Die Rentenversicherung ist seit Monaten ein Dauerthema in den Medien. Der Grund: Die politischen Gremien und Arbeitgeberverbände debattieren über Mütterrente, Aktivrente, Rentenhöhe, Systemfinanzierung, Renteneintrittsalter, Altersarmut, Generationengerechtigkeit und das Betriebsrentenstärkungsgesetz II (BRSG II). All das müsste eigentlich zu einem schwindenden Vertrauen in die gesetzliche Rente führen. Gleichzeitig müsste es zu einem Aufschwung der betrieblichen Altersversorgung (bAV) führen. Leider nicht, konstatieren die Expertinnen und Experten beim Round Table der Personalwirtschaft und nennen die Ursachen.
Status quo der bAV
„Die bAV wird zunehmend als ‚Reparaturwerkstatt‘ für die Reformunwilligkeit bei der gesetzlichen Rente betrachtet.“ Mit diesem Statement eröffnet Carsten Strube, Partner und Leiter Pensions bei Mercer Deutschland, die Diskussion. Er wünscht sich bessere Rahmenbedingungen, um die bAV zu stärken und weiterzuverbreiten. Doch Arbeitgebern in wirtschaftlich schwierigen Zeiten deshalb zusätzliche Pflichten aufzubürden, wäre aus seiner Sicht ein Fehlschluss. Mit einem Deckungsvermögen von rund 700 Milliarden Euro – größtenteils arbeitgeberfinanziert – zeige sich, dass Unternehmen bereits erheblich zur Altersvorsorge beitragen.

„Die bAV wird zunehmend als ‚Reparaturwerkstatt‘ für die Reformunwilligkeit bei der gesetzlichen Rente betrachtet.“
Carsten Strube, Leiter Pensions und Partner, Mercer Deutschland
Eine noch stärkere bAV-Beteiligung könne sich nur entwickeln, wenn Arbeitgeber insgesamt finanziell entlastet würden, schließt sich Burkhard Fabritius, Partner bei Görg (Eigenschreibweise GÖRG), an. Als Instrument des Retention Managements sei die bAV sicherlich unverändert attraktiv. Aber „in der Gesamtgemengelage leiden die Unternehmen alle unter sinnloser Bürokratie und zu hohen Kosten“.
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Quelle zum Deckungsvermögen: aba Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V.
Diese Beobachtung teilt Christoph Leser, CEO und Co-Founder von Penzilla. Bei kleinen und mittelständischen Unternehmen sieht er kaum Tendenzen, sich mit einer zusätzlichen Arbeitgeberfinanzierung zu engagieren. Das auf bAV-Digitalisierung spezialisierte Unternehmen werde sehr oft mit dem Wunsch konfrontiert, „einen möglichst kostenneutralen Benefit zu realisieren“. Aus Sicht des Employer Brandings sei eine bAV mit dem verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss von 15 Prozent jedoch nur wenig attraktiv.
Ganz anders verhält es sich laut Per Protoschill bei KMU, die mit Matching- oder Staffelmodellen arbeiten. Der Geschäftsführer von Stuttgarter Vorsorge-Management und Leiter Vertriebsunterstützung bAV stellt fest, dass die bAV mit zu den beliebtesten Benefits zählt. Im Gegensatz zur Deutschen Rentenversicherung gelte sie als demografiefest und genieße daher großes Vertrauen. Insbesondere in KMU spiele dieser Benefit eine zentrale Rolle. Vor allem dann, wenn Arbeitgeber – abhängig von Betriebszugehörigkeit oder Beitragshöhe – zusätzliche Zahlungen gewähren. Sie gehen häufig weit über die reine Sozialversicherungsersparnis hinaus. „Immer mehr KMU-Arbeitgeber erkennen, dass die bAV ein gutes Instrument zur Optimierung der Lohn- und Nebenkosten ist“, sagt er.
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Der Round Table bAV
Für ausgewählte Themen lädt die Personalwirtschaft Fachleute zu einem Round Table ein. Die Expertenrunde diskutierte Trends im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (bAV), moderiert von Erwin Stickling, Herausgeber der Personalwirtschaft, und Kirstin Gründel, Redakteurin der Personalwirtschaft.
