Aktuelle Ausgabe neu

Newsletter

Abonnieren

Mikro-Optimismus: Der Schlüssel zu mehr Resilienz im Unternehmen  

Artikel anhören
Artikel zusammenfassen
Teilen auf LinkedIn
Teilen per Mail
URL kopieren
Drucken

Ein Blick in die Nachrichten kann unser Stresslevel dieser Tage nach oben treiben: Die Klimakrise gefährdet unseren Planeten, KI stellt unsere Arbeitswelt auf den Kopf, globale Konflikte nehmen uns unser Gefühl von Sicherheit. In der öffentlichen Debatte verdichten sich diese Themen zu einem Gefühl ständiger Bedrohung. Polykrisen nennt man das. Das wirkt sich auf unsere mentale Gesundheit aus und beeinflusst auch unser Verhalten auf der Arbeit. Mikro-Optimismus kann dem entgegensteuern. 

Wieso wir die Krise lieben – und wieso uns das schadet

Schlechte Nachrichten fesseln unsere Aufmerksamkeit. Das hat neuropsychologische Gründe: Bedrohliche Informationen aktivieren das Stresssystem, steigern Wachsamkeit und setzen gleichzeitig Dopamin frei. Dieser Botenstoff wird nicht nur bei Belohnungserwartung ausgeschüttet, sondern auch in Stresssituationen – er fokussiert die Aufmerksamkeit, mobilisiert Energie und erzeugt ein kurzes Gefühl von Antrieb. 

Das erklärt, warum sogenanntes Doomscrolling so schwer zu unterbrechen ist: Es entsteht eine Feedbackschleife, die sehr ähnlich zu anderen Suchterscheinungen ist und die mit jeder Wiederholung verstärkt wird. Viele Medien nutzen diese Dynamik gezielt, um in Zeiten kurzer Aufmerksamkeitsspannen Leserinnen und Leser zu gewinnen. Alarmismus wird zum Geschäftsmodell.

Dieselben Mechanismen greifen übrigens auch im Arbeitskontext: Unser Gehirn neigt dazu, negativen Entwicklungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken als positiven Fortschritten. Die Folge: ein kollektives Gefühl von Ohnmacht. Wenn der Eindruck entsteht, ohnehin nichts ändern zu können, sinkt die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Doch genau hier setzt ein alternatives Modell an: der Mikro-Optimismus.

Mikro-Optimismus statt Makro-Pessimismus

Mikro-Optimismus beschreibt bewusste Denk- und Handlungsmuster, die den Fokus auf das richten, was gelingt oder gut ist– selbst unter schwierigen Bedingungen. Es geht dabei nicht um Schönfärberei oder Realitätsverweigerung, sondern um eine gezielte Erweiterung der Perspektive. Optimismus bedeutet in diesem Kontext: handlungsfähig bleiben, statt in Resignation zu verfallen. Gerade im Arbeitsumfeld kann diese Haltung das mentale Wohlbefinden und die Resilienz nachhaltig stärken.

Gleichzeitig blendet Mikro-Optimismus Herausforderungen nicht aus. Im Gegenteil: Schwierigkeiten sollen ernst genommen, aber lösungsorientiert betrachtet werden. Statt in alarmistische Endlosgedankenschleifen zu verfallen, rückt dieser Ansatz Fortschritte in den Fokus und macht Entwicklung sichtbar.

Ein Beispiel: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist vielerorts nach wie vor ausbaufähig, insbesondere für Frauen. Gleichzeitig belegen die Fortschritte der letzten Jahre – etwa bei flexiblen Arbeitszeitmodellen oder Elterngeld – dass Veränderung möglich ist. Das Bewusstsein für bereits Erreichtes kann Zuversicht stärken und die Motivation fördern, weitere Verbesserungen aktiv mitzugestalten.

