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Altersdiversität: „Die meisten Vorbehalte basieren auf Klischees“

Personalwirtschaft: Herr Fischer, viele Personalerinnen und Personaler scheinen insgeheim Vorbehalte zu haben, Menschen ab einem gewissen Alter einzustellen.
Marcus Fischer: Sind es nicht eher die Fach- als die Personalabteilungen?

Sagen Sie es uns!
Menschen mit entsprechenden Vorbehalten gibt es überall. Es fällt bei vielen so langsam der Groschen, dass wir es uns immer weniger leisten können, uns über den Fachkräftemangel zu beschweren – und dann allen über 50 absagen. Vor allem die größeren Unternehmen haben das mehr und mehr erkannt.

Wieso gerade die?
Sie haben oft mehr Ressourcen und Instrumente um ihre Workforce zu analysieren und dann evidenzbasierten zu entscheiden. Dann wird festgestellt, dass ältere Mitarbeiter nicht schlechter abschneiden als die jüngere. Kleinere Unternehmen tun sich hier hier deutlich schwerer. Vor allem in Start-ups – was auch oft mit dem Preisschild zu tun hat, dass an erfahreneren Beschäftigten hängt. Viele Start-ups können oder wollen es sich nicht leisten, diese Gehälter zu zahlen.

Info

Sind ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denn wirklich teurer als jüngere?
Es wird meist erstmal unterstellt. Einige Arbeitgeber glauben, dass mit dem Alter automatisch das Gehalt steigt. Das passiert in der Regel ab einem Alter von 40 aber meist nur in überschaubarem Maß. Dazu kommt: Sind die Kinder erst einmal aus dem Haus und die Hypothek vielleicht abbezahlt, spielt ein hohes Gehalt oft nicht mehr so eine große Rolle wie vorher.

Apropos Wille zur Karriere. Einige Arbeitgeber scheinen davon auszugehen, dass ältere Menschen keine Karriere mehr machen möchten, wohingegen jüngere hier motivierter seien. Stimmt das Ihrer Wahrnehmung nach?
Wissen Sie, ich habe schon mindestens genauso viele hochmotivierte Ü-60-Jährige gesehen wie uninspirierte 25-Jährige. Und es gibt natürlich auch solche, die mit 50 Jahren schon vergreist sind und die Tage bis zur Rente herunterzählen. Es ist wie überall: Die meisten Vorbehalte basieren auf Klischees. Und klar: Wenn man in der Karriere schon einiges erlebt hast, ist die Dienstreise nach Shanghai nicht mehr das Highlight des Jahres, auf das du hinarbeitest und -fieberst.

Ein weiterer Grund, der aus Sicht mancher für die Einstellung des jüngeren Kandidaten oder der jüngeren Kandidatin spricht, ist, dass der oder die ja noch viele Jahre im Job vor sich hat – und im Idealfall im Unternehmen.
Wir leben doch im Jahr 2024, nur noch wenige bekommen zum 30. Firmenjubiläum eine goldene Uhr – was ich übrigens nicht für schlecht halte. So langsam kommt es auch bei den Unternehmen an, dass man kein Jobhopper ist, wenn man den Job alle drei oder vier Jahre wechselt.

Gibt es denn umgekehrt Vorteile, die Ältere Beschäftigte gegenüber Jüngeren haben?
Definitiv. Die Produktivität und die Effizienz sind wie schon erwähnt oft höher, weil man mit der Zeit immer besser weiß, was gebraucht wird. Vor allem aber eine oft angenehme Gelassenheit, bitte nicht verwechseln mit Gleichgültigkeit. Das merke ich an mir. Ich bin mit meinen 55 Jahren ja selbst „betroffen“.

Was genau meinen Sie damit?
Ich habe in meiner Karriere einfach gelernt, dass die Welt nicht so schnell untergeht, egal welche Fehler man macht. Diese Erkenntnis hält den Puls unten – und ist auch gut fürs Unternehmensklima. Wobei auch klar ist: Ein Unternehmen nur aus 55-Jährigen ist auch nicht die Lösung. Vielfalt schadet nie – auch nicht beim Alter.

Was machen Sie bei der Zürcher Kantonalbank, wo Sie den Bereich Talent Acquisition leiten, um für Vielfalt zu sorgen?
Eigentlich nichts Spezielles. Die Bank hat eine gute Durchmischung – wir bilden viele junge Leute aus, scheuen uns aber auch nicht, reife Charaktere ins Team zu holen, im Durchschnitt sind wir mit um die 40 Jahren eher „alt“. Wir versuchen jeglichen Bias aus dem Auswahlprozess zu eliminieren, wir schulen und sensibilisieren die Fachkollegen und Recruiter um hier das Beste für die Bank zu erreichen. Aber wir geben weder Quoten vor, noch arbeiten wir mit Verboten. Am Ende ist es so: Wenn sich herausstellt, dass jemand keine Frauen, Männer, Alte, Junge, Schweizer, Deutsche oder was auch immer möchte, liegt da Problem ohnehin weniger im Recruiting – dann ist die Frage eher, ob die einstellende Person die richtige ist.

Matthias Schmidt-Stein koordiniert die Onlineaktivitäten der Personalwirtschaft und leitet gemeinsam mit Catrin Behlau die HR-Redaktionen bei F.A.Z. Business Media. Thematisch beschäftigt er sich insbesondere mit dem Berufsbild HR und Karrieren in der Personalabteilung sowie mit Personalberatungen. Auch zu Vergütungsthemen schreibt und recherchiert er.