Unser Geschäftsmodell braucht ein Update. Produktion, Marketing und Produktentwicklung arbeiten höchst ungern füreinander. Wir entscheiden zu langsam. Wir müssen mehr agieren und weniger reagieren. Das und Ähnliches höre ich von vielen Organisationen, die sich verändern wollen. Und für all diese Klagen mag es gute Gründe geben. Aber in den meisten Firmen und Behörden ist von dem vermeintlich guten Neuen schon viel da. Welches Unternehmen hat nicht in den vergangenen zwei Jahren quasi über Nacht seine Art des Arbeitens massiv verändert? Das „schlechte Alte“ ist gar nicht so allumfassend, wie es die Change-Beauftragten gern darstellen. Organisationen sind häufig viel besser als ihr Ruf, sonst gäbe es sie nicht mehr – nur kommen sie nicht immer dazu, das zu zeigen.
Viele Change-Kommunikatoren glauben, dass sie mit Angst- und Schreckensszenarien Mitarbeitenden klarmachen müssen und können, warum es so, wie man bisher gearbeitet hat, auf keinen Fall weitergehen kann. Von vorhandenen Stärken, von Visionen, von Ressourcen ist kaum die Rede. Das schwächt oft die Motivation und schafft „Changeitis“ – einen Widerstand gegen Veränderungen.
Auf Entdeckungsreise
Wertschätzende Erkundung ist ein anderer Angang von Veränderung. Es heißt das bereits Gelingende entdecken: Welche Beispiele von positiver Abweichung, von Exzellenz gibt es schon? Auf welche überdurchschnittlichen Leistungen und Erfolgsgeschichten kann die Firma stolz sein? Aber auch: Was könnte die Organisation erreichen, wenn mehr Potenziale gehoben, wenn aus den bisherigen Erfolgen neue Zukunftsoptionen geschmiedet werden? Wie könnten vorhandene Stärken neu angewandt und kombiniert werden, um aus Gewünschtem und Erträumtem das Mögliche und Machbare herauszudestillieren und in konkrete Schritte zu designen?
Hinter diesen Fragen stecken – grob umrissen – die vier Phasen der wertschätzenden Erkundung: entdecken, träumen, planen und umsetzen. Das Verfahren hat der US-amerikanische Managementforscher David Cooperrider in den späten 1980er-Jahren entwickelt. Es hat seither zu erfolgreichen Change-Projekten bei beispielsweise Sand- und Ölförderern, in Krankenhäusern, bei der BBC und der US Navy beigetragen.
Positiver Wandel heißt nicht, dass Kritik, Zweifel und Sorgen keinen Platz haben. Aber aufgrund der uns innewohnenden Negativitätsverzerrung sehen wir Mängel, Misserfolge und Macken ohnehin deutlicher als Geniales, Geglücktes und Gelingendes – bei Einzelnen, in Teams, in Organisationen. Dieser eingebaute Katastrophismus verengt unser Denken. Gemeinschaftserlebnisse, inspirierende Ziele, Neugier und Erfolge weiten Handlungs- und Denkspielräume, machen Einzelne und Teams kreativer, flexibler und widerstandsfähiger im Umgang mit Hindernissen.
Einer meiner früheren Vorgesetzten hat in einem Meeting gesagt: „Am liebsten würde ich euch alle rausschmeißen!“ Die Motivation für die von ihm angestoßenen Veränderungspläne war entsprechend. Wenn Sie als Führungskraft, als Mitglied im Change-Kommando oder in der Personal- und Organisationsentwicklung Lust auf Wandel fördern und Angst vor Veränderung mindern wollen, erklären Sie immer wieder das Wohin und Wozu. Laden Sie ein zu Kokreation auf dem Weg zum Neuen – statt einen Change-Plan von oben zu oktroyieren. Wertschätzen Sie Vorhandenes und die vorhandenen Mitarbeitenden. Feiern Sie Zwischenerfolge. Und haben Sie Geduld. Denn Veränderungen sind zumindest für einen Teil der Belegschaft mit Trauer verbunden. Zum Beispiel um das schöne alte Büro, die netten alten Kollegen, die bequem-bekannte Software. Es braucht häufig Zeit, bis das Neue akzeptiert, ausprobiert und irgendwann integriert wird.
Christian Thiele ist Autor und Coach für positive Leadership. Sein Buch „Positiv führen für Dummies“ ist gerade im Wiley-Verlag erschienen, sein Podcast „Positiv Führen“ lässt sich auf allen großen Podcast-Plattformen abrufen.
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