„Wer hat Angst vor KI?“ Mit dieser Frage startete die erste Keynote des Deutschen Personalwirtschaftspreises am vergangenen Montag in den Kölner Balloni-Hallen. Dr. Andreas Moring, Professor für Künstliche Intelligenz an der International School of Management ISM in Hamburg, gehört jedenfalls nicht dazu. Er hält die Schreckensvision einer von Maschinen beherrschten dystopischen Welt für nicht realistisch. Künstliche Intelligenz habe zwar mächtige, aber begrenzte Fähigkeiten. Diese teilte der Experte in die Domänen Erkennen, Zuordnen, Vergleichen, Optimieren und Prognostizieren ein. Und die KI sei dem Menschen nur in den ersten drei überlegen, erklärte Moring. In den letzten zwei sei eine KI nur in stabilen Umfeldern verlässlich – was nicht auf die Arbeit mit Menschen, wozu auch HR zählt, zutrifft. „Ich rate zu Vorsicht vor zu viel KI in diesem Bereich“, warnte Moring.
Kluge Arbeitsteilung
Wird die KI also Jobs übernehmen? In Teilbereichen, meint Moring. Im Recruiting könne sie zum Beispiel die Beschreibung von Zuständigkeiten optimieren, neue Teilaufgaben erkennen und sie gegebenenfalls übernehmen, beispielsweise das Automatisieren bestimmter Aufgaben. Da viele Jobbeschreibungen so von Grund auf verändert würden, ist die Prognose von Moring, dass zukünftig ganz neuartige Berufsprofile entstehen werden.
Eine Beschäftigung mit KI ist in seinen Augen jedoch für Personalverantwortliche unumgänglich, vor allem, um Berührungsängste abzubauen und ein besseres Verständnis für das zu schaffen, was generative KI leisten kann und was nicht: „Alles, was ChatGPT tut, ist, das wahrscheinlichste nächste Wort zu raten.“ Intuition sieht Moring als eine menschliche Fähigkeit, die nie von einer KI geschlagen werden kann. Er ermutigt Personalverantwortliche dazu, auch bei der Arbeit mit KI-Tools stets auf ihr Bauchgefühl zu hören. „Wir wissen eigentlich, was richtig ist, bekommen von der KI dann aber eine optimierte, andere Berechnung.“ Sich dann für menschliche Intuition auszusprechen sei ein mutiger und manchmal unbequemer Weg, der sich aber lohne.
Eine KI ist zweckoptimiert, sie kann nicht neutral sein, nur objektiver.
Prof. Dr. Andreas Moring
KI als Chance für Fairness
Im Anschluss an Andreas Morings Vortrag lud Christina Petrick-Löhr, Redakteurin der Personalwirtschaft, zu einer Paneldiskussion ein. Als weitere Gesprächspartnerin kam Dr. Annika von Mutius in die Runde, Co-Founderin der Empion GmbH. Auf die Einstiegsfrage, was bei der von Moring vorgeschlagenen Arbeitsteilung im Recruiting denn noch für den Menschen übrig bliebe, betonte von Mutius, dass wir noch ganz am Anfang in der KI-Entwicklung stünden: „Trainingsdaten werden noch gesammelt. Feature Engineering passiert auf Basis menschlicher Entscheidungen.“ Andreas Moring sah die Aufgaben der Maschine begrenzt im Vorscannen und -selektieren der passenden Kandidatinnen und Kandidaten mit „klarem Anforderungsprofil nach Fachwissen“. Doch kommen Kompetenzen ins Spiel, könnten diese seiner Meinung nach nur von menschlichen Recruiterinnen und Recruitern beurteilt werden.
Petrick-Löhr gab zu bedenken, dass viele Jobsuchende nun außerhalb der Norm lägen und so gegebenenfalls von der KI gar nicht berücksichtigt würden. Von Mutius erklärte, dass gerade diese Bewerberinnen und Bewerber durch die KI gewännen. Denn man könnte der KI vorgeben, was sie bei der Bewertung berücksichtigen soll und was nicht, wie beispielsweise Lücken im Lebenslauf: „Feature Engineering ist eine Chance für faire Entscheidungen und das fairere Lesen von Lebensläufen.“ Moring warf ein, dass die Neutralität der KI eine Illusion sein. „Zahlenbasiert bedeutet nicht gleich neutral. Eine KI ist zweckoptimiert, sie kann nicht neutral sein, nur objektiver.“
Müssen People-Expertinnen und -Experten künftig auch auf den Umgang mit KI geschult werden, oder ansonsten Furcht haben, von der KI ersetzt zu werden? Die Furcht sei unbegründet, meinte von Mutius. „Autonomes Recruiting kann manches Aufgabenfeld bedrohen, aber es ist noch ein weiter Weg dahin.“ Sie zitierte den Spruch: „Recruiter und Recruiterinnen werden nicht von der KI, sondern von Recruitern und Recruiterinnen ersetzt, die mit der KI umgehen können.“
Andreas Moring plädierte dafür, sich nicht vor neuen, revolutionären Veränderungen zu fürchten. LinkedIn, so der Experte, sei auch einmal neu und unbekannt gewesen und jetzt aus der Arbeit von HR kaum mehr wegzudenken. „Generative KI ist nur eine weitere neue Schwelle.“ Personalverantwortliche könnten, statt sich zu fürchten, lieber ChatGPT nutzen, um niedrigschwellig den Umgang mit generativer KI zu lernen.
Autonomes Recruiting kann manches Aufgabenfeld bedrohen, aber es ist noch ein weiter Weg dahin
Dr. Annika von Mutius
Mehr Verständnis nötig
Zur Frage nach der EU-Einstufung für Hochrisikosysteme kommentierte Annika von Mutius: „Es ist schade, dass sich Europa so verschrecken lässt.“ Länder wie China oder die U SA seien hier weiter als Deutschland, was auch mit der teils sehr dramatischen Medienberichterstattung über Künstliche Intelligenz hierzulande zusammenhinge. „Es ist keine Technikfeindlichkeit, aber Skepsis“, meinte Andreas Moring, der befürchtet, dass die von der EU geplanten Schranken die Innovationsfreude in Europa ausbremsen könnten.
Bestimmte Zweifel seien in seinen Augen jedoch berechtigt: „KI hat auch im Recruiting bereits Versprechen gemacht, die nicht gehalten werden konnten, zum Beispiel die Erkennung von menschlichen Emotionen anhand von Gesichtsausdrücken. Das ist unmöglich, egal was Hersteller hier versprechen.“ Annika von Mutius zeigte Verständnis für die Angst vor der immer weiteren Verbreitung von KI, wünscht sich aber mehr Nähe zur Thematik. „Dann sieht man auch, dass KI Fehler machen kann und alles andere als perfekt ist.“
Die Runde endete mit zwei Statements: Für Andreas Moring ist die Rolle von KI in HR spannend, weil sie HR dazu bringt, über menschliche Fähigkeiten nachzudenken und resiliente Entscheidungen zu treffen. Annika von Mutius meint, dass KI datengetriebene, faire Entscheidungen in HR vorantreibt. „Und das ist cool“, so die Gründerin.
Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Management und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Thema Diversity.

