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Kompetenzentwicklung, quo vadis?

Unternehmen befinden sich in einem extremen Innovationswettbewerb. Viele arbeiten an der Grenze ihrer Kompetenzen und Kapazitäten: Menschen stehen immer häufiger vor völlig neuartigen komplexen Herausforderungen. Dementsprechend verändern sich auch die Kompetenzbedarfe immer schneller, oder diese sind ex ante gar völlig unbekannt. Auch sind die Art und Weise, wie, mit wem oder wo Zukunftskompetenzen erworben werden können, oft ex ante nicht klar. Wir befinden uns also mitten in einem „Learning Race“, ohne die Laufrichtung zu kennen. Aber eines steht fest: Der schnellste Lerner oder die schnellste Lernerin gewinnt.

Wie muss das heutige Lernen sein?

Bei klassischen Lernangeboten sind die Inhalte oft relativ generisch und passen nicht zu betrieblichen Situationen. Lernen auf Vorrat und nach Schulungsplan ist schon wegen der geringen „Halbwertzeit“ des Wissens wenig sinnvoll. Das Wissen ist schon veraltet, wenn es eingesetzt werden soll. Alles der Reihe nach, Modul für Modul allein büffeln, dann Prüfungen ablegen, die Zertifizierung bekommen und danach im Betrieb mit dem Transfer in die Praxis beginnen, ist ein Auslaufmodel. Der Transfer erfolgt zeitversetzt, umständlich oder aufwendig. Es fehlt die örtliche und zeitliche Flexibilität, um Kompetenzentwicklung im Arbeitsalltag zu integrieren. Den neuen Lerngewohnheiten und dem dringend erforderlichen sozialen Teamlernen werden die klassischen Lernformate nicht gerecht.

Doch wie kann Schulung oder Training auf das vorbereiten, was Mitarbeitende im Betrieb wirklich brauchen? Oder wie lernen eigentlich die Digital Natives? Digitalisierung und mobile Endgeräte durchdringen alle ihre Lebensbereiche. Probleme, Herausforderungen und Aufgaben sind Lernauslöser. Technologieunterstütztes Lernen wird im Sinne digitaler und mobiler Anwendungen in sozialen Netzwerken wie Facebook und LinkedIn, bei Youtube & Co sowie über Podcasts und Messengerdienste genutzt. Spielerisches Lernen – Gamification – ist in Apps und Netzanwendungen integriert. Dabei wird intrinsisch, selbstorganisiert, in kurzen Sequenzen, entkoppelt von Zeit und Ort gelernt. Doch leider treffen diese Lerngewohnheiten oft auf eher starre, hierarchische Organisationen.

Ist agiles Projektlernen eine Lösung?

Pate für das agile Projektlernen steht der Ansatz des Scrum, der bei komplexen Fragestellungen ohne vorbestimmten Lösungsweg und ohne konkrete langfristige Ergebnisprognose eingesetzt wird. Anforderungen, Ziele und Vorgehen können sich dabei in kurzen Zyklen ändern und entwickeln.

Gelernt wird in kurzen Zyklen: Planen, Umsetzen, Reflektieren. Erkenntnisse aus der jeweils vorangegangenen Reflexion zum Lernfortschritt und zum Lernprozess, werden in der Planung für den nächsten Zyklus ebenso berücksichtigt wie neue Anforderungen, die sich inzwischen aus der Arbeit ergeben haben. Mitarbeitende qualifizieren sich so in Lernsprints und iterativen Schritten im multidisziplinären Team für konkrete Herausforderungen im Arbeitsalltag. So gelingt es, zeitnah Lernziele und -wege zu überdenken und zielführendere Wege zu finden. Auf Veränderungen der Lernanforderungen kann schnell reagiert werden; das Lernen wird der Dynamik gerecht.

Das Lernen zielt auf einen konkreten Bedarf im Projekt ab, der in einem partizipativen Prozess erhoben wird. Es entsteht Transparenz, die es den Verantwortlichen und den Lernenden erlaubt, den Mehrwert der neu zu erwerbenden Kompetenzen zu erkennen.

Mit den Lernaufgaben wird das erfahrungsorientierte Lernen im realen Kontext der betrieblichen Aufgaben integriert. So werden neue berufliche Kompetenzen entwickelt, Handlungsfähigkeit sichergestellt und die Leistungserbringung gestärkt.

Die Akteure beim agilen Projektlernen (Ulrich G. Schnabel)

Agiles Projektlernen hat seinen Schwerpunkt im personalisierten Lernen. Die Lernenden und deren Lernpräferenzen, die Lernintentionen (pull), das Experimentieren und dabei lernen, die Teaminteraktionen und -ergebnisse sind zentral. Die Sinnhaftigkeit, die Selbstbestimmung (Autonomie) und ein selbstgesteuertes Sammeln von Erfahrungen der Lernenden bei der betrieblichen Aufgabe stehen im Vordergrund. Dadurch werden die Potentialentfaltung und das Streben nach Wirksamkeit der Lernenden ermöglicht.

