Frau Austermann, Sie beschäftigen sich damit, welchen Einfluss Recruiting auf die Zukunft der Arbeit hat. Aber ist nicht, vereinfacht gesagt, der Job des Recruitings getan, wenn der neue Mitarbeiter oder die neue Mitarbeiterin mit der Arbeit beginnt?
Frauke Austermann: Mitnichten ist der Job getan. In Zeiten des Fach- und Führungskräftemangels ist die Anzahl der möglichen Kandidatinnen und Kandidaten schlicht so begrenzt, dass es im Interesse einer jeden Recruiting-Abteilung sein muss, möglichst wenig rekrutieren zu müssen. Stattdessen müssen sie sich mehr denn je darauf zu konzentrieren, dass es eine gute und nachhaltige Passung zwischen Kandidatinnen und Kandidaten auf der einen Seite und der Rolle beziehungsweise dem Unternehmen auf der anderen Seite gibt.
Info
Frauke Austermann ist Professorin für Transformation der Arbeitswelt an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Ihre Schwerpunktthemen sind Führung und Organisation, Agilität und Digitalisierung sowie People Analytics. Über den Beitrag der Recruitingabteilungen zur Arbeit der Zukunft spricht sie auf der Schicht im Schacht. Die Recruitingkonferenz, bei der die Personalwirtschaft Medienpartner ist, findet am 3. Mai zum zweiten Mal im Landschaftspark Nord in Duisburg statt. Hier geht es zum Programm.
Was bedeutet das konkret für die Anforderungen an Recruiterinnen und Recruiter?
Sie müssen im Unternehmen und am Markt top vernetzt sein und bleiben. Sie müssen genau wissen, wonach der Hiring Manager sucht, was der Markt zu bieten hat, was eine Rolle ausmacht, was die key skills sind – und eben auch, wie sich ein erfolgreich rekrutierter Kandidat nach Unternehmenseintritt entwickelt. Aber auch, wie sich die Rolle verändert. Da kommt dann wirklich die Zukunft der Arbeit ins Spiel. Ein zweiter zentraler Punkt ist folgender: Heutzutage wird oft gesagt „Retention ist das neue Recruiting“ – da ist viel Wahres dran. Um die Top-Leute wirklich zu halten, müssen Recruiterinnen und Recruiter weiter denken als nur bis zur Vertragsunterzeichnung.
Können Recrutingabteilungen das denn überhaupt leisten?
Bisher nur bedingt. Ein Beispiel: Das Übertragen von Bewerberinfos von einem System ins andere ist eine nicht sonderlich spannende oder inspirierende Aufgabe, bei der Menschen auch schnell unnötige Fehler machen. Solche Aufgaben sollten also sinnvollerweise von Maschinen gemacht werden. Dann bliebe mehr Zeit für menschenorientierte, sinnstiftende (HR-)Wissensarbeit, etwa, den Hiring Manager wirklich dahingehend zu beraten, welche Kandidatin oder welcher Kandidat den besten Fit hat. Digitalisierung kann die Arbeitswelt also menschlicher machen.
Das läuft in vielen Unternehmen aber anders …
Genau. Aktuell bleibt in der Praxis für das Menschliche oft zu wenig Zeit. Wenn Digitalisierung also die Arbeitswelt menschlicher macht, ist das grundsätzlich eine gute Nachricht für die HR-Funktion insgesamt, denn das Menschliche ist ja nun einmal die Kernkompetenz des HR.
Aber HR ist ja mehr als Recruiting. Wieso sollte gerade das Recruiting hier vorangehen?
Letztlich muss man beides können: digital und menschlich. Und da sind Recruiting-Abteilungen meiner Erfahrung nach und einigen Zahlen, Daten und Fakten zufolge besonders gut aufgestellt im Vergleich zu anderen HR-Bereichen. Sie sind offen, Prozesse zu optimieren, diese end-to-end zu digitalisieren. Sie sind meist die erste HR Funktion in der Cloud, sie probieren die dafür notwendigen Methoden aus, wie Scrum oder OKR.
Wen oder was braucht oder bräuchte es denn in den Recruiting- und HR-Abteilungen, um hier weiter zu kommen?
Es braucht künftig mehr Tech-affine Personalerinnen und Personaler beziehungsweise HR-affine Techies, auch bis in die HR-Vorstandsebene. Diese Kombi ist nicht selten in Recruitingabteilungen zu finden. Ein Stück weit ist eine solche Veränderung in den Leitungsetagen eine Frage der Zeit. Und der Fachkräftemangel wird sein Übriges tun: Unternehmen werden es sich schlicht nicht mehr leisten können, nicht konsequent HR-Prozesse zu digitalisieren. Und auch hier sind Recruiting-Abteilungen Vorbilder. Ein Grund dafür ist schlicht die reine Masse: Es müssen prozessual logischerweise viel mehr Bewerberinnen und Bewerber verarztet werden als Mitarbeitende.
Sehen Sie KI denn eher als Schreckgespenst oder als Chance?
Ich bin Optimistin – nicht nur, weil ich rheinische Frohnatur bin. Wie gesagt: Wenn Digitalisierung die Arbeitswelt menschlicher macht, sind das grundsätzlich gute Nachrichten für die HR-Funktion insgesamt und für das Recruiting im Besonderen. Wir müssen aber wachsam sein, dass wir das Ruder wirklich in der Hand behalten. Dafür muss die HR Funktion dringend den Widerspruch überwinden, dass sie digitale Transformation begleiten und vorantreiben und sich gleichzeitig noch immer und vor allem selbst transformieren muss.
Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit den Themen Recruiting und Employer Branding.