böhnke: Ja. Die gezielte Suche nach Führungs-Frauen unterscheidet sich in verschiedensten Punkten von der klassischen Suche eines Generalisten. Dies liegt unter anderem an der nach wie vor vorhandenen Unterrepräsentanz von Frauen in den meisten Führungsebenen, gleichzeitig stellen viele Frauen aber auch andere Ansprüche an Personalberatungen und potenzielle Arbeitgeber. Dies erforderte insbesondere in den Anfangsjahren ab 2007 einen kontinuierlichen Optimierungsprozess in der Suche nach weiblichen Führungskräften, obwohl bereits das Hunting/Her-Gründungsteam ausnahmslos über jahrelange Erfahrungen bei renommierten Personalberatungen verfügte. Auch wenn die einzelnen Phasen im Prozess vergleichbar sind, liegt das Erfolgsgeheimnis von Hunting/Her im Female Executive Search letztlich in der frühzeitigen, authentischen und absoluten Fokussierung und der damit einhergehenden Nähe zur „Zielgruppe Führungs-Frau“.

Gibt es Auftraggeber, für die die Suchen nach führungswilligen und -fähigen Frauen besonders schwierig ist?
Regina Lindner:
Natürlich gibt es noch Branchen und Positionen, in denen der Frauenanteil besonders niedrig ist. Lässt sich mit dem definierten Positionsprofil keine geeignete Kandidatin finden, muss die projektleitende Kollegin gegebenenfalls gemeinsam mit der Auftraggeberin entsprechende Lösungen kreieren, etwa durch eine Flexibilisierung des Positionsprofils oder beispielsweise durch eine internationale Suchstrategie.

Werden weibliche Spitzenjobs Ihrer Erfahrung nach eher intern oder extern besetzt?
Christian Böhnke:  Teils, teils. Fest steht: Angesichts der massiv gestiegenen Nachfrage nach Führungskräften im Allgemeinen und weiblichen Top-Managerinnen im Besonderen, werden extern zu besetzende Top-Positionen fast ausschließlich über Personalberatungen besetzt.

Wie können Unternehmen oder Organisationen karrierewillige Frauen nachhaltig unterstützen?
Christian Böhnke:  Unternehmen sollten weibliche High Potentials als eine eigenständige, wertvolle Ressource betrachten und gezielt entwickeln. Dabei geht es nicht nur um die Berücksichtigung bestimmter Herausforderungen, die die Entfaltung des Karrierepotenzials von Frauen ausbremsen können, sondern auch um authentische Wertschätzung dieser Ressource. Wichtig ist dabei die Glaubwürdigkeit von Diversity-Maßnahmen, welche das Top-Management zu verantworten hat. Reine Symbolpolitik wird meist durchschaut und verkehrt den gewünschten Effekt ins Gegenteil.
 
Angenommen, ein Unternehmen beginnt heute mit der strukturierten Förderung junger Frauen – auf welchen Zeithorizont müssen sie sich einstellen, bis die Talente hochgewachsen sind?
Regina Lindner: Das hängt natürlich von der Ausgangsposition des Unternehmens ab; sowohl die Unternehmenskultur als Ganzes als auch das Commitment des Managements sind hier maßgeblich. Grundsätzlich nimmt ein solcher Transformationsprozess Zeit in Anspruch. Wir empfehlen in jedem Fall eine duale Vorgehensweise: Systematische Entwicklung vorhandener Talente, ergänzt durch die Unterstützung eines externen Anbieters bei der externen Besetzung vakanter Führungspositionen. 

Wie schätzen Sie angesichts des großen Bedarfs an Führungsfrauen das Risiko ein, dass diese von anderen Unternehmen oder Headhuntern abgeworben werden? Anders gefragt: Lohnt sich für Unternehmen der Aufwand der Talentförderung, wenn sowieso klar ist, dass die Frauen schlussendlich anderswo Karriere machen?
Regina Lindner: Warum sollte eine zufriedene weibliche Führungskraft wechselwillig sein? Hier gilt es, das entsprechende Umfeld und gegebenenfalls zusätzliche Perspektiven zu schaffen, um die Führungskraft langfristig an das Unternehmen zu binden. Zudem ist Personalentwicklung und Talentförderung ohnehin eine wichtige Investition und hat hohe Priorität, um als Unternehmen wettbewerbsfähig zu bleiben.