Der Round Table wurde unterstützt von:
- Belonio
- Görg
- Mercer
- Penzilla
- Stuttgarter Vorsorge-Management
Mit einem provokanten Einwurf gibt Sven Janßen der Diskussion einen weiteren Impuls. Der Gründer und Advisor von Belonio und geschäftsführender Gesellschafter von Xtralohn (Eigenschreibweise XTRALOHN) wirft einen Blick zurück auf 50 Jahre bAV in Deutschland mit dem ernüchternden Ergebnis: „Statt veraltete Strukturen zu vereinfachen, kamen und kommen immer neue Durchführungswege, Zusageformen und Anbieter hinzu.“ Dadurch sei eine „Messi-Bude“ – ein unübersichtlicher und überregulierter Rentendschungel – entstanden, der es Beschäftigten und Unternehmen schwer mache, sich zu orientieren und passende Lösungen zu finden. Im internationalen Vergleich liege Deutschland mit einer bAV-Durchdringung von nur etwa 50 Prozent deutlich hinter Ländern wie Großbritannien, Schweden oder den Niederlanden mit jeweils rund 90 Prozent zurück. „Der zentrale Konstruktionsfehler liegt darin, dass es an Standardisierung, einfachen und kostengünstigen Produkten sowie einem portablen Altersvorsorgetopf fehlt. Statt immer neue Einzelmaßnahmen zu kreieren, wäre es an der Zeit, das System grundlegend zu entrümpeln und zu vereinfachen“, stellt Janßen fest.

„Der zentrale Konstruktionsfehler liegt darin, dass es an Standardisierung, einfachen und kostengünstigen Produkten sowie einem portablen Altersvorsorgetopf fehlt.“
Sven Janßen, Gründer & Advisor Belonio, Geschäftsführender Gesellschafter XTRALOHN Belonio
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Quelle zum Ländervergleich: Europäischer Rechnungshof, Sonderbericht 14/2025: „Ausbau der zusätzlichen Altersvorsorge in der EU: EU-Maßnahmen tragen nicht wirksam zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Etablierung des Paneuropäischen Privaten Pensionsprodukts bei“
Standardisierung versus Vielfalt
Um die „Messi-Bude“ aufzuräumen, schlägt Sven Janßen einfachere, standardisierte bAV-Produkte vor. Gerade kleinere und mittlere Betriebe verfügten oft nicht über die personellen oder fachlichen Ressourcen, um komplexe bAV-Konzepte, die Anbieterauswahl und laufende Anpassungen bei Rechtsänderungen zu bewältigen. In der Folge seien Arbeitgeber verunsichert, ob sie sich überhaupt oder stärker für die Altersvorsorge der Mitarbeitenden engagieren sollten.
In einem staatlich standardisierten bAV-Sparsystem sieht dagegen Strube keinen Sinn für Arbeitgeber: „Die bAV würde ihren Charakter als individuelles Arbeitgeber-Benefit verlieren. Ihre Stärke liegt in der Differenzierung und in Gestaltungsspielräumen, die Unternehmen zur Mitarbeiterbindung nutzen können.“ Zudem sei es weiterhin wichtig, „Arbeitgebern, die überdurchschnittlich viel für die Altersvorsorge ihrer Mitarbeitenden leisten, Gestaltungsfreiheit durch Instrumente wie Unterstützungskassen und Pensionszusagen zu gewähren.“ Beide Perspektiven – Effizienz und individuelle Gestaltung – ließen sich miteinander vereinbaren. Dem setzt Janßen entgegen, dass allen Beschäftigten – unabhängig von der Unternehmensgröße – eine faire Chance auf zusätzliche Altersvorsorge neben der gesetzlichen Rente ermöglicht werden sollte. Arbeitgeber, die sich durch besonders großzügige Modelle differenzieren wollen, könnten dies tun, „aber eine bAV-Struktur, die faktisch viele Arbeitnehmende ausschließt, ist kein angemessener Preis für gutes Employer Branding“.
