Bei Burnout denken wir in der Regel zuerst an ein individuelles Problem. Aber auch Unternehmen können als soziale Systeme ihre Kräfte aufreiben. Thematisiert wird das nur selten. Woran kann HR erkennen, dass die Organisation auf ein Burnout zuläuft und wie kann man effektiv gegensteuern?
Organisationales versus organisiertes Burnout
Wenn wir von organisationalem Burnout sprechen, geht es nicht darum, dass besonders viele Mitarbeitende vom Erschöpfungssyndrom betroffen und damit weniger zufrieden, weniger leistungsstark und auf den unterschiedlichsten Ebenen ausgelaugt sind. In solchen Fällen spricht man von organisiertem Burnout.
Beim organisationalen Burnout ist vielmehr das Unternehmen an sich erschöpft und handlungsunfähig. Es erkennt seinen Zustand, kann ihn aber aus eigenen Mitteln nicht mehr verbessern. Ein organisationales Burnout führt meist zu weniger Produktivität, dann zu vermehrten Mitarbeiterwechsel und schließlich zum Scheitern der Firma.
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Auch in unserer Juli/August-Ausgabe haben wir uns mit dem Thema Erschöpfung und mentale Gesundheit beschäftigt. Darin beantworten wir unter anderem die Fragen, warum so viele Menschen momentan erschöpft sind und was die Arbeit damit zu tun haben kann. Hier geht’s zum E-Paper!
Woran erkenne ich, dass mein Unternehmen auf ein Burnout zuläuft?
Viele Unternehmen reagieren in schwierigen wirtschaftlichen Situationen mit Budgetkürzungen, Einschränkung von Autonomie und einem harscheren Umgangston. Aber auch in Boom-Zeiten können steigende Ansprüche und immer mehr Erfolgsdruck die Energie im Unternehmen aufzehren. Laut dem Unternehmensberater Gustav Greve, kann der Verlauf eines organisationalen Burnouts in vier Phasen mit unterschiedlichen Symptomen unterteilt werden:
- Latente Phase: Die Produktivität nimmt ab
In der ersten Phase funktionieren Abläufe im Unternehmen immer weniger reibungslos. Immer mehr Mitarbeitende fühlen sich ständig unter Zeitdruck und signalisieren, dass es ihnen an Ressourcen mangelt.
- Akute Phase: Innovationen bleiben aus
In der nächsten Phase werden Unsicherheiten häufiger und deutlicher spürbar. Auch kleine Innovationen bleiben aus. Gleichzeitig steigen die Ansprüche an Mitarbeitende und Führungskräfte. Die Stimmung wird oft zynisch, das Denken immer mehr schwarz-weiß und immer mehr Menschen im Unternehmen handeln hauptsächlich reaktiv.
- Chronische Phase: Erste Gefühle von Machtlosigkeit kehren ein
In der chronischen Phase beginnen Führungskräfte, sich zurückzuziehen. Sie sind nicht mehr so präsent und engagiert. Auch immer mehr Leistungsträger fühlen sich machtlos. Einige kündigen innerlich, andere tatsächlich.
- Letale Phase: Das System kollabiert
In der letzten Phase schaffen es Unternehmen nicht mehr, sich aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln zu erholen. Die Stimmung ist hoffnungslos, und es herrscht das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben.
Nicht selten versuchen Organisationen in den früheren Phasen gegenzusteuern, verstärken aber durch ungünstige Maßnahmen nur das Problem. Sie verlangen schnellere und härtere Arbeit, was jedoch zu wenig Erfolg führt. Eine Überorganisation oder eine Unterregulierung der Prozesse sind auch häufige Reaktionen.
Was sind Ursachen für organisationales Burnout?
Verstehen Arbeitgeber die Ursachen und versuchen, diese in ihrem Unternehmen zu vermeiden, kann organisationalem Burnout vorgebeugt werden. Organisationen haben Ressourcen, Werte, Fähigkeiten und ein Umfeld – all diese Faktoren bestimmen, wie gesund und erfolgreich Unternehmen agieren. Wenn diese Faktoren im Gleichgewicht sind, kann das Unternehmen nachhaltig wachsen und Herausforderungen meistern.
Ein anhaltendes Ungleichgewicht kann die Energiereserven des Unternehmens aufzehren. Dieses Ungleichgewicht kann durch äußere oder innere Bedingungen entstehen: Äußere Bedingungen sind beispielsweise erhöhter Druck durch Kunden oder neue Konkurrenz, geänderte Gesetzeslagen, enormes Wachstum oder Veränderungen wie eine Fusion. Zu den internen Bedingungen zählen Ressourcenstress, wie fehlende Kompetenzen oder Zeit, übertriebene Erwartungen, Erfolgsdruck und Erfolgsarroganz (Überheblichkeit durch frühere Erfolge kann die Fähigkeit zu realistischen Einschätzungen beeinträchtigen). Ein weiterer interner Faktor ist eine fehlende Unternehmensidentität, die durch häufige Strategie- oder Führungswechsel oder durch Reorganisationen entstehen kann.