Was hält heutzutage mehr Frauen von einer Führungskarriere ab – sind es externe Faktoren, etwa die sprichwörtliche „gläserne Decke“ oder sind es intrinsische Gründe, weil sie den Stress und Druck nicht auf sich nehmen wollen?
Regina Lindner:  Die Frage lässt sich natürlich nur individuell beantworten. Aber ein wichtiger Aspekt, der Frauen-Karrieren häufig beeinträchtigt, ist nach wie vor die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hier gibt es auch weiterhin Aufholbedarf zum Thema Kinderbetreuung. Das Thema „gläserne Decke“ ist leider ein weiterer Punkt, dem Frauen den Aufstieg in Führungspositionen im Unternehmen häufig noch begegnen.

Ein konkretes Beispiel: Wie gut sind die Chancen beispielsweise für eine promovierte Ingenieurin, schnell in eine Führungsposition gelangen zu können?
Christian Böhnke:
Eine Frau mit so einem Profil ist natürlich begehrt und hat damit eine sehr gute Ausgangslage für eine erfolgreiche Karriere.

Was bringt Frauen dazu, Karriere machen zu wollen? Gibt es so etwas wie einen „gemeinsamen Nenner“, also bestimmte Eigenschaften, die Sie bei weiblichen Führungskräften wahrnehmen?
Christian Böhnke:
Bei allen individuellen Unterschieden beobachten wir bei Frauen sehr häufig den Wille zu gestalten und Dinge zu verändern als wesentliche Karrieremotivation. Macht um der Macht willen, ist bei Frauen selten der Antrieb.

Haben Sie Ratschläge, die Sie Frauen mitgeben, die mit Ihrer Unterstützung eine Führungskarriere starten oder weiter nach oben klettern?
Regina Lindner: Pauschale „Ratschläge“ geben wir eher nicht. Aber in einem Coaching kann herausgearbeitet werden, wo nach bisherigem beruflichen Werdegang, Kompetenzen und persönlichen Eigenschaften Entwicklungsfelder liegen und wie die individuellen Ziele zu erreichen sind.

Die Frage nach Frauen in Führungspositionen ist sicher nicht überall gelöst, wird aber zumindest im Grundsatz kaum noch debattiert. Wie aber sieht es mit anderen Aspekten des Diversity-Spektrums aus, beispielsweise der Repräsentanz von Menschen mit Behinderungen, Migrationsgeschichte oder aus unterschiedlichen Bildungsmilieus in Führungspositionen aus? Liegt dort Ihr künftiges Betätigungsfeld?
Christian Böhnke: Ohne auch die weiteren Diversity-Aspekte zu berücksichtigen, insbesondere auch Age Diversity, setzen Unternehmen bereits auf mittlere Sicht leichtfertig die eigene Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel. Auch bei uns läuft ein Großteil unserer Search-Aufträge mittlerweile global, so dass wir neben dem „Faktor Female“ regelmäßig insbesondere auch „Internationalität“ – oft ergänzt durch „Age“ – in die Führungsstrukturen einbringen, und zwar in beide Richtungen: Bei einem großen deutschen Autokonzern konnten wir kürzlich die jüngste weibliche Top-Führungskraft positionieren. In einem anderen Projekt konnten wir umgekehrt soeben eine sehr erfahrene, an der US-Westküste lebende Südamerikanerin bei einem Kunden mit regional etwas abgelegener Konzernzentrale vorstellen.  Grundsätzlich sehen wir jedoch im Bereich Gender Diversity den längsten Hebel für Unternehmen, welcher sich – erfolgreich umgesetzt – erfahrungsgemäß auch schnell auf die gesamte Unternehmenskultur positiv auszahlt.       

Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Berichterstattung zur Aus- und Weiterbildung. Zudem ist sie verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft sowie den Deutschen Personalwirtschaftspreis.