Geringe bAV-Beteiligung
Lässt sich die geringe bAV-Beteiligung allein mit der fehlenden Standardisierung begründen, oder spielen nicht auch andere Faktoren eine wesentliche Rolle? Die BASF ist in der betrieblichen Altersvorsorge sehr gut aufgestellt – mit Arbeitgeberzuschüssen, Matching-Modellen und Entgeltumwandlungen, sagt Sarah Mostowys, Senior Specialist Projects & Strategy bei dem Chemiekonzern. Doch viele Mitarbeitende, ob in Ausbildung oder Produktion, wüssten trotzdem nicht genau, welche Angebote es gibt und wie sie profitieren können. „Wenn wir die Vorteile nachvollziehbar erklären und Mitarbeitende aktiv einbinden, steigern wir die Beteiligung und stärken zugleich unsere Attraktivität als Arbeitgeber“, so Mostowys.
Ein weiteres Motiv für fehlendes bAV-Engagement nennt Leser von Penzilla. Aus Arbeitgebersicht ist der faktische Anreiz oft gering, argumentiert er: „Wir sollten nicht nur über gesetzliche Förderungen sprechen, sondern auch über Vorteile, die mehr als ein ‚besseres Employer Branding‘ oder ‚stärkere Mitarbeiterbindung‘ versprechen.“ Er wirft die Frage auf, warum im ESG-Reporting (Environment, Social, Governance) die bAV-Aspekte kaum eine Rolle spielen. „Eine Integration der bAV in die ESG-Kriterien könnte Unternehmen einen messbaren Nutzen bieten und somit ein strategisch wichtiger Baustein werden.“

„Eine Integration der bAV in die ESG-Kriterien könnte Unternehmen einen messbaren Nutzen bieten und somit ein strategisch wichtiger Baustein werden.“
Christoph Leser, CEO und Co-Founder von Penzilla
Was ändert das Betriebsrentenstärkungsgesetz II?
Durch die geplanten Änderungen des BRSG II ist aus Sicht der bAV-Fachleute der große Wurf bislang nicht gelungen. Immerhin habe der Gesetzgeber ein paar kleine Reparaturen vorgenommen. „Die aktuellen Verbesserungen in der bAV sind überschaubar, kommen aber teilweise zu spät zum Einsatz“, kommentiert Protoschill. So sei die Erhöhung der Förderung für Niedrigverdiener grundsätzlich positiv, doch sie greift erst ab dem 1. Januar 2027. „Zu spät für jene Beschäftigten, die sie am dringendsten benötigten“.
Positiv sei die Abschaffung der Vollrenten-Zugangsvoraussetzung in der bAV. Entscheidend bleiben jedoch die arbeitsrechtlichen Vereinbarungen, mahnt bAV-Experte Protoschill. Setzen sie den Bezug einer gesetzlichen Vollrente voraus, ändert sich erst einmal für Begünstigte nichts. „Die Gestaltungshoheit liegt weiterhin bei den Arbeitgebern.“ Daraus könne erheblicher Umsetzungs- und Beratungsbedarf entstehen, da Versorgungsordnungen kurzfristig geprüft und angepasst werden müssen.
In Sachen Sozialpartnermodell (SPM) sind Verbesserungen erkennbar, insbesondere durch die stärkere Öffnung für nicht tarifgebundene Unternehmen. „Doch dass die Zielrente weiterhin ausschließlich SPM-Modellen vorbehalten bleibt, während betrieblich organisierte Altersversorgung über Betriebsvereinbarungen oder Gesamtzusagen ausgeschlossen wird, ist unverständlich“, beanstandet Mercer-Partner Strube. Er bedauert auch, dass die Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) in versicherungsförmigen Durchführungswegen nicht durch die Zulassung geringerer Garantien wiederbelebt wurde. In dieser Zusageform könne durch den Verzicht auf garantierte Rentenanpassungen eine deutlich höhere Startrente aus dem gleichen Kapital erzielt werden – und durch zusätzlich reduzierte Garantien verbesserten sich die Anlagechancen, was wiederum die Aussicht auf höhere Rentensteigerungen ermögliche. Strube stellt fest: „Es wird viel Geld in die bAV investiert, aber die meisten Durchführungswege beschränken uns dabei, eine ordentliche Rendite zu erwirtschaften.“ Weiterhin kritikwürdig aus seiner Sicht sei, dass der Wunsch nach einer Angleichung der Sozialversicherungsfreiheit an die Steuerfreiheit der Beiträge immer noch nicht erhört wurde.