Wie kann man der Erschöpfung gegensteuern und ihr vorbeugen?
Der erste wichtige Schritt ist das Anerkennen des Burnout-Problems innerhalb der Organisation. Erst dann wird es für Unternehmen möglich, in der Situation aktiv gegenzusteuern. Hierfür können sich Unternehmen an folgenden vier Schritten orientieren:
1. Situation analysieren
Bevor konkrete Maßnahmen ergriffen werden, sollten Unternehmen erkennen, wie sie normalerweise auf Druck und Stress reagieren. Sind diese Reaktionen langfristig nicht hilfreich, um den Unternehmenserfolg zu sichern, können sich Arbeitgeber fragen: Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um mit Druck und Stress als Organisation umzugehen? Ziel der Analyse ist es, bessere und weniger belastende Lösungen zu finden. Eine externe Unterstützung durch Coaches oder Expertinnen und Experten aus dem Bereich mentale Gesundheit am Arbeitsplatz kann dabei oft hilfreich sein.
2. Deutlichen Neustart einleiten
Ein Neustart muss klar angesprochen und transparent kommuniziert werden, um Unsicherheiten zu vermeiden. Es ist wichtig, offen über die Herausforderungen und geplanten Veränderungen zu sprechen. Die Vision und Strategie der Firma sollten deutlich gemacht werden, um eine klare Richtung vorzugeben. Danach sollten realistische Erwartungen und Ziele für die Mitarbeitenden festgelegt werden: Welche Projekte werden gestrichen? Welche Arbeitslast ist machbar? Welche Ergebnisse werden erwartet?
3. Unternehmenskultur verbessern
Eine positive Unternehmenskultur wirkt als Schutzmaßnahme, denn sie prägt das Verhalten und Handeln aller Mitarbeitenden. Zu einer solchen Kultur gehören unter anderem:
- eine Werteorientierung, die gemeinsame Prinzipien und Normen festlegt, nach denen alle handeln
- die Fähigkeit, Veränderungen zu erkennen und darauf zu reagieren
- die Kompetenz, Mitarbeitende und ihre Leistungen regelmäßig anzuerkennen
- die Fähigkeit, einen bewussten Wechsel zwischen intensiven Arbeitsphasen und Erholungszeiten zu planen und umzusetzen
4. Messen und Nachjustieren
Das Energielevel im Unternehmen regelmäßig zu messen, ist wichtig. Zum Beispiel kann das Energielevel im Team auf einer Skala von eins bis zehn abgefragt werden und die mentale Gesundheit durch entsprechende Umfragen messbar gemacht werden. Führungskräfte und HR sollten offen mit den Mitarbeitenden sprechen, ihnen zuhören, ihre Bedürfnisse verstehen und gegebenenfalls Maßnahmen einleiten, um den Bedürfnissen besser gerecht zu werden. Zudem ist es wichtig, regelmäßig zu überprüfen, ob die Maßnahmen funktionieren, und sie bei Bedarf anzupassen.
Wie kann HR am besten unterstützen?
HR kann eine entscheidende Rolle dabei spielen, organisationales Burnout rechtzeitig zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen. Unter anderem indem Personalerinnen und Personaler:
- Den Status quo erfassen: Durch Umfragen oder regelmäßige Check-ins, die den aktuellen Zustand und die Stimmung im Unternehmen erfassen, kann HR erfassen, wie mental gesund das Unternehmen aktuell ist und Ergebnisse für das Management und die Führungskräfte greifbar machen.
- Die Führung sensibilisieren: Klare Werte und ein starkes Leitbild geben Mitarbeitenden Orientierung und helfen, ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen. Daher sollte HR gemeinsam mit Führungskräften daran arbeiten, diese zu definieren. Darüber hinaus können Führungskräfte durch Schulungen und Workshops zum Thema mentale Gesundheit am Arbeitsplatz sensibilisiert werden.
- Wichtige Richtlinien etablieren: Klare Richtlinien für die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz sind essenziell. Diese können Regelungen für Pausen, flexible Arbeitszeiten und den Zugang zu mentaler Unterstützung umfassen. Solche Richtlinien helfen, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen und die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden zu fördern.
- Notwendige Ressourcen bereitstellen: Mit den richtigen Ressourcen kann HR die Resilienz der Mitarbeitenden stärken und die mentale Gesundheit im Unternehmen in den Fokus rücken. Zu solchen Ressourcen gehören beispielsweise der Zugang zu Trainingsprogrammen für Stressbewältigung und Resilienz, Workshops zur Verbesserung der Kommunikation im Team sowie Angebote für psychologische Unterstützung wie zum Beispiel eine Plattform für mentale Gesundheit.
