Der russische Krieg in der Ukraine ist das bestimmende Thema dieser Tage – auch für deutsche Unternehmen. Laut Angaben der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer sind rund 2000 deutsche Unternehmen in dem Land aktiv und beschäftigen insgesamt etwa 50.000 Personen, für die sie Verantwortung tragen. In der Not wenden sich viele Unternehmen an spezialisierte Dienstleister wie Axel Wochinger. Er ist Geschäftsführer der Result Group, einem international arbeitenden Beratungsunternehmen für Risiko- und Krisenmanagement mit Sitz am Starnberger See.
Personalwirtschaft: Herr Wochinger, Anlass unseres Gespräches ist der Krieg in der Ukraine – wie sehr ist Ihr Beratungsunternehmen für Risiko- und Krisenmanagement dort gefordert?
Axel Wochinger: Durch den Ukraine-Krieg befinden wir uns in einer absoluten Sonder- und Ausnahmesituation: Die deutsche Wirtschaft ist in der Ukraine sehr präsent, dementsprechend sind viele Deutsche dort beschäftigt und noch mehr einheimische Mitarbeitende deutscher oder internationaler Unternehmen. Die zahlenmäßige Betroffenheit ist ungleich höher als etwa in Afghanistan oder Libyen. Seit Ende Februar erreichen uns deswegen sehr viele Anfragen in einer weiten Bandbreite.
Was bedeutet das? Welche Aufgaben übernehmen Sie?
Es geht los mit Beratung und Analyse der Situation bis hin zu organisatorischen Fragen wie etwa der Abholung von Personen an den Grenzen der Ukraine. In vielen Fällen leisten wir Hilfe zur Selbsthilfe: Wir unterstützen also Menschen mit Informationen, etwa welche Wege, Eisenbahnlinien oder Straßen benutzbar sind, oder in welche Landesteile sie innerhalb der Ukraine fliehen können.
Haben Sie auch Personen evakuiert?
Wir haben Teams vor Ort – bestehend aus eigenen Mitarbeitern oder Freelancern – die versuchen, Menschen abzuholen und zu Sammelpunkten zu bringen. Manche Menschen haben wir in so genannte Safe Houses gebracht, wo ein geringes Risiko besteht und von dort die Weiterreise organisiert. Bei unmittelbaren Kampfhandlungen in einem Ort ist es aber oft auch besser, wenn die Personen vor Ort bleiben und sich in einem Keller oder Bunker in Sicherheit bringen. In solchen Ausnahmesituationen sind bei der Beurteilung der Möglichkeiten und Risiken Erfahrung mit Gefahren und Improvisationsvermögen gefragt.
Woher haben Ihre Mitarbeiter solche Kenntnisse und Fertigkeiten?
Unsere Mitarbeiter haben oftmals einen behördlichen Hintergrund, kommen also beispielsweise von der Bundeswehr oder Polizei- und Sicherheitsbehörden, manche haben auch ein Studium im Sicherheitsmanagement gemacht. Dadurch sind wir in der Lage, in Situationen, wie wir sie jetzt in der Ukraine sehen, adäquat zu handeln, denn wir haben Leute, die wissen, was es heißt, wenn ein Luftangriff erfolgt oder wie schnell sich eine Panzerkolonne bewegt. Wir können also eine realistische Worst-Case-Planung durchführen.
Woher bekommen Ihre Teams Informationen?
Unsere Teams stehen mit uns in Verbindung, um Informationen zu bekommen und soweit wie möglich auch mit lokalen Stellen. Es ist eine Kombination aus Open-Source-Infos und nicht frei zugänglichen Informationen – ganz viel läuft über Kontakte und Netzwerke.
Wie ist in solchen Krisenfällen das Procedere? Wer wendet sich an Sie? Wie gehen Sie vor?
Unsere Auftraggeber sind grundsätzlich Unternehmen oder Konzerne. Manche davon sind bereits unsere Kunden – die genießen Priorität. Andere Unternehmen wenden sich erst in einer Notlage an uns, und natürlich versuchen wir auch die zu unterstützen, wenn es geht. Wir bezeichnen das als sogenannte Responsefälle – Antworten auf akute Gefahrenereignisse, wie es sie glücklicherweise eher selten gibt. Responsefälle sind aus unserer Sicht die ungünstigste Form des Umgehens mit Gefahrenlagen. Wir empfehlen grundsätzlich eine präventive Herangehensweise, um Risiken zu minimieren.