Kritikpunkte der Experten zum BRSG II
| Thema | Kernaussage |
|---|---|
| Timing | Maßnahmen kommen zu spät. |
| Rechtliche Rahmenbedingungen | Zu komplex, zu restriktiv, zu wenig Betriebsnähe. |
| Zielgruppen | Wichtige Gruppen (Geschäftsführer, KMU) profitieren kaum. |
| Produktgestaltung | Zu wenig Flexibilität, zu viele Garantien, geringe Renditechancen. |
| Finanzielle Rahmenbedingungen | Keine Anpassung der SV-Freiheit, ungenutzte Anreize. |
| Umsetzung | Positive Ansätze werden durch arbeitsrechtliche Hürden gebremst. |
Letztlich werde an der Tarifvertragsexklusivität festgehalten, rügt auch Rechtsanwalt Fabritius. Sinnvoller sei es, dass die Betriebsparteien auch ohne einschlägigen Tarifvertrag Zusagen nach dem SPM vereinbaren könnten. „Verfehlt ist ebenso, dass die reine Beitragszusage nicht auch für Geschäftsführer und Gesellschafter offensteht. Diese Möglichkeit sollte für alle Positionen offenstehen.“
Janßen würde begrüßen, wenn die Regierung die Haftungsrisiken für Arbeitgeber im Sinne eines „Pay-and-forget“-Ansatzes reduzieren würden. Der Gesetzgeber habe außerdem versäumt, am zentralen Hebel des BRSG II zu drehen: „Die Möglichkeit, von einem Opt-in– zu einem Opt-out-Modell zu wechseln, würde die bAV-Teilnahmequoten unmittelbar und deutlich erhöhen.“
Ähnlich äußert sich Protoschill: Mit dem BRSG II sei die Chance verspielt worden, das Opting-out rechtssicher auch über Betriebsvereinbarungen zu ermöglichen. Dies sei nur zulässig, wenn Entgeltansprüche nicht einschlägig tariflich geregelt sind, „faktisch also kaum anwendbar“. Zudem würde ein Arbeitgeberzuschuss von mindestens 20 Prozent verlangt, mehr als beim gesetzlichen Stand – „das ist absolut nicht nachvollziehbar.“ Außerdem wäre speziell für nicht tarifgebundene Unternehmen das Opt-out-Modell eine wichtige Option gewesen.
Sozialpartnermodell als zentrale Rolle in der bAV?
Die Hürden für das SPM sind weiterhin zu hoch, merkt auch Dr. Carolin Weckbecker von der Commerzbank an. Die Human Resources Vice President für Global Pensions weist darauf hin, dass zwar einige große Branchenlösungen existierten, aber gerade in KMU, „dem Bereich, den der Gesetzgeber erreichen wollte, gestaltet sich die Umsetzung weiterhin schwierig“. Langfristig werde sich das SPM durchsetzen – nicht abrupt, sondern Schritt für Schritt, „weil die Haftungsbefreiung für Arbeitgeber attraktiv ist und zugleich die Chance auf eine höhere Rente für die Mitarbeitenden bietet“. Weckbecker ist sich sicher, dass in 20 Jahren das Sozialpartnermodell eine zentrale Rolle in der bAV spielen werde.