Was Mikro-Optimismus bewirkt

Die Wirkung von Mikro-Optimismus reicht weit über das Individuum hinaus – sie entfaltet sich auf mehreren Ebenen und kann einen spürbaren Unterschied im Arbeitsalltag machen:

  • Individuelle Ebene: Kleine Routinen wie ein Dankbarkeitstagebuch oder ein positiver Tagesrückblick stärken das Wohlbefinden, fördern Resilienz und wirken einer chronischen Stressbelastung entgegen.
  • Team-Ebene: Teams, die den Blick bewusst auch auf Fortschritte und gelungene Aspekte richten, arbeiten motivierter und lösungsorientierter. Mikro-Optimismus schafft Vertrauen, erleichtert die Zusammenarbeit und erhöht die Bereitschaft, sich aktiv einzubringen. 
  • Unternehmens-Ebene: Eine Kultur des realistischen Optimismus zahlt sich auch unternehmerisch aus. Er wirkt präventiv gegen Stress und Burnout und fördert gleichzeitig Engagement sowie die Zuversicht, gemeinsam Ziele erreichen zu können. Laut dem Gallup-Report 2024 fühlen sich weltweit nur 21 Prozent der Mitarbeitenden emotional eingebunden – gleichzeitig gehen jährlich rund 12 Milliarden Arbeitstage durch psychische Belastungen verloren. Mikro-Optimismus kann helfen, diesen Trend umzukehren.

Was bedeutet das für die Arbeitswelt? Sechs Tipps für mehr Mikro-Optimismus

  • Selbstwirksamkeit fördern

Selbstwirksamkeit ist das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, aktiv auf Situationen einzuwirken. Wenn Mitarbeitende überzeugt sind, etwas bewirken zu können, gehen sie optimistischer an Herausforderungen heran und können mit Rückschlägen besser umgehen.

Unternehmen können die Selbstwirksamkeit ihrer Mitarbeitenden stärken, indem sie Einflussbereiche konkret benennen und deutlich machen, wie sich die Arbeit der Mitarbeitenden positiv auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Gleichzeitig hilft es, individuelle Stärken ins Zentrum zu rücken, etwa durch Formate wie Stärkenanalysen oder regelmäßige Reflexionsimpulse. Das können wöchentliche Impulse sein, wie zum Beispiel: „Was ist mir diese Woche gut gelungen – und warum?“ Solche Routinen helfen, den Blick auf das eigene Wirken zu schärfen und nachhaltige Motivation aufzubauen.

  • Kleine Schritte und Erfolge feiern

Der Begriff Mikro-Optimismus bringt es auf den Punkt: Großes entsteht im Kleinen. Man muss also nicht auf die „großen Errungenschaften” warten, auch kleine Fortschritte sind wertvoll. Regelmäßige Rituale wie „Review Fridays“, bei denen Erfolge der Woche gemeinsam im Team reflektiert werden, fördern eine Kultur, die Positives verstärkt. Erfolge wahrzunehmen – auch die unspektakulären – stärkt die Motivation.

  • Transparenz und Realismus statt Alarmismus

Herausforderungen sollten im Unternehmen offen angesprochen werden – aber eben nicht mit Endzeitstimmung. Der Fokus sollte auf der Lösung und nicht auf dem Problem sein. Die Führungskräfte können hier Orientierung geben: Was ist beeinflussbar? Wo liegen realistische Lösungsansätze? 

  • Externe Unterstützung anbieten und selbst annehmen

Neben psychologischer Sicherheit im Team spielen gezielte Unterstützungsangebote eine zentrale Rolle. Unter anderem digitale Mental-Health-Plattformen können dabei helfen, mentale Ressourcen zu stärken und an einem optimistischen Mindset zu arbeiten. Sie können Mitarbeitende dabei unterstützen, Ängste gezielt zu bearbeiten und optimistischere Perspektiven zu entwickeln. 

Entscheidend ist: Diese Angebote sollten nicht nur für Mitarbeitende, sondern explizit auch für Führungskräfte zugänglich sein – und als selbstverständlicher Bestandteil des Führungsalltags akzeptiert und genutzt werden, frei von Stigmatisierung oder Rechtfertigungsdruck. Denn Führung bedeutet nicht nur, andere zu stärken – sondern auch, sich selbst die notwendige Stabilität zu sichern.

  • Fehlerkultur

Optimismus richtet sich nicht nur auf die Zukunft, sondern auch auf die Vergangenheit. Der Umgang mit Rückschlägen offenbart viel darüber, wie eine Organisation denkt, handelt und lernt. Eine konstruktive Fehlerkultur basiert auf der Überzeugung, dass Entwicklung auch dann möglich ist, wenn etwas nicht wie geplant verläuft. Entscheidend ist nicht der Fehler an sich, sondern das, was daraus folgt.

Führungskräfte spielen hier eine Schlüsselrolle. Wenn sie selbst offen mit eigenen Fehlentscheidungen umgehen, senden sie ein klares Signal: Fehler sind erlaubt, auch auf Leitungsebene. 

Der amerikanische Psychologieprofessor und Begründer der positiven Psychologie”, Martin Seligman, beschreibt in seinem Konzept des „gelernten Optimismus“ die Fähigkeit, negative Ereignisse bewusst anders einzuordnen. Rückschläge werden dabei nicht verallgemeinert, nicht persönlich genommen und nicht vorschnell den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben. Dieser differenzierte Umgang mit Misserfolgen stärkt die Resilienz und schafft die Grundlage für eine Kultur, in der Fehler nicht das Ende, sondern den Beginn von Weiterentwicklung markieren.

  • Energiehaushalt und Wohlbefinden managen

Die Grundlage, um überhaupt optimistisch in die Zukunft blicken zu können, ist unser körperliches und mentales Wohlbefinden. Wer dauerhaft erschöpft ist, verliert die Fähigkeit, positiv in die Zukunft zu blicken. Unternehmen können gezielt dazu beitragen, das Energielevel der Beschäftigten möglichst hoch zu halten. Etwa durch flexible Arbeitszeiten, realistische Zielsetzungen und eine Kultur, die persönliche Grenzen respektiert. Wenn Mitarbeitende und Arbeitgeber achtsam mit der Energie der Beschäftigten umgehen, schützt sie das nicht nur vor Überlastung, auch ihre Handlungsfähigkeit wird langfristig gestärkt.

Alles zum Thema

HR – Mental stark!

Wie kann HR die mentale Gesundheit von Mitarbeitenden, aber auch sich selbst stärken? Kimberly Breuer, nilo -Geschäftsführerin, gibt in ihrer monatlichen Kolumne Tipps und Inspiration für den Arbeitsalltag. 

Drei Tipps für Mikro-Optimismus im Alltag

Auch auf individueller Ebene lässt sich Optimismus durch kleine Gewohnheiten gezielt stärken. Hier drei einfache Impulse für Mikro-Optimismus im Alltag:

  • Den Tag mit einem Morgen-Ritual starten: Eine kleine Sache bewusst wahrnehmen, die gut gelaufen ist oder auf die man sich freut – etwa ein nettes Gespräch, ein Sonnenstrahl oder der erste Kaffee.
  • Die Lösung fokussieren: Bei Alltagspannen wie einem verspäteten Bus oder einer verlorenen E-Mail aktiv fragen: „Was kann ich jetzt tun?“ Der Blick auf konkrete Handlungsschritte statt auf Ärger stärkt das Gefühl von Selbstwirksamkeit.
  • Positive Sprache im Selbstgespräch: Negative Gedanken durch realistische, wohlwollende Formulierungen ersetzen – zum Beispiel: „Das war nicht ideal, aber ich kann daraus lernen.“ 

Mit Mikro-Optimismus die Zukunft gestalten

Mikro-Optimismus ist keine naive Weltflucht, sondern eine bewusste Entscheidung für Handlungsfähigkeit und Zuversicht im Arbeitsalltag. In einer Zeit, die oft von Unsicherheit und Überforderung geprägt ist, kann diese Haltung zum stabilisierenden Faktor werden: individuell, im Team und für ganze Organisationen. Führungskräfte und HR können entscheidend dazu beitragen, Mikro-Optimismus zu verankern – durch Strukturen, die Selbstwirksamkeit ermöglichen, durch transparente Kommunikation und durch Angebote, die mentale Stärke gezielt fördern. Denn auch in Zeiten von Polykrisen gilt: Fortschritt beginnt im Kleinen. Und genau dort lässt sich die Zukunft gestalten.