Was geschieht im Responsefall?
Tritt der Responsefall ein, etwa bei der Evakuierung von Personen, müssen zuerst bestimmte Fragen geklärt werden: Wo halten sich die Personen auf? Wie viele sind es? Gibt es Einschränkungen, Krankheiten oder Behinderungen? Ist eine Evakuierung zu dem Zeitpunkt überhaupt möglich? Können wir unsere eigenen Mitarbeiter in ein Kampfgebiet schicken, ohne ihr Leben zu gefährden? Je nach Auftrag und Lagebewertung handeln wir dann – und jeder einzelne Fall ist dabei eine neue Herausforderung, der eine individuelle Antwort erforderlich macht.
Haben Unternehmen, die in der Ukraine tätig sind, Sie auch schon vor den russischen Angriffen kontaktiert?
Das gab es auch. Ein Beispiel ist ein deutsches Unternehmen mit einem Produktionsstandort in der Ukraine. Das Unternehmen hat uns schon Wochen vor Kriegsbeginn kontaktiert, als Putin seine Truppen rund um die Ukraine stationierte. Wir haben dann zusammen mit dem Unternehmen einen Plan erstellt, wie sie im Ernstfall vorgehen sollten, um ihre Mitarbeitenden in Sicherheit zu bringen. Die Vorbereitungen haben es dann bei Kriegsbeginn dem Unternehmen viel einfacher gemacht, zu reagieren.
Die Situation in der Ukraine ist ein Extremfall. Wie sollten Arbeitgeber auch jenseits davon präventiv vorgehen, wenn potenziell gefährliche Auslandsaufenthalte von Mitarbeitenden anstehen?
Aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers leitet sich ab, dass der Arbeitgeber für sichere Rahmenbedingungen beim Einsatz seiner Mitarbeitenden sorgen muss – man nennt das TraveI Risk Management. Im Fall potenziell gefährlicher Auslandseinsätze müssen also eine ganze Reihe von Fragen vorab geklärt werden: Wo geht der Mitarbeiter hin? Wie ist am Zielort die allgemeine Sicherheitslage und wie hoch ist gegebenenfalls das Risiko durch Kriminalität? Ist sichergestellt, dass jederzeit klar ist, wo sich die Person befindet und wie sie zu erreichen ist? Gibt es eine sichere Unterkunft und sichere Transporte zwischen Ankunftsort, Wohnort und Arbeitsort? Gibt es dort die Möglichkeit einer medizinischen Versorgung? Der oder die Mitarbeiter wiederum sollten schon vorab eine Schulung erhalten, um auf den Einsatz vorbereitet zu werden. Grundsätzlich gilt dies für jede Auslandsreise, natürlich in an das Risiko angepasster Form.
Was kann zusätzlich für die Sicherheit von Beschäftigten getan werden, wenn diese bereits am Einsatzort sind?
Es sollte eine zentrale Datenverwaltung geben, damit sichergestellt ist, dass es im Krisenfall keine Abstimmungsprobleme gibt. Handelt es sich um Orte mit labiler Sicherheitslage, sollte die Person mit aktuellen Infos über das jeweilige Land und die Sicherheitslage durch Push-Nachrichten versorgt werden, beispielsweis per App. Es sollte auch eine Hotline geben, an die sich Mitarbeitende im Krisenfall oder medizinischen Notfällen rund um die Uhr wenden können.