Doch während die bAV-Sachkundigen das Pro und Contra einschlägiger Gesetze und Regelungen erörtern, ist in größeren mittelständischen Unternehmen das Wissen über die bAV nach wie vor gering. „Personalverantwortliche sprechen uns weder auf das Sozialpartnermodell noch auf das Betriebsrentenstärkungsgesetz oder auf Opting-out-Modelle an“, stellt Leser fest. Je mehr bAV-Expertinnen und -Experten auf verbindliche gesetzliche Regelungen hofften, desto größer werde die Hemmschwelle für eine bAV-Beteiligung des Arbeitgebers – „aus Sorge vor möglicher Non-Compliance, unabhängig davon, wie gut ein Betriebsrentenstärkungsgesetz letztlich ausgestaltet ist“. Abhilfe könnten softwaregestützte Lösungen schaffen, die die komplexen Prozesse der bAV vereinfachen, transparenter gestalten und die Kommunikation zwischen Arbeitgebern und Mitarbeitenden verbessern.
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Wie Arbeitgeber Haftung vermeiden können
Die Risiken und Hürden in der bAV werden oft unterschätzt. Viele dieser Risiken entstehen bereits bei der Gestaltung – etwa durch Betriebsvereinbarungen, die vor Jahrzehnten verfasst wurden und heute nicht mehr zur aktuellen Praxis passen, erklärt Strube. Die Folgen zeigen sich in der Regel erst, wenn Beschäftigte in Rente gehen und ihre Versorgungsleistungen einfordern – oft mit Erwartungen, die nicht erfüllt werden. Daher empfiehlt er, die arbeitsrechtlichen Grundlagen regelmäßig zu prüfen. Außerdem sollten Arbeitgeber sicherstellen, dass die gewählte Finanzierung, sei es über Kapitalanlage oder Fonds, zur rechtlichen Ausgestaltung passt. Eine Versorgungszusage aus der Schublade oder vom nicht spezialisierten Makler könne langfristig zu erheblichen Problemen führen. Sinnvoller sei es, von Anfang an versierte bAV-Arbeitsrechtler einzubeziehen – sowohl bei der Gestaltung als auch bei der Finanzierung. Strube ergänzt: „Was zu Beginn versäumt wird, lässt sich später nur schwer korrigieren. Gründlichkeit am Anfang schützt vor teuren und komplexen Nachbesserungen.“
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass viele Unternehmen ihre alten Versorgungszusagen oder -systeme über Jahre hinweg unverändert lassen. Häufig geschehe das aus Unsicherheit oder fehlender klarer Zuordnung der Verantwortlichkeit.
Diese Beobachtung ergänzt Fabritius von Görg und mahnt: „Das größte Risiko im Umgang mit der bAV besteht darin, Risiken zu ignorieren. Überprüfen Arbeitgeber die Zusagen jedoch nicht regelmäßig, kann das langfristig zu erheblichen rechtlichen oder finanziellen Problemen führen.“ Fast alle Arbeitgeber ließen regelmäßig ihr Arbeitsvertragsmuster überprüfen, hingegen kontrolliere kaum jemand die Pensionszusage. Organisationen, insbesondere große mit durch Zukäufe historisch gewachsenen, heterogenen bAV-Landschaften, sollten ihre Systeme analysieren und frühzeitig Maßnahmen ergreifen. Das könnten etwa Anpassungsvereinbarungen mit dem Betriebsrat oder die Überführung alter Versorgungssysteme in neue, einheitliche Strukturen sein. Fabritius‘ wichtigster Rat lautet: „Nicht warten, bis die erste Klage kommt.“
Typische Konfliktfelder nach Renteneintritt sind unklar formulierte Bedingungen. Dies seien zum Beispiel, welche Gehaltsbestandteile ruhegeldfähig sind, Fragen zur Geschlechtergerechtigkeit, Kappungsgrenzen oder die Anpassungsprüfpflicht. „Alte Versorgungsordnungen, die sich stark am Gehalt orientieren, können zu Ungleichbehandlungen führen – vor allem dann, wenn kein nachweislich diskriminierungsfreies Entgeltsystem besteht.“ In solchen Fällen hängt auch die Höhe der bAV von potenziell ungerechtfertigten Gehaltsunterschieden ab und „entsprechende Klagen sind nur eine Frage der Zeit“.

