Wer mehr als acht Stunden pro Tag arbeitet oder Ruhezeitunterbrechungen hat, ist nicht unzufriedener mit seiner Arbeit als eine Person, die täglich kürzer ihrem Beruf nachgeht. Das geht aus einer aktuellen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hervor, für die Büroangestellte befragt wurden. „Für Bürobeschäftigte existieren Flexibilisierungsspielräume bei Ruhezeiten und der täglichen Höchstarbeitszeit, ohne zusätzliche gesundheitliche Risiken hervorzurufen“, heißt es von Seiten der Studienautorinnen und der Studienautoren.
Dafür haben sie Daten einer Arbeitszeiterhebung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von mehr als 8.600 Büroangestellten aus dem Jahr 2021 (dies sei das jüngste verfügbare Erhebungsjahr gewesen) ausgewertet und dabei die Befragten in drei Gruppen unterteilt: Mitarbeitende, die bis zu acht Stunden täglich arbeiten, solche, die acht bis zehn Stunden tätig sind, und andere, die häufiger Zehnstundentage aufwärts haben. Rund 90 Prozent der Beschäftigten sind mit ihrer Arbeit zufrieden – unabhängig davon, ob sie weniger als acht oder mehr als zehn Stunden pro Tag arbeiten. Auch die Arbeitsüberforderung bleibt über alle Arbeitszeitgruppen hinweg niedrig. 13 Prozent geben an, sich durch ihr Arbeitspensum eher überfordert zu fühlen. Wer mehr als zehn Stunden täglich arbeitet, berichtet auch nicht signifikant häufiger von Erschöpfung oder Belastungssymptomen oder weist eine höhere Anzahl an krankheitsbedingten Ausfalltagen vor.
Die Erkenntnisse unterstützen die Pläne der Bundesregierung. Laut Koalitionsvertrag wollen SPD und Union statt einer Tageshöchstarbeitszeit eine wöchentliche Höchstarbeitszeit einführen. Das bedeutet: Beschäftigte sollten an einem Tag regelmäßig mehr als acht Stunden arbeiten dürfen. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden soll damit aber nicht hochgesetzt werden. So könnten Mitarbeitende gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber besser entscheiden, wann sie wie lange beruflichen Aufgaben nachgehen.
Andere Forscher sehen ein Gesundheitsrisiko
Die IW-Zahlen sollten allerdings eher als Orientierung angesehen werden. Zum einen, weil sie aus dem Jahr 2021 stammen und sich seit der Corona-Pandemie die Arbeitswelt durch Aspekte wie den Stellenabbau, künstliche Intelligenz (KI) sowie einer mit beidem verbundenen weiteren Arbeitsverdichtung durchaus verändert hat. Dies könnte auch dazu führen, dass Mitarbeitende mit einer längeren Arbeitszeit heutzutage doch unzufriedener wären. Zum anderen, weil es Forschung gibt, die einen negativen Zusammenhang zwischen einer hohen Arbeitszeit und der Gesundheit aufzeigt, aufgezeigt beispielsweise vom BAuA.
Auch der Marburger Bund sieht die Idee kritisch. Durch die neue Arbeitszeitregelung könnten die Beschäftigten stark belastet werden. „Die gesetzlichen und tariflichen Regelungen sind Maßnahmen zum Schutz, die bewahrt werden müssen“, so der Verband. „Die arbeitsmedizinische Forschung ist sich einig darüber, dass sehr lange Arbeitszeiten deutliche Risiken durch Erkrankungen und Unfälle verursachen“, argumentiert auch die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung.
Das könnten laut Expertinnen und Experten der Stiftung etwa stressbedingte Erkrankungen, psychische Leiden, physische wie psychische Erschöpfungszustände, Schlaganfälle, Diabetes oder ein erhöhtes Krebsrisiko sein. Zudem steige das Unfallrisiko ab der achten Arbeitsstunde exponentiell an. Mit der von der Bundesregierung geplanten neuen Regelung sei eine tägliche Höchstarbeitszeit von mehr als 12 Stunden möglich, was in Extremfällen kurzfristig zu Arbeitswochen von 73,5 Stunden (sechs Arbeitstage à 12,25 Stunden) führen könnte, rechnete die Hans-Böckler-Stiftung aus. Eine Arbeitszeit, die ein Gesundheitsrisiko darstelle.
Das ist essenziell, um negative Wirkungen zu vermeiden
Diese gesundheitlichen Risiken sehen die IW-Expertinnen und -Experten zwar auch, aber bei Büroangestellten als nicht weit verbreitet. „Die starre tägliche Höchstarbeitszeit ist für viele Büroangestellte nicht mehr zeitgemäß. Entscheidend ist eine Arbeitszeitgestaltung, die individuelle Bedürfnisse, berufliche Anforderungen und gesundheitliche Aspekte in Einklang bringt“, sagt IW-Arbeitsmarktexperte Oliver Stettes. Flexiblere Arbeitszeitmodelle förderten die Selbstbestimmtheit, was letztlich die Zufriedenheit stärke. „Klar ist aber auch: Nicht jede Tätigkeit eignet sich für längere Arbeitszeiten – allein aus Sicherheits- und Gesundheitsgründen. Doch bei Büroberufen darf man mehr Flexibilität wagen.“
Eine wichtige Bedingung gebe es allerdings dafür, dass eine erhöhte Tagesarbeitszeit keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigten hat: Die Unternehmenskultur muss stimmen. Nur wenn einem Gefühl der permanenten Erreichbarkeitsanforderung entgegengewirkt wird und Beschäftigte aktiv mitverantwortlich für einen „gesundheitsbewussten und effizienten Umgang mit ihren eigenen zeitlichen Ressourcen sowie denen der anderen Teammitglieder sind“, könne viel an einem Tag gearbeitet werden, ohne dabei gestresster zu sein.
Was wollen die Beschäftigten?
Doch was sagen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu den Plänen der Regierung? Dass Mitarbeitende tendenziell einer höheren Tagesarbeitszeit positiv gegenüberstehen, zeigt auch eine Umfrage von Yougov im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa. Dabei wurden im Mai 2025 mehr als 2.000 Menschen repräsentativ befragt. 38 Prozent der Befragten befürworteten die Pläne der Bundesregierung, die Tageshöchstarbeitszeit mit einer Wochenhöchstarbeitszeit zu ersetzen. 37 Prozent stehen den Plänen neutral gegenüber und 20 Prozent lehnen sie ab. Befürwortet wird eine Wochenhöchstarbeitszeit vor allem deshalb, weil sie mehr Flexibilität gewährleiste. Menschen, die sich gegen die Koalitionspläne aussprechen, befürchten vor allem, dass darunter die Produktivität leide und die langen Tage schlichtweg zu anstrengend seien. Wie sich die Erhöhung der Tagesarbeitszeit wirklich auswirken wird, wird die Zukunft zeigen. Dafür braucht es allerdings erst einmal ein entsprechendes Gesetz.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.

