Die am 6. Juni 2023 in Kraft getretene EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz appelliert an Unternehmen, eine regelmäßige Überprüfung ihrer Vergütungsstruktur durchzuführen. Dies soll sicherstellen, dass das Prinzip der gleichen Vergütung für gleichwertige Arbeit eingehalten wird. Zugleich erhöht sie die Transparenz in den Vergütungspraktiken innerhalb der EU-Mitgliedstaaten. Die neuen Anforderungen stellen Organisationen in der gesamten EU vor eine Reihe von Herausforderungen.
Unternehmen stellen sich die Frage, wie sie den Anforderungen der EU-Transparenzrichtlinie gerecht werden können und wie sie potenzielle Risiken ausschließen, die sich bei der Umsetzung ergeben könnten. Im Folgenden zeigen wir die wichtigsten Prozessschritte, die Arbeitgeber beachten sollten, wie sie ein diskriminierungsfreies Entgeltsystem sicherstellen.
Aktuelle Vergütungspraktiken analysieren
Zu Beginn steht eine genaue Interpretation der EU-Richtlinie mitsamt ihren Auswirkungen auf die Organisation an. Nicht nur das generelle Verständnis der Anforderungen, auch die Auseinandersetzung mit den konkreten Bestimmungen ist unumgänglich. Dazu zählen beispielsweise die Definition gleichwertiger Arbeit mittels einer Jobarchitektur sowie klare Beförderungskriterien (Karrieremodelle), die für das Unternehmen von Belang sein könnten. Weiterhin müssen Arbeitgeber ihr bestehendes Vergütungssystem detailliert auswerten und begutachten. Dabei sind diverse Gehaltsklassen, Bonuszahlungen, Vergütungszuschläge und weitere Vergütungsarten wie etwa die betriebliche Altersversorgung oder Corporate Benefits zu berücksichtigen.
Daten- und Prozessanalyse im Mittelpunkt
Eine sorgfältige Untersuchung vergütungsrelevanter Daten und Prozesse ist entscheidend für den Erfolg. Sie umfasst nicht nur Grundgehälter und zusätzliche Vergütungen wie Bonuszahlungen, Zuschläge und Zusatzleistungen, sondern auch Informationen zu Rollen, Verantwortlichkeiten, Qualifikationen und Berufserfahrungen der Mitarbeitenden. Um mögliche Diskriminierungen in der Vergütung zu identifizieren, ist es essenziell, eine leistungsstarke Systemarchitektur zu nutzen oder erstmals aufzusetzen. Diese Architektur unterstützt dabei, Vergütungsdaten aus HR-Datenbanken und Performance-Management-Systemen effizient zu organisieren und zusammenzuführen.
Unternehmen, die durchdacht und gezielt Automatisierungstechnologien einsetzen, minimieren Ungenauigkeiten, die durch manuelle Prozesse verursacht werden können – und gewährleisten eine verlässliche und termingerechte Informationsbereitstellung für die geforderte jährliche Berichterstattung. Nur wenn die Qualität und Vollständigkeit der gesammelten Daten gesichert ist, ergeben sich fehlerfreie Schlussfolgerungen. Daher müssen klare Definitionen hinsichtlich der Vergütungskomponenten festgelegt werden, die in die Analyse einlaufen. Auch die Anwendung statistischer Methoden muss genau überlegt werden.
Auf Basis der gewonnenen Daten können mögliche Entgeltgefälle zwischen Männern und Frauen sowie die Ursachen für die Unterschiede identifiziert werden. Gleichzeitig erkennen Arbeitgeber potenzielle Handlungsfelder, um das Entgeltgefälle zu bereinigen, wie beispielsweise die Schaffung einer differenzierteren Gehaltsstruktur oder eine optimierte Transparenz.
Strategie unterstützt Maßnahmen
Unternehmen, die ein geschlechtsspezifisches Entgeltgefälle von über fünf Prozent aufweisen, müssen umfassende Untersuchungen durchführen und mit adäquaten Maßnahmen Diskrepanzen eliminieren. Eine unternehmensspezifische Strategie inklusive einer Roadmap, die einen Aktionsplan einschließt, stellt einen zentralen Baustein dar, um erkannte Problempunkte zu beseitigen.
- Im Hinblick auf die Anforderungen der EU-Richtlinie gilt es, bestehende Prozesse im Bereich Personalakquise und Talent Management zu überdenken und zugleich das Bewusstsein für die Regularien zu schärfen. Besonders wichtig ist es sicherzustellen, dass die Verantwortlichen für die Personalrekrutierung gründlich über ihre spezifischen Verpflichtungen im Kontext der Entgelttransparenz während des Bewerbungsprozesses informiert sind.
