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Urlaubstag für Muslime: Nur nichts abgeben

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„Skandal! Privilegierte Bayern arbeiten weniger als Berliner!“ Könnten Sie sich so eine Schlagzeile vorstellen? Wohl eher nicht. Aber kaum etwas eignet sich so gut als Aufregerthema des Tages wie muslimische Feiertage oder religiöse Konventionen. So geschehen mit einer neuen Regelung in Schleswig-Holstein. Hier können Angestellte, Beamte sowie Schülerinnen und Schüler künftig eine Freistellung für den ersten Tag des Ramadans und des Opferfests beantragen. Dies regelt ein neu aufgesetzter Vertrag zwischen dem Land und dem Landesverband der Islamischen Kulturzentren Norddeutschland.

In den sozialen Medien kocht nach medialer Berichterstattung einmal wieder die sprichwörtliche deutsche Volksseele. Allein unter dem Beitrag des Magazins Der Spiegel zu dem Thema haben sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels rund 1.500 Kommentare angesammelt. „Deutsche Feiertage nur für Deutsche!“ „Bankrotterklärung unserer Kultur!“ ist hier zu lesen und auch die Bild-Zeitung titelt einen „Wirbel um Regierungsmeldung“ herbei, den es so in Wirklichkeit gar nicht gibt.

Denn: Niemand bekommt auch nur einen freien Tag mehr. Mitarbeitende in Schleswig-Holstein haben nun lediglich die Möglichkeit, eine Freistellung zu beantragen. Und diese „kann vom Arbeitgeber auch aus betrieblichen Gründen abgelehnt werden“, erklärt Arbeitsrechtler Dr. Alexander Bissels in einem Post auf LinkedIn . Wird der Antrag genehmigt, werden die freien Tage vom regulären Urlaubskontingent abgezogen. Wer keine Urlaubstage mehr übrig hat, kann also auch am Opferfest nicht ohne Weiteres freinehmen.

Urlaubstage sind bereits ungleich verteilt

Die neue Regelung in Schleswig-Holstein ist also kaum eine Schlagzeile oder Aufregung wert. Insbesondere weil es schon lange individuelle Handhabungen der gesetzlichen Feiertage in den Bundesländern gibt. Hier gibt es zwar nicht unterschiedlich viele Feiertage je nach Religionszugehörigkeit, wohl aber je nach Wohnort. Angefangen mit den gesetzlichen christlichen Feiertagen: Wer in Bayern lebt, muss drei Tage weniger im Jahr arbeiten als Einwohnerinnen und Einwohner in Berlin, ohne jemals eine Kirche von innen gesehen zu haben. Und in Nordrhein-Westfalen legt das Feiertagsgesetz fest, dass auch jüdische Mitarbeitende am Tag des Neujahrsfests Rosch ha-Schana, am Vorabend des Versöhnungstags Jom Kippur und an diesem Tag selbst Urlaub beantragen können.

„Das Feiertagsgesetz sieht jedoch explizit vor, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, diese Freistellung zu vergüten. Staatlich anerkannte Feiertage anderer Religionen gibt es weder in NRW noch in anderen Bundesländern,“ heißt es im Blog der Anwaltskanzlei Kliemt.

Was dagegen üblich ist, sind interne Sonderregelungen. Viele Unternehmen im Rheinland bieten ihren Mitarbeitenden den Rosenmontag im Zuge der „Brauchtumspflege“ über den Arbeitsvertrag als zusätzlichen bezahlten Urlaubstag an, zur großen jährlichen Verwunderung von Geschäftskontakten in Bundesländern, an denen dieser Montag ein Tag wie jeder andere ist.

Der Islam wird immer noch als fremd angesehen

Warum wird nicht hier diskutiert, ob im Jeckenkostüm mit Kölschglas in der Hand schunkeln einen ganzen Urlaubstag mehr rechtfertigt? Der Grund ist klar: Das eine gilt als deutsches Brauchtum, das andere als fremd, immer noch, obwohl hierzulande laut Zahlen der Deutschen Islam Konferenz inzwischen rund 3 Millionen Menschen muslimischen Glaubens die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Zum Vergleich: Derzeit sind etwa 2,6 Millionen Menschen in Deutschland alleinerziehend. Werden sie beschimpft, weil sie innerhalb von Unternehmen Unterstützung erfahren, die in einem Haushalt mit zwei Elternteilen nicht gebraucht werden?

Bei der emotionsgeladenen Debatte wird all das vergessen. Es ist das alte Thema. Das „E“ in Diversity, Equity und Inclusion fühlt sich immer als Verlust an. Warum sollen „die“ haben, was „wir“ nicht bekommen? Viele Unternehmen haben längst verstanden, dass es bei Equity darum geht, dass möglichst alle Mitarbeitenden dieselben Chancen und Privilegien bekommen sollten, und haben schon lange Wege dafür gefunden. Und halten im Kommentargefecht dagegen, wie beispielsweise Susanne Loosen, Bürokauffrau und Fraktionsvorsitzende der SPD Erftstadt. Sie schreibt unter dem Spiegel-Artikel auf Facebook: „Das ist gelebte Praxis seit vielen Jahren in vielen Unternehmen. Und sie hat sich bewährt.“

Info

Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Management und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Thema Diversity.