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Round Table BGM: Gesunde Kultur, gesunde Mitarbeitende

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Gründe für Erschöpfung und Arbeitsunfähigkeit

„Arbeit macht auf keinen Fall per se krank“, stellt Michael Drees, Senior Key Account Management bei der ias-Gruppe, voran. Studien würden zeigen, dass jene Menschen, die keine Arbeit haben, sehr viel mehr von Krankheiten betroffen seien als die, die einer Arbeit nachgehen. Dass die starke Arbeitsverdichtung Mitarbeitenden zusetzt, bestreitet er aber nicht. Hinsichtlich der zahlreichen krankheitsbedingten Fehltage kommen nach Meinung von Drees jedoch mehrere Faktoren zusammen: „Wir befinden uns seit Jahren im Krisenmodus: Erst waren wir mit Corona konfrontiert, dann kam der immer noch währende Ukraine-Krieg. Zudem wird seit Jahren über die Auswirkungen des Klimawandels kontrovers diskutiert, ist die Energieversorgung unsicher et cetera. All das geht nicht spurlos an den Menschen vorbei, es sorgt und verunsichert sie.“ Die sozialen Medien sieht er als eine weitere Ursache für mentale Probleme.

„Ich erlebe häufig in Kundenunternehmen, dass viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – insbesondere die Jüngeren – sich nur schwer konzentrieren können“, so der BGM-Experte. Seine These, dass der ständige Blick aufs Smartphone die Konzentrationsfähigkeit generell mindert, sieht Drees durch Studien zu kognitiver Kapazität und Konsumverhalten bestätigt. Diese zeigten, dass psychomentale Probleme wie Aufmerksamkeitsstörungen und Ähnliches bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen seit 2012, als die sozialen Medien hierzulande Einzug hielten, stark gestiegen sind.

Stärkerer Fokus auf die Mitarbeitenden nötig

Um erkennen zu können, was konkret zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt hat, ist es wichtig, den Fokus stärker auf die Mitarbeitenden zu richten. Darin ist sich Drees mit Sabine Voermans, Leiterin Gesundheitsmanagement bei der Techniker Krankenkasse, einig. „Der eine hat Zukunftsängste, die andere ist durch Familie und Kinder, die Pflege der Mutter und durch den Job in dreifacher Hinsicht belastet, der oder die Dritte hat Konflikte mit Kollegen beziehungsweise Kolleginnen, ist vielleicht unter- oder überfordert“, so Voermans. Oft kenne man im Unternehmen die Ursachen für eine Arbeitsunfähigkeit nicht. „Daher ist es wichtig, mit den jeweiligen Mitarbeitenden ins Gespräch zu gehen und mögliche Gründe heraufzufinden“, führt sie weiter aus.

Ihrer Erfahrung nach sind viele Menschen hinsichtlich der Ursachenforschung für die steigenden Belastungen oftmals zu schnell bei pauschalen Aussagen. So werde etwa immer wieder angeführt, dass die Bereitschaft, psychische Belastungen zuzugeben, heutzutage deutlich größer sei als noch vor wenigen Jahren. „Ich will das im Kern nicht bestreiten. Aber um herauszufinden, warum jemand arbeitsunfähig ist, muss man tiefer schauen. Dann kann man – vor allem an den beruflichen Auslösern – gemeinsam etwas ändern“, stellt Voermans klar.

Purpose als Schlüssel

Unternehmen sollten die Gesundheit der Mitarbeitenden aber nicht erst fokussieren, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. „Mitarbeitende, die stark belastet sind, können durch gute Führung motiviert werden und so einen Sinn in ihrer Arbeit sehen. Das steigert ihre Resilienz“, ist Drees überzeugt. Ein entscheidender Punkt, denn fehlt den Mitarbeitenden eine Sinnhaftigkeit in ihrem Job, führt das in der Regel zu Unzufriedenheit und psychischer Belastung. Im Umkehrschluss führt der viel zitierte Purpose dazu, dass Menschen gerne arbeiten. Den Schilderungen von Frank Klingler zufolge trifft dies auf das Handwerk zu. Der Leiter des Fachbereichs zentrale Aufgaben Prävention bei der IKK classic, die vorwiegend Handwerksunternehmen betreut, führt eine Kundenbefragung seines Arbeitgebers an: Obwohl Handwerker eine hohe Arbeitsbelastung haben, so ein Ergebnis der Untersuchung, sind sie zufriedener mit ihrem Job als Menschen aus anderen Branchen. „Überdurchschnittlich viele der befragten Handwerker geben an, dass sie ihre Arbeit als sinnvoll betrachten. Sie empfinden es als erfüllend, wenn sie beispielsweise die Heizung bei einer Familie wieder ans Laufen gebracht oder eine Küche im Neubau eingebaut haben“, erläutert Klingler.

Vor Krankheit generell schützt der Purpose die Menschen im Handwerk aber nicht. Der Krankenstand ist mit 6,7 Prozent recht hoch, wie die Untersuchung der IKK classic weiterhin zeigt. Vorwiegend Muskel-Skelett-Erkrankungen führen hier zur Arbeitsunfähigkeit.