„Alte Versorgungsordnungen, die sich stark am Gehalt orientieren, können zu Ungleichbehandlungen führen.“
Burkhard Fabritius, Partner bei Görg
Viele Unternehmen scheuen jedoch kostenintensive Beratungsprojekte zur Risikoevaluierung in der bAV und schieben das Thema auf die lange Bank. Leser sagt: „Technologische Unterstützung ist entscheidend, um die Risikoanalyse effizient und kostengünstig zu gestalten.“ Schon beim Onboarding zeige sich häufig, dass bereits kleine Ungleichbehandlungen bestehen. Dies seien etwa uneinheitlich hinterlegte Arbeitgeberzuschüsse oder fehlerhafte Einstellungen in der Lohnabrechnung. Technologisch unterstützt, können Versorgungsordnungen korrekt umgesetzt werden. „Ein KI-Tool kann heute relativ unkompliziert auf rechtliche Änderungen reagieren und die notwendigen Anpassungen nahezu automatisch vornehmen.“
De-Risking als Anker in der Not
Als Instrument zur Risikoreduzierung gewinnt der Weg des Pension Buyouts – über die bewährten, aber teuren Liquidationsversicherungen hinaus – an Bedeutung. Als Grund für einen Buyout nennt Strube: „Viele Unternehmen erkennen, dass die Steuerung und Administration klassischer Leistungszusagen nicht mehr ins Kerngeschäft von HR und Finanzabteilungen passt.“ Ob aber ein Buyout erfolgreich sei oder nicht, darüber entscheide eine klare Governance-Struktur: „Die Übertragung und Enthaftung von Pensionsverpflichtungen darf kein Glücksspiel werden.“ Da es sich oft um nicht reguliertes Geschäft handelt, seien vom Erwerber eingebrachtes Eigenkapital, transparente Anlagegrundsätze und Sicherungsinstrumente wie Treuhandlösungen notwendig. Zudem bleibe der Arbeitgeber bis zu zehn Jahre in der Nachhaftung. Ein Pension Buyout biete eine legitime, aber anspruchsvolle Möglichkeit, sich aus der bAV zurückzuziehen. „Nicht einfach, nicht billig, aber machbar“, so Strube.
Pension Buyouts werden in Zukunft deutlich häufiger zum Einsatz kommen, ist sich Fabritius sicher. Die rechtlichen Grundlagen – etwa die einschlägige BAG-Rechtsprechung – bestünden bereits seit Langem. In der Vergangenheit sei die Umsetzung vor allem durch psychologische Hemmschwellen gebremst worden, sagt er und ergänzt: „Besonders in großen Konzernen und inhabergeführten Unternehmen war die emotionale Bindung an die eigene Belegschaft stark ausgeprägt. Viele Verantwortliche empfanden die Versorgung ihrer Rentner als persönliche Verpflichtung.“ Das kann Mostowys bestätigen: Aus Arbeitgebersicht sei ein Pension Buyout ein sensibles Thema. „Viele unserer Rentnerinnen und Rentner fühlen sich eng mit dem Unternehmen verbunden – für sie ist es wichtig, dass ihre BASF-Rente weiterhin von der BASF kommt.“

„Viele unserer Rentnerinnen und Rentner fühlen sich eng mit dem Unternehmen verbunden – für sie ist es wichtig, dass ihre BASF-Rente weiterhin von der BASF kommt.“
Sarah Mostowys, Senior Specialist Projects & Strategy, BASF
Doch mit dem Generationswechsel und dem Übergang zu stärker managergeführten Unternehmensstrukturen nimmt diese emotionale Verantwortung ab, prognostiziert Fabritius. Dadurch wachse die Bereitschaft, Versorgungsverpflichtungen auszulagern. Zugleich verbesserten sich die Rahmenbedingungen: Neue Anbieter mit innovativen Konzepten machten Pension Buyouts attraktiver und wirtschaftlich sinnvoller. „Was früher als teuer und wenig praktikabel galt, entwickelt sich heute zu einem professionellen Markt mit großvolumigen Transaktionen, die Aufmerksamkeit erzeugen und Nachahmung fördern.“ In den kommenden fünf bis zehn Jahren rechnet Fabritius mit einer deutlichen Zunahme von Pension Buyouts. Sie gelten inzwischen als legitimes und praktikables Instrument zur rechtssicheren Enthaftung von Versorgungsverpflichtungen.
