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SAP: Das sagt die HR-Szene zum neuen Bewertungssystem

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Schon seit Jahren gibt es beim Softwarekonzern SAP interne Meinungsverschiedenheiten um die Bewertung von Mitarbeitenden. Der Kurs hat sich laut Berichten aus dem Handelsblatt und der Wirtschaftswoche Mitte März einmal mehr neu ausgerichtet. So sollen Führungskräfte die Leistung der Mitarbeitenden zukünftig auch mittels Kopfnoten bewerten, die sich wie in der Schule auf das Sozialverhalten der Beschäftigten fokussieren. Das Programm, so SAP dem Handelsblatt gegenüber, sei 2023 international ausgerollt worden, in Deutschland liefen aktuell die letzten Schritte zur Einführung.

Der Wirtschaftswoche lag die neue „Betriebsvereinbarung Performance Management“ vor, in der im Detail festgehalten wird, wie Leistung bei SAP zukünftig eingestuft wird. Dort heißt es, dass Leistung und Verhalten in die jährliche Bewertung miteinfließen und in drei Zonen eingeteilt wird: Blau ist die „Exceptional Zone“, grün die „Achievement Zone“, gelb die „Improvement Zone“.

Rückkehr eines veralteten Systems

Dies ist eine deutliche Kehrtwende von vergangener Firmenpolitik. Bereits 2017 schaffte der damalige Personalchef Stefan Ries die Leistungsbenotung im ganzen Konzern ab. In einem Interview mit der F.A.Z. beschrieb Ries derartige Bewertungen als ein Management-Konzept „aus den achtziger Jahren“, das „mittlerweile überholt“ und nicht zeitgemäß sei. „Wir setzen lieber auf einen kontinuierlichen Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, auf einen permanenten Austausch zu den Zielen.“

Drei Jahre später ging Ries, der sich selbst gern als „HR-Punk“ bezeichnete, nach insgesamt 18 Jahren bei SAP. Nachfolgerin wurde Sabine Bendiek, die 2023 den Konzern verließ. Aktuell ist Gina Vargiu-Breuer Chief People Officer von SAP. Die Änderung im Leistungsmanagement scheint vor allem von CEO Christian Klein angestoßen zu werden. Dieser hatte sich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung für mehr Selbstkritik (und mehr Präsenzarbeit) seiner Belegschaft ausgesprochen: „Es geht mir um die Offenheit, jedem Mitarbeiter zu sagen, wie er besser werden kann. Wenn alle sich gegenseitig auf die Schulter klopfen, bringt das niemanden weiter.“

„Die wechselhafte Haltung der Konzernführung bietet Angriffsflächen“ kommentiert Zhengrong Liu die aktuelle Situation in einer Kolumne auf Managementwissen Online. Bis 2022 war Liu als Personalchef und -vorstand in Großkonzernen wie der Beiersdorf AG tätig. Heute lehrt er Leadership Management an der Universität zu Köln und berät unter anderem Berufsanfänger mit Migrationshintergrund. Liu bezeichnet Ries‘ Schritt von damals als „mutig und richtig“ und kritisiert Christian Kleins Äußerungen in der SZ scharf: „Dann lief entweder bei der Umsetzung des Konzepts (von Stefan Ries, d. Red.) etwas gehörig schief. Oder Herr Klein hat das Konzept nicht verstanden.“

Stimmen aus der HR-Szene

Ähnliche Meinungen kommen aus der HR-Szene, in der die Berichte über SAP auf Linkedin diskutiert werden. Arbeitspsychologe Markus Väth hält zwar eine Leistungsbeurteilung an sich nicht für problematisch, das Vergeben von Kopfnoten bei Mitarbeitenden allerdings durchaus: „Während eine Leistungsbeurteilung wenigstens noch auf objektiven Zielen und Ergebnissen basiert, ist eine Verhaltensbeurteilung unter Umständen von subjektiven Eindrücken und persönlichen Vorlieben geprägt.“

„Kopfnoten für Verhalten erinnern an die Schulzeit, wo wir soziales Verhalten lernten“, schreibt Thomas Belker, Leadership-Experte. „Die Erfahrung zeigt: Wenn wir Beurteilungen isoliert vom Führungsprozess betrachten, scheitern wir.“

HR-Blogger Jo Diercks weist auf die dünne Datenlage eines solchen Bewertungsprozesses hin: „Wie soll man beispielsweise ‚Quality of Hire‘ messen und quantifizieren können, wenn man keine Metrik für die berufliche Leistung hat? Wer kein Kriterium hat, kann keine Kriteriumsvalidierung durchführen.“

Und Veronika Birkheim, Employee Experience-Beratering stellt in einem Kommentar die Frage: „‚Performer‘, ‚Achiever‘, ‚Improver‘ – sind dahinter Scores, die zu diesen Kategorien aufsummieren? Kann da nicht auch ein qualitativer Prozess dahinterliegen (zum Beispiel anhand von mehreren validen Faktoren und Subkategorien, die man in seinem Performance Management Tool sieht)? Die Titel-Kategorien an sich sind ja erstmal nur Bezeichnungen. Wie ist denn dort das Performance-Management an sich aufgebaut?“

Betriebsrat steht hinter dem neuen System

Viele derartige Fragen bleiben derzeit offen. Der Personalwirtschaft gegenüber bestätigte SAP zumindest die vergangenen Medienberichte. Ein Sprecher des Unternehmens betonte, dass SAP Bewertungen eine „klare und transparente Struktur“ geben wolle. Dass man versuche, Leistung abhängig von den individuellen Möglichkeiten nach einem definierten Ablauf möglichst fair zu bewerten, hätte auch „etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Und wir halten es für sinnvoll, dass man offen über Ziele und Erwartungen spricht, wenn man gemeinsam etwas erreichen will.“

Auch Hubert Klein, Verhandlungsführer des Betriebsrats, verteidigte laut Wirtschaftswoche in einem internen Schreiben das System und bezeichnet es als „den besten erreichbaren Rahmen, in dessen sich ein Prozess der Leistungsbewertung bei SAP abbilden lässt.“

Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Management und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich mit dem Thema Diversity.