Info

Flexibilisierung der Arbeitswelt

Zum Thema „Flexibilisierung der Arbeitswelt“ gibt es geteilte Ansichten. Die einen sagen, flexibleres Arbeiten sei gut für die Work-Life-Balance, die anderen meinen, eine fehlende Struktur wirke sich negativ auf die Gesundheit aus. Was kann HR tun, um einen Mittelweg zu finden?

Wie so häufig gibt es kein Schwarz oder Weiß. „Manche Menschen lieben es, keine festen Arbeitszeiten und -orte zu haben. Andere brauchen Sicherheit. Dazwischen tummeln sich jene, denen ein bisschen Abwechslung im Arbeitsalltag recht ist“, sagt Sabine Voermans. Zwei Dinge gibt es ihrer Meinung nach im Zusammenhang mit einer flexiblen Arbeitswelt unbedingt zu beachten: Es dürfe kein Chaos entstehen, damit kämen die wenigsten Menschen klar. Das Bedürfnis nach Sicherheit müsse ernst genommen werden. „Sicherheit ist ein Grundbedürfnis“, bringt es Voermans auf den Punkt. Das heißt: Eine gewisse Struktur ist für viele Menschen existenziell. Kommt eine depressive Veranlagung hinzu oder leidet jemand unter einer anderen psychischen Belastungsstörung, spiele eine geregelte Tages- und Wochenstruktur ohnehin eine wichtige Rolle, wie Michael Drees anmerkt.

Darüber hinaus tun Unternehmen gut daran, die soziale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden im Blick zu behalten, wenn sie auf flexible Arbeitsmodelle setzen. Fabian Loch, Geschäftsführer der insa Gesundheitsmanagement GmbH, erlebt aktuell bei vielen Kundenunternehmen, dass sie verstärkt versuchen, Mitarbeitende aus dem Homeoffice wieder ins Büro zu holen, weil sie den Kontakt untereinander und somit Interaktion und Kommunikation fördern wollen. „Das zeigt, wie wichtig das soziale Miteinander und Kommunikation bei der Arbeit sind“, so Loch. Einen flexiblen Rahmen zu schaffen sei empfehlenswert; wichtig dabei sei jedoch, zu schauen, wie die Erreichbarkeit der Mitarbeitenden und die Kommunikation gestaltet werden. „Welche Anknüpfungspunkte es gibt, um miteinander in Kontakt zu kommen, sollte dabei nicht nur von den Führungskräften, sondern gemeinsam im Team überlegt werden“, führt Loch aus. Die Erfahrung zeige, dass dies besonders gut in gemeinsamen Workshops zur Teamresilienz gelinge. Damit werde auch die psychologische Sicherheit und somit die Resilienz der Mitarbeitenden gestärkt.

Soziale Nachhaltigkeit und BGM

Die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der Europäischen Kommission zur Nachhaltigkeitsberichterstattung soll transparente, zukunftsorientierte Nachhaltigkeitsstrategien fördern. Für das BGM ist das ein wichtiger Anknüpfungspunkt.

Davon ist Bastian Schmidtbleicher, Geschäftsführer der MOOVE GmbH, überzeugt. „Wenn man die über 300 Seiten der Gesetzgebung samt den Berichtstandards gelesen hat, merkt man, dass es hier um einen durchdachten und mit vielen Hebeln versehenen Ansatz geht, der die Unternehmen unter anderem dabei unterstützt, bessere Arbeitsbedingungen zu implementieren und wirtschaftlich nachhaltig erfolgreich zu sein“, sagt er. Bezogen auf die Zukunft der Arbeit gehe es darum, Arbeitszeiten, Orte, Räumlichkeiten und Arbeitsphasen flexibel zu gestalten. Schmidtbleicher sieht die ESG-Kriterien und insbesondere die Säule Social Sustainability zudem als Türöffner, um Kompetenzen für nachhaltiges betriebliches Gesundheitsmanagement zu vermitteln. Ferner seien aus Sicht der Unternehmensleitungen im Rahmen von Corporate Governance gesetzliche Vorgaben zu erfüllen und Risiken abzuwehren.

BGM-Strategien werden wichtiger

Auch Fabian Loch betrachtet das geforderte soziale Nachhaltigkeitsmanagement als Chance für eine vermehrte Implementierung von strategischem betrieblichen Gesundheitsmanagement in den Unternehmen – schon allein aus dem Grund, weil die Unternehmen in Zukunft gegenüber ihren Kunden in mehr Drucksituationen geraten und sie mitunter aus finanziellen Gründen gezwungen seien, die Auflagen zu erfüllen. „Damit kann sich das Thema Nachhaltigkeit auch zu einem starken Zugpferd für ein nachhaltig integratives Gesundheitsmanagement entwickeln“, so Loch.

Dem EU-Leitfaden fehlt es an Klarheit

Wie eine Organisation in solch eine Drucksituation geraten kann, hat Schmidtbleicher kürzlich bei einem seiner Kundenunternehmen erlebt: „Der betreffende Betrieb wurde von einem Dax-notierten Kundenunternehmen aufgefordert, die ESG-Kriterien – insbesondere die für soziale Nachhaltigkeit – kurzfristig nachzuweisen, damit der Kunde wiederum die geforderte Nachhaltigkeit in der Lieferkette vorweisen kann. Wäre der von uns betreute Betrieb in seiner Rolle als Lