Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nur dann wirksam, wenn der
Arbeitgeber zuvor im Detail geprüft hat, welche Tätigkeit der
Arbeitnehmer nach längerem Ausfall ausüben könnte. Welche Umstände
müssen konkret berücksichtigt werden?
Zum Betrieblichen
Eingliederungsmanagement (BEM) ist im Oktober 2015 eine interessante
Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin ergangen, die die gefestigte
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts konkretisiert: Danach muss der
Arbeitgeber genau prüfen, ob der Arbeitnehmer nach längerem Ausfall
(wieder) beschäftigt werden kann. Wird ein derartiges BEM mit dem Ziel
der Wiedereingliederung des Arbeitnehmers nicht durchgeführt, kann eine
krankheitsbedingte Kündigung unwirksam sein.
Dem Arbeitsgericht
lag ein Fall zur Entscheidung vor, in dem der Arbeitgeber einem
Arbeitnehmer wegen dessen Fehlzeit und der ihm dadurch entstehenden
Kosten kündigte. Der Arbeitnehmer war wegen einer Tumorerkrankung länger
als ein Jahr arbeitsunfähig erkrankt. Das Gericht stellte fest, dass
der Arbeitgeber im Rahmen eines „organisierten Suchprozesses“ zu prüfen
habe, ob und gegebenenfalls in welcher Weise dem Arbeitnehmer der
Wiedereinstieg ermöglicht werden kann. Wird ein derartiges BEM nicht
durchgeführt, kann – wie im beschriebenen Fall des Arbeitnehmers– eine
ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung unverhältnismäßig und
rechtsunwirksam sein. Dies hat das Arbeitsgericht Berlin unter
Konkretisierung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
entschieden.
Anforderungen an einen organisierten Suchprozess
Zu
einem organisierten Suchprozess gehören das Gespräch zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, unter Umständen die Einbeziehung von
externem Sachverstand und – in dafür geeigneten Fällen – die stufenweise
Wiedereingliederung des Arbeitnehmers im Rahmen des sogenannten
Hamburger Modells: Diese Wiedereingliederung soll arbeitsunfähigen
Beschäftigten ermöglichen, sich schrittweise wieder an die bisherige
Arbeitsbelastung zu gewöhnen. Sie wird vom Arzt in Abstimmung mit
Patient und Arbeitgeber verordnet und soll nach längerer Krankheit den
Wiedereinstieg in den alten Beruf erleichtern.
Weitere
Anforderungen an den Suchprozess sind: Der Arbeitgeber muss prüfen, ob
mögliche Änderungen der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte als auch
eine mögliche Umgestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der
Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit den Wiedereinstieg für den
Arbeitnehmer erleichtern. Allerdings gibt es auch Fälle, bei dem ein Mitarbeiter
trotz durchgeführter Arbeitsplatzanpassungen nicht auf seinen alten
Arbeitsplatz zurückkehren kann. In einem solchen Fall rät der auf
BEM-Fälle spezialisierte Berliner Rechtsanwalt Stefan Nau: „Wenn ein
Mitarbeiter wider Erwarten trotz durchgeführter Arbeitsplatzanpassungen
nicht auf seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren kann, sollte der
Arbeitgeber ihm eine leidensgerechte Tätigkeit – gegebenenfalls auch
nach Umschulung – auf einem vorhandenen freien oder in absehbar frei
werdenden Arbeitsplatz anbieten. Verpflichtet ist er dazu allerdings
nicht.“
Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung
Gesetzlich
geregelt ist die Wiedereingliederung seit dem Jahr 2004: Danach ist der
Arbeitgeber dazu verpflichtet, ein BEM mit dem Ziel der stufenweisen
Wiedereingliederung des Arbeitnehmers durchzuführen, wenn der
Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen
ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig krank ist (§84 Abs.2 SGB
IX). Allerdings wird die Verletzung dieser Pflicht nicht unmittelbar
sanktioniert, weshalb ein gewisser Spielraum zur Entscheidung besteht,
ob und zu welchem Zeitpunkt das BEM durchgeführt werden soll.
Die
Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung, die von sechs Wochen bis
zu sechs Monaten dauern kann, kann von allen gesetzlich
Krankenversicherten in Anspruch genommen werden, solange sie Krankengeld
oder Übergangsgeld beziehen (> mehr dazu im dritten Artikel). Stellt
sich heraus, dass der Arbeitnehmer während des
Wiedereingliederungsverfahrens nicht voll beschäftigt werden kann, kommt
die Krankenkasse für die Lohnausfallkosten auf.
Sonderfall Schwerbehinderung
Schwerbehinderte
Menschen haben ebenfalls einen Anspruch auf stufenweise
Wiedereingliederung und können diesen unmittelbar ohne Zustimmung des
Arbeitgebers durchsetzen. Sie müssen dazu eine ärztliche Bescheinigung
vorlegen, aus der sich die Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung,
Beschäftigungsbeschränkungen, Umfang der täglichen oder wöchentlichen
Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Außerdem muss die
Bescheinigung eine Prognose enthalten, wann „voraussichtlich“ die
Wiederaufnahme der Tätigkeit erfolgen kann. Wenn diese Voraussetzungen
nicht vorliegen, kann der Arbeitgeber die Wiedereingliederung ablehnen.
Im Streitfall kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer seinen Anspruch
beim Arbeitsgericht einklagen.
BEM ist eine freiwillige Maßnahme
Grundsätzlich
sieht der Gesetzgeber vor, dass sowohl der Arbeitgeber als auch der
Betroffene dem BEM-Verfahren zustimmen muss, denn hierbei handelt es
sich um eine freiwillige, selbstverantwortliche Maßnahme. Allerdings
sollte der Betroffene beachten, dass bei einer krankheitsbedingten
Kündigung ein von ihm abgelehntes BEM zu seinem eigenen Nachteil führen
kann beziehungsweise der Arbeitgeber vor Gericht eine Kündigung leichter
verteidigen kann: „Der Einwand des Arbeitnehmers in einem
Kündigungsschutzprozess, es sei kein betriebliches
Eingliederungsmanagement durchgeführt worden, ist in einem solchen Fall
unbeachtlich“, weiß Rechtsanwalt Dr. Rainer Aßhauer, Fachanwalt für
Arbeitsrecht aus Düsseldorf.
Das Recht des Arbeitnehmers zieht
jedoch auch eine Pflicht zur aktiven Mitwirkung nach sich. Daher ist es
wichtig, dem Betroffenen die Angst vor dem BEM zu nehmen und ihm wie der
gesamten Belegschaft die Chancen und den Sinn des Verfahrens zu
vermitteln. Voraussetzung dafür ist eine sensible, offene und
transparente Vorgehensweise. Auch wenn es keinen Standard für ein BEM
gibt, handelt es sich um einen strukturierten Prozess, der im Betrieb
festen Regeln folgen muss. Diesen durch eine Betriebsvereinbarung zu
regeln, ist daher zu empfehlen.
Neben der Organisation des
Prozesses, der Festlegung ausgearbeiteter Maßnahmen sollten in einer
solchen Betriebsvereinbarung unter anderem auch die Maßnahmen zur
Qualifizierung der Vorgesetzten im BEM-Prozess, datenschutzrechtliche
Bestimmungen und die Dokumentation zur Wirksamkeit durchgeführter
Maßnahmen festgeschrieben werden. (an)
Linktipp:
> Handlungsleitfaden für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement der Hans-Böckler-Stiftung
> Jetzt weiterlesen: Helfer im BEM-Verfahren
Noch mehr Wissenswertes finden Sie in unserem > Themenspecial „BEM“.