Das agile Projektlernen wird durch eine breite Technologiebasis des informellen Lernens vor Ort unterstützt. Hierzu gehören Learning-Experience-Plattformen (LXP), Plattformen für Austausch, Zusammenarbeit (Social Collaboration) oder für adaptives Lernen sowie intelligente tutorielle Systeme oder Augmented-, Virtual- und Extended Reality. Ebenso können Lern-Management-Systeme (LMS), Plattformen für Wissensaustausch, Wissensmanagement (KM), Microlearning (Plattformen/Bibliotheken) oder Learning Record Stores (LRS) als Technologien des formalen Lernens genutzt werden.

Was braucht agiles Lernen, damit es funktioniert?

Agiles Projektlernen erfolgt beispielsweise auf der Basis eines Auftrags einer Führungskraft und ist vom Auftraggeber mit Ressourcen auszustatten und im Betrieb einzuplanen. Folgende Bestandteile machen das agile Projektlernen aus:

  • Lernauftrag: Eine Führungskraft hat ein betriebliches Anliegen oder neuartige Projektaufgaben, die durchgeführt werden müssen. Als Auftraggeber vergibt sie einen Projekt- und zugleich einen Lernauftrag. Mitarbeitende klären diese Anliegen mit der Führungskraft, so dass daraus ein Auftrag für ein Projekt formuliert werden kann. Der Lernauftrag wird formuliert, Anforderungen dafür identifiziert und priorisiert. Ein methodischer Lernbegleiter führt in das agile Projektlernen ein und begleitet es.
  • Lernteam: Das Lernteam muss sich formieren und einen methodischen Lernbegleiter sowie für mögliche Fachthemen einen fachlichen Lernbegleiter finden. Das Lernteam setzt sich eigenverantwortlich Lernziele, setzt diese in Sprints um und überwacht sie selbst.
  • Lernplanung: Der fachliche Lernbegleiter erläutert die Aufgaben. Das Lernteam plant das Lernen selbst. Der methodische Lernbegleiter unterstützt die Planungen.
  • Lernphasen: Das Lernteam setzt sich selbständig Lernziele und überwacht diese. Es bearbeitet seine Aufgaben in Lernsprints. Die fachlichen und methodischen Lernbegleiter unterstützen bei Bedarf und auf Anfrage.
  • Lernsprint-Review: Das Lernteam präsentiert seine Ergebnisse. Der fachliche Lernbegleiter gibt Feedback zum Lernfortschritt. Der methodische Lernbegleiter moderiert bei Bedarf den Review und stellt so das Verstehen sicher.
  • Retrospektiven: Das Lernteam reflektiert den Lernprozess. Der methodische Lernbegleiter unterstützt dieses bei der Reflexion und leitet gemeinsam mit dem Lernteam Verbesserungen ab.
  • Terminierung: Das Lernteam zeigt seinen Kompetenzerwerb auf. Der Auftraggeber nimmt die Ergebnisse ab und gibt Kundenfeedback. Lernfortschritt und Erfolg werden am Outcome gemessen. Der Auftraggeber beendet das Lernprojekt oder erteilt bei Abweichungen von den dann aktuellen Anforderungen einen neuen Auftrag.
Agiles Projektlernen im Kontext (Ulrich G. Schnabel)

Agiles Projektlernen starten und etablieren

Das folgende Vorgehen im Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ unterstützt Unternehmen, agiles Projektlernen zu starten und zu etablieren. Das Vorgehen umfasst folgende Module:

  • Erstgespräch, um Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für agiles Lernen oder agiles Projektlernen abstimmen.
  • Agiles Projektlernen unternehmensintern kennenlernen; wichtige Voraussetzungen, Sinn und Zweck, passende Lernthemen, die Vorgehensweise, Schritte und Methoden des agilen Projektlernens erarbeiten.
  • Betrieblichen Auftrag und Lernthema als Pilotprojekt identifizieren; Auftraggeber, Lernteam, fachliche und methodischen Lernbegleiter festlegen.
  • Lernplanung anstoßen und begleiten, Lernphasen des Lernteams begleiten, Lernsprint-Reviews, Retrospektiven und Terminierung begleiten.

Verschiedene Wege der Kompetenzentwicklung in kleinen und mittleren Unternehmen sind in Best Practices aufgezeigt.

Fazit

Mit dem agilen Projektlernen wird die Kompetenzentwicklung in die Arbeitsprozesse integriert und kurzzyklisch an der Praxis ausgerichtet. Aufwendiger Wissenstransfer von der Schulung in die Praxis entfällt. Lernen und Kompetenzentwicklung entstehen beim Experimentieren, Herausfinden und bei der Umsetzung im Lernspint – also beim Tun.

Agile Mindset, Werte, Prinzipien und Methoden sowie ein Auftrag, Zeitbudget und Ressourcen sind Voraussetzung für das agile Projektlernen.

Da Bedarfe in der dynamischen Wirtschaft längerfristig nicht bekannt sind und häufig in multidisziplinären Projekten vor dem Hintergrund des digitalen Wandels kurzfristig entstehen, macht agiles Projektlernen hierfür besonders viel Sinn.

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Organisationen neu denken!

In seiner Kolumne „Organisationen neu denken!“ blickt Dr. Ulrich G. Schnabel in die Zukunft. Er skizziert, wie Unternehmen ihre Organisation und Führungspraxis sowie die Transformation vor dem Hintergrund der Demographie, digitalen Revolution, ökologischen Nachhaltigkeit und starker Dynamik zukunftssicher ausrichten können.