- Notwendig ist es ebenso, eine umfassende Kommunikationsstrategie auszuarbeiten. Die EU-Richtlinie fordert Unternehmen auf, die Belegschaft hinsichtlich der Auskunftspflicht regelmäßig zu informieren, sodass sie die Verpflichtungen des Arbeitgebers und ebenso die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern kennen.
- Arbeitgebern ist zu empfehlen, im Vorfeld festzulegen, auf welchem Weg die Informationen den Mitarbeitenden zur Verfügung gestellt werden. Empfehlenswert sind regelmäßige Q-&-A-Sitzungen, Mitarbeitergespräche oder Informationsmaterialien, die die Belegschaft regelmäßig und transparent über Fortschritte und jegliche Änderungen informieren. Es ist zu erwarten, dass sich Beschäftigte mit der EU-Richtlinie und Vergütungsfragen intensiver befassen, Fragen stellen und das Auskunftsrecht in Anspruch nehmen. Die Personalplanung sollte zusätzliche Ressourcen bereithalten, sodass Anfragen und Bedenken effizient und angemessen bearbeitet werden können. Dabei muss die Einhaltung von Datenschutzvorschriften gemäß der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU berücksichtigt werden.
- Darüber hinaus empfiehlt es sich, Mitarbeitervertretungen wie beispielsweise Betriebsräte und Gewerkschaften rechtzeitig in den Prozess einzubeziehen. Diese können wertvolle Beiträge zur Diskussion liefern, da sie die Bedürfnisse und Anliegen der Belegschaft oft am besten verstehen. Eine frühzeitige Zusammenarbeit wird nicht nur dazu beitragen, mögliche Bedenken oder Missverständnisse auszuräumen, sondern auch eine effektive Umsetzung der neuen Vergütungsrichtlinien unterstützen und einen reibungsloseren Übergang sicherstellen.
- Fortlaufende Überprüfungs- und Kontrollmechanismen sind erforderlich, um proaktiv künftige Gehaltsungleichheiten zu verhindern. Die Kontrollfunktion ermöglicht, potenzielle Diskrepanzen zu identifizieren und zeigt an, welche korrektiven Maßnahmen einzuleiten sind.
- Die Validierungsprozesse wiederum überprüfen die Einhaltung der Richtlinie und stellen sicher, dass die umgesetzten Maßnahmen effektiv sind. Als Methoden eignen sich regelmäßige Audits, Assessments und Überprüfungen, die darauf abzielen, die Vergütungspraktiken zu evaluieren und den Fortschritt im Hinblick auf Entgelttransparenz festzustellen. Ein stetiges Monitoring und Validieren der Firmenpraktiken stellt eine dauerhafte Übereinstimmung mit der EU-Richtlinie beziehungsweise den nationalen Umsetzungen sicher, und ermöglicht, proaktiv Gehaltsungleichheiten zu verhindern.
- Damit die Konformität mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie dauerhaft gewährleistet ist, sind adäquate Schulungen und Validierungsprozesse erforderlich. Bildungsmaßnahmen sind essenziell für die Sensibilisierung und Verbesserung des Verständnisses für die Richtlinien und die damit einhergehenden Grundsätze. Sie sollten in erster Linie sowohl auf die Verantwortlichen für die Realisierung der Richtlinie als auch auf die breitere Belegschaft abzielen, um ein gemeinschaftliches Verständnis und Engagement zu unterstützen.
Fazit
Die Einhaltung der EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz erfordert eine kohärente Infrastruktur, die alle relevanten Elemente berücksichtigt. Diese Herangehensweise begünstigt eine Arbeitswelt, die von Inklusivität und Leistungsfähigkeit geprägt ist und nachhaltigen Fortschritt fördert. Insbesondere zeichnet sich dieses Umfeld durch eine gerechte Behandlung aller Beschäftigten unabhängig von ihrem Geschlecht aus. Vor diesem Hintergrund wird die individuelle Leistung zum primären Erfolgsindikator und treibt folglich die Produktivität und Zufriedenheit auf organisatorischer Ebene voran.
Autor
You-Min Maris-Stella Kim,
Senior Manager, Benefits & Compensation, Deloitte Consulting
youmikim@deloitte.de
www.deloitte.de
Ramona Klemm,
Consultant, Benefits & Compensation, Deloitte Consulting
raklemm@deloitte.de
www.deloitte.de