Wie BASF und Commerzbank vorgehen
„Der Schritt vom Wissen zum aktiven Handeln bleibt eine langfristige Aufgabe“, weiß wiederum Weckbecker aus der Praxis. Die Commerzbank sensibilisiert junge Mitarbeitende frühzeitig für das Thema Altersvorsorge. Bereits ab dem ersten Arbeitstag – etwa im Rahmen der „Welcome Week“ – werden Auszubildende und Berufseinsteigende umfassend über Benefits und insbesondere über die bAV informiert. Dabei erhalten sie auch ein realistisches Bild davon, wie es um die gesetzliche Rente steht. Während das aktuelle Rentenniveau bei rund 48 Prozent vor Steuern liegt, „erwarten viele junge Menschen langfristig eher 30 bis 40 Prozent – eine Einschätzung, die ohne tiefgreifende Reformen in den kommenden Jahrzehnten durchaus realistisch erscheint“.
Seit rund anderthalb Jahren organisiert die Bank zudem regelmäßig Veranstaltungen zur finanziellen Bildung, die sich speziell mit Altersvorsorge befassen. „Wir bieten sowohl rein arbeitgeberfinanzierte Lösungen als auch Matching-Modelle an, und die jungen Mitarbeitenden zeigen ein wachsendes Interesse. Dennoch führt dieses Bewusstsein bislang nur selten zu deutlich höheren Eigenbeiträgen bei der Entgeltumwandlung.“

„Wir bieten sowohl rein arbeitgeberfinanzierte Lösungen als auch Matching-Modelle an, und die jungen Mitarbeitenden zeigen ein wachsendes Interesse.“
Dr. Carolin Weckbecker, Human Resources Vice President Global Pensions, Commerzbank
BASF beschritt einen unkonventionellen Weg, um junge Mitarbeitende und Auszubildende für das Thema bAV zu sensibilisieren. Statt auf klassische Powerpoint-Präsentationen zu setzen, haben Verantwortliche für die Altersversorgung digitale, selbst produzierte Erklärvideos erstellt. Dies geschah in Zusammenarbeit mit Azubis und Studierenden. Dass die direkte Zielgruppe das komplexe Thema in kreative Worte fasste, zeigte sich im Ergebnis. So heißt es nun beispielsweise im Video: „Das Geld chillt in der Pensionskasse.“ Mostowys berichtet, dass diese Umschreibung interne Kolleginnen und Kollegen mitunter zusammenzucken ließ. Aber ihre Argumente haben letztlich überzeugt: „Die Inhalte müssen kurz und knapp sein, im Sprachstil der jungen Generation gehalten und basierend auf deren Mediengewohnheiten, dann führen sie zu deutlich mehr Verständnis und Interesse bei den Azubis sowie Rückfragen zur bAV.“
Die Erklärvideos werden über die interne Ausbildungsplattformverbreitet und beschäftigen sich praxisnah beispielsweise mit tariflicher Entgeltumwandlung, der Chemietarifförderung und der Rentenlücke. Die Umsetzung der Spots gelang mit minimalem Budget für die Softwarelizenz und ohne professionelles Kommunikationsteam. Für Mostowys ein Beweis dafür, dass „einfache Mittel reichen, um große Wirkung zu erzielen“.
Learnings
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- Besonders attraktiv für Mitarbeitende sind Matching- oder Staffelmodelle in der bAV, bei denen Arbeitgeber abhängig von Betriebszugehörigkeit oder Beitragshöhe zusätzliche Zahlungen leisten.
- Trotz Abschaffung der Vollrenten-Zugangsvoraussetzung für den Bezug der bAV gelten weiterhin die Vereinbarungen in der Versorgungsordnung oder der arbeitsrechtlichen Vereinbarungen. Die Gestaltungshoheit liegt weiterhin bei Arbeitgebern.
