Ende Mai wurde bekannt, dass das HR-Start-up Expertlead in die Insolvenz geht. Verfahrensbevollmächtigter ist die Görg Rechtsanwälte Insolvenzverwalter GbR, wie der Insolvenzbekanntmachung zu entnehmen ist. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wurde Friedemann Ulrich Schade, Partner der Kanzlei BRL Boege Rohde Luebbehuesen, bestellt. Expertlead beschäftigt etwa 100 Mitarbeitende und wollte sich auf Anfrage zum jetzigen Zeitpunkt nicht zur Insolvenz äußern.
Das Unternehmen bietet eine Freelancer-Plattform an und konzentriert sich bei der Vermittlung von Digital-Expertinnen und -experten auf technische Schlüsselrollen wie etwa Software-Entwicklerinnen und -entwickler, Data Scientists oder Project Manager. Die Selbstständigen durchlaufen ein Interview-Verfahren, bei dem ihre technischen Fähigkeiten in einem Live-Coding-Test und einem technischen Q&A evaluiert werden. Nach einem Abgleich der Kundenanforderungen und der zur Verfügung stehenden Freelancer, werden Kandidaten und Kandidatinnen vorgeschlagen. Bei erfolgreicher Vermittlung erhält Expertlead eine Provision gemessen an dem Projektvolumen.
Eigenen Angaben nach gehören Unternehmen wie etwa Delivery Hero, Lufthansa Innovation Hub, Miele oder auch Daimler zu den Kunden. Von 2020 auf 2021 habe sich der Jahresumsatz verfünffacht, wie Mitgründer und Geschäftsführer Alexander Schlomberg vor einem Jahr gegenüber deutsche-startups.de sagte. Im Rahmen einer Erhebung der “Wachstumschampions” gibt der Focus an, der Umsatz habe 2021 bei über 16 Millionen Euro gelegen.
Finanzierung in Höhe von 17 Millionen Euro
Das nun insolvente Unternehmen wurde im Januar 2018 aus der Start-up-Schmiede Rocket Internet ausgegründet. Die beiden heutigen Geschäftsführer Alexander Schlomberg und Arne Hosemann hatten Expertlead damals vom Aufbauteam von Rocket Internet übernommen. Die letzte bekannte Finanzierungsrunde war vor knapp zwei Jahren, bei der Expertlead 9,5 Millionen Euro einsammelte. Investoren sind, neben Rocket Internet, Acton Capital Partners, Seek und Kreos Capital. Insgesamt flossen in den vergangenen Jahren rund 17 Millionen Euro in das Unternehmen. Der Onlineseite deutsche-startups.de zufolge hielt Rocket Internet zuletzt rund 35 Prozent, Acton soll mit 23 Prozent an Bord gewesen sein.
Im Herbst 2021 haben sie gemeinsam mit Cariad, dem Software-Unternehmen des Volkswagen Konzerns, das Joint Venture Futurepath gegründet, um mittels der von Expertlead entwickelten Recruiting-Software geeignete IT-Fachkräfte für den VW-Konzern zu finden und einzustellen. Cariad ist mit 49 Prozent und Expertlead mit 51 Prozent am Gemeinschaftsunternehmen beteiligt, jedenfalls gaben sie das bei der Bekanntmachung des Joint Ventures an. Welche Auswirkung die Insolvenz nun auf Futurepath hat, ist noch nicht bekannt. „Expertlead und Cariad sind jeweils Gesellschafter von Futurepath. Wir sehen aktuell keine Auswirkungen auf Futurepath und werden die Situation beobachten“, teilte ein Sprecher von Cariad aber auf Anfrage mit.
Im Januar 2022 hat Expertlead zudem sein Geschäftsmodell erweitert und vermittelt mit seiner HR-Software seit dem auch IT-Talente für Festanstellungen. Hier richtet sich die Provision nach dem Jahreseinkommen der Kandidaten. Die Festanstellung von Fachkräften außerhalb Deutschlands läuft unter anderem über das Employer-of-Record-Modell, bei dem ein anderes Unternehmen in dem Land des Beschäftigten die Arbeitskraft an das Zielunternehmen hier in Deutschland ’verleiht’. Das Modell ist vor allem in der rechtlichen Umsetzung sehr komplex.
Der Fachkräftemangel und der schon lange geführte Kampf um IT-Talente befeuern den Markt der Freelancer-Plattformen. Weitere Marktanbieter sind etwa Matched.io, Workgenius oder Freelance.de, wobei sich nur ersteres so wie Expertlead auf IT-Fachkräfte spezialisiert hat. Die Europäische Union schätzt, dass im Jahr 2025 rund 43 Millionen Freelancer ihre Dienste über digitale Plattformen anbieten werden – ein Zuwachs von 52 Prozent.
Info
In unserer aktuellen Ausgabe der Personalwirtschaft informieren die Anwälte Marcel Heinen und Paula Wernecke von der Kanzlei CMS Hasche Sigle über die rechtlichen Fallstricke bei der Zusammenarbeit mit Freelancern und nennen – neben weiteren – auch Expertlead als ein Beispiel für eine Freelance-Plattform.
Gesine Wagner betreut als Chefin vom Dienst Online die digitalen Kanäle der Personalwirtschaft und ist als Redakteurin hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik. Sie ist weiterhin Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie das CHRO Panel.