Wie funktioniert die Vorbereitung potenziell gefährlicher Auslandsaufenthalte ganz praktisch, was ist Ihre Aufgabe als Dienstleister?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Kunde hat eine große Baumaschine nach Syrien verkauft – und Monteure mussten dann vor Ort dafür sorgen, dass die Maschine in Betrieb genommen werden konnte. Bevor die Männer nach Syrien reisten, haben wir eine Lageeinschätzung und Risikobewertung erarbeitet. Das sieht dann grundsätzlich so aus, dass wir bei Projekten in gefährlichen Regionen im Voraus die Sicherheitssituation vor Ort überprüfen. Wir fahren also an den späteren Einsatzort, schauen uns an, welche Stadt, welches Viertel und welches Hotel in Frage kommt. Wir suchen in der Nähe gute Krankenhäuser und prüfen, welches Leistungsspektrum diese anbieten. Die vor Ort gewonnenen Erkenntnisse sind dann die Basis für die Projektdurchführung unserer Kunden. Ich selbst war im Auftrag von Unternehmen oder NGOs im vergangenen Jahr in Angola, in der Demokratischen Republik Kongo, im Libanon, in Syrien, Pakistan und Nigeria.
Unterstützen Sie auch Organisationen, die gerade jetzt Mitarbeitende in die Ukraine entsenden – beispielsweise Journalisten oder Mitarbeitende von Hilfsorganisationen? Wie sieht so etwas aus?
Das machen wir – ein großes Medienunternehmen ist auf uns zugekommen, das ein Korrespondententeam in das Krisengebiet schicken wollte. Diesem Team haben wir einen Sicherheitsspezialisten mitgegeben. Wir bieten auch Schulungen und Trainings für Journalisten oder Mitarbeitende von NGOs als Vorbereitung auf Einsätze in gefährlichen Gegenden an – so genannte Hostile Environment Awareness Trainings, in denen Verhaltensmuster eingeübt werden, die in Hochrisikogebieten wichtig sind. Es geht dabei viel um Notfallplanung, also Fragen wie: Was nehme ich mit? Wie verhalte ich mich an einem Checkpoint? Was bedeutet es, wenn Granaten einschlagen? Was mache ich, wenn ich als Geisel genommen werde? Wie funktioniert ein Satellitentelefon? Wie liest man eine Karte? Für Zivilpersonen sind das Ausnahmesituationen, mit denen sie besser schon in einem Training konfrontiert werden sollten. Man kann in Krisen vieles falsch machen – und das ist dann wirklich gefährlich.
Über Kosten spricht man nicht gerne, wenn es um Menschenleben geht, trotzdem muss ja irgendwann die Rechnung bezahlt werden. In welcher Größenordnung bewegen sich Ihre Leistungen?
Präventive Leistungen sind grundsätzlich günstiger – auch preislich. Wenn einer unserer Berater beispielsweise eine Woche in einem afrikanischen Land ist zum Fact Finding, dann wird das mit Analysen und Recherchen knapp fünfstellig, wobei natürlich viele Faktoren den Preis beeinflussen – Reisekosten, Aufenthaltsdauer, nötige Unterstützungsleistungen vor Ort und so weiter. Eine Evakuierung aus einem Krisengebiet dagegen kann auch schnell mehrere zehntausend Euro und mehr kosten … stellen Sie sich nur mal vor, was es kostet, wenn ein Flugzeug gechartert werden muss.
Fehlende Aufträge sind momentan sicher nicht Ihr Problem – haben Sie grundsätzlich den Eindruck, dass der Schutz von Mitarbeitenden im Ausland für die Unternehmen an Dringlichkeit zunimmt?
Die geopolitische Lage in der Welt verschlechtert sich, sie wird dynamischer und unberechenbarer. Veränderungen erfolgen immer schneller und Voraussagen sind unzuverlässiger. Diese Diagnose ist nicht besonders schwierig, denn das sehen wir ja im Moment sehr eindrücklich. Vor diesem Hintergrund müssen sich gerade die Unternehmen der exportorientierten deutschen Wirtschaft schon die Frage stellen, wie sie die Sicherheit ihrer Beschäftigten sicherstellen – denn es geht eben vieles, aber nicht alles remote und online. Viele Unternehmen müssen ihr Sicherheitsmanagement besser aufstellen, weil die Mitarbeiter und die Unternehmen sonst mittelfristig Schaden nehmen werden.
Info
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Christina Petrick-Löhr betreut das Magazinressort Forschung & Lehre sowie die Themen Recruiting und Employer Branding. Zudem schreibt und recherchiert Sie zum Thema Transformation, Change Management und Leadership und ist verantwortlich für die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.