- Viele Unternehmen lassen regelmäßig ihre Arbeitsvertragsmuster überprüfen, aber selten ihre Pensionszusagen. Gerade Unternehmen mit einer vielfältigen bAV-Landschaft sollten ihre Systeme rechtzeitig analysieren und anpassen.
- Typische Konfliktfelder nach Renteneintritt sind unklar formulierte Bedingungen beispielweise hinsichtlich der Anpassungsprüfpflicht, Kappungsgrenzen und Geschlechtergerechtigkeit.
- Mit dem Generationswechsel und dem Übergang zu stärker managergeführten Unternehmensstrukturen nimmt die emotionale Verantwortung gegenüber Begünstigten ab und die Bereitschaft wächst, Versorgungsverpflichtungen auszulagern.
Aus Sicht von Janßen ist es entscheidend, dass Informationen zur bAV regelmäßig wiederholt und Call-to-Action-Funktionen integriert werden. Idealerweise laufe dieser Prozess weitgehend automatisiert, wie etwa über eine App. So entstehe eine dauerhafte Kommunikation mit den Beschäftigten, und diese können über Push-Nachrichten immer wieder auf das Thema bAV aufmerksam gemacht werden.
Penzilla hat eine technische Lösung entwickelt, die unter anderem den gesamten Lebenszyklus der bAV automatisiert und direkt mit dem Personalsystem verknüpft. Gleichzeitig ermöglicht die Software eine zielgruppenspezifische bAV-Kommunikation etwa nach Altersgruppen oder Geschlecht, die deutlich mehr Wirkung zeigt. Ein besonderes Feature ist die KI-basierte Erstellung von Videos mit unternehmensspezifischen bAV-Inhalten. Arbeitgeber können sie automatisch und multilingual – in bis zu 13 Sprachen – ausgespielen. Die Informationen in der Muttersprache erhöhten das Interesse und die Akzeptanz deutlich, unabhängig vom konkreten bAV-Angebot. Die Kommunikation erfolgt über eingebettete Landingpages im Intranet sowie web- und mobilfähige Mitarbeiterportale. Auf Apps verzichtet Penzilla bewusst, da das Unternehmen deren Installationshürde und die Alltagsrelevanz für die bAV als zu gering einschätzt. Leser erläutert: „Unser Ziel ist es, Mittelstandsunternehmen den Zugang zur bAV-Kommunikation so einfach und wirksam wie möglich zu gestalten.“

„Erfolgreich ist die bAV-Kommunikation in kleinen Betrieben immer dann, wenn der Arbeitgeber sich aktiv beteiligt.“
Per Protoschill, Geschäftsführer und Leitung Vertriebsunterstützung bAV, Stuttgarter Vorsorge-Management
Dass KMU und insbesondere Kleinstbetriebe ohne eigene Personalabteilung, Unterstützung in der bAV-Kommunikation erhalten, bekräftigt auch Protoschill. Die Stuttgarter hat hierfür spezielle Materialien und einen Kurzfilm entwickelt. Er erklärt, was eine bAV ist und welchen Nutzen sie hat. Diese Unterlagen können Vermittler gemeinsam mit dem Arbeitgeber nutzen, um die Kommunikation im Unternehmen anzustoßen. Die Erfahrung zeige: „Erfolgreich ist die bAV-Kommunikation in kleinen Betrieben immer dann, wenn der Arbeitgeber sich aktiv beteiligt.“
Info
Lese- und Hörtipps der Experten und Expertinnen
Der Betriebsberater im Gespräch mit Burkhard Fabritius
Buch: „Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt“ von Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein
Buch: „Reset: How to change what‘s not working“ von Dan Heath
Buch: „Betriebliche Vorsorge: bAV, bKV, bGM“ von H. Meissner, A. Schrehard und C. Veh (Hrsg.)
Web: www.bavheute.de– mit aktuellen bAV-Urteilen und bAV-News
Buch: „Pensionsrückstellungen“ von Thomas Hagemann
Podcast: „F.A.Z. Finanzen & Immobilien“
Buch: „Betriebliche Altersversorgung in Deutschland“ von Carolin Weckbecker
Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.
