Diversität ist in deutschen Unternehmen mehr ein Lippenbekenntnis als Realität. Das geht aus dem aktuellen German Diversity Monitor 2021 hervor, der von der Diversitätsinitiative Beyond Gender Agenda erstellt wurde. Obwohl in Unternehmen und der Öffentlichkeit immer mehr über Vielfalt als positives Attribut gesprochen wird, hat sich, was konkrete Diversity-Maßnahmen und -Zustände in den Unternehmen angeht, im Vergleich zum Vorjahr so gut wie nichts getan.
Die Vorstände in DAX-Unternehmen sind trotz gesetzlicher Frauenquote nach wie vor überwiegend männlich. Durch die Erweiterung des Indexes auf 40 Unternehmen liegt der Frauenanteil in den Vorständen nun bei 16,7 Prozent. Auch bei der Förderung von LGBTIQ hat sich in den Unternehmen nicht viel zum Positiven verändert. Zwar präsentierten sich viele Betriebe zum Pride Month im Juni in Regenbogenfarben, doch spezifische Maßnahmen zur Förderung der LGBTIQ-Belegschaft bieten nur rund 20 Prozent der Unternehmen an. Dies steht im starken Kontrast dazu, dass etwa 40 Prozent der befragten Unternehmen die Relevanz von Vielfalt durch LGBTIQ-Mitarbeitende als hoch bewerten.
Menschen mit Behinderung geraten in Vergessenheit
Sorge bereitet den Studienverfassern, dass Menschen mit Behinderung in der Diversity-Debatte immer weniger Aufmerksamkeit erhalten. Mehr als 30 Prozent der Befragten schreiben der Diversitäts-Dimension Behinderung (Disability) eine geringe Bedeutung zu. Das sind 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Und das trotz vorgegebener Quote. Denn ein Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitenden muss mindestens fünf Prozent des Teams mit Menschen mit Behinderung besetzen. Diese Regel kann man umgehen, indem man eine Ausgleichszahlung für Schwerbehinderte zahlt. „Die Abnahme der Diversity-Dimension Disability gleicht einer Talfahrt in die Bedeutungslosigkeit“, sagen die Studienverfasser.
Dabei liegt die Dimension Disability nicht an letzter Stelle in der Wichtigkeits-Rangfolge der Vielfaltselemente. Denn diese sieht folgendermaßen aus: Als wichtigste Diversitäts-Dimension wird von Unternehmensvertretern und -vertreterinnen das Geschlecht angesehen. Es folgen Alter und dann ethnische Herkunft. Auf dem vierten Platz liegt Disability, gefolgt von LGBTIQ und der sozialen Herkunft.
Messbare Daten und Ressourcen fehlen
Wie es um diese Faktoren in ihrem Unternehmen steht, messen die wenigsten Befragten. Gerade mal rund 26 Prozent setzen sich messbare Ziele und erheben Daten zur Entwicklung in den einzelnen Dimensionen. „Meist liegen keine Daten über LGBTIQ, Disability und soziale Herkunft vor“, heißt es im Studienbericht. Die meisten Unternehmen verfügten nur über Daten hinsichtlich der Geschlechter- und Altersverteilung sowie der ethnischen Herkunft ihrer Mitarbeitenden.
Die könnte auch daran liegen, dass Diversity nur in wenigen Unternehmen eine Priorität der Führungskraft ist und wenig Ressourcen für die Förderung eines vielfältigen Teams zur Verfügung gestellt werden. 26 Prozent der befragten Unternehmen haben Vielfalt zur Chef- oder Chefinnensache gemacht. Ein Budget für Diversity-Bemühungen stellen rund 70 Prozent zur Verfügung, wobei etwa 84 Prozent dieses Budgets fürs Diversity-Recruiting verwendet werden. Was die personellen Ressourcen betrifft, stellt die Mehrheit der Unternehmen keine gesonderten Mitarbeitenden ein, die sich nur mit dem Thema Vielfalt beschäftigen. Mitarbeitende, die mit der Förderung von Vielfalt beauftragt sind, tun dies parallel zu ihren eigentlichen Aufgaben.
Über die Studie
Für den German Diversity Monitor wurden die Geschäftsberichte der im Dax30, MDax und SDax gelisteten Unternehmen analysiert und mit ihrem Pendant aus dem Jahr 2015 verglichen. Das waren jeweils mehr als 150 Berichte. Zusätzlich analysierten Vertreter von Gender Beyond Agenda Informationen auf der Webseite der jeweiligen Unternehmen, sowie Pressemitteilungen und die Berichterstattung über Diversity-Aktionen bei ihnen. Neben der Analyse wurden 119 Vertreterinnen und Vertreter aus den besagten Unternehmen anonym befragt, wie sie Diversität in ihrem Betrieb wahrnehmen. Die Umfrage fand von März bis Juni 2021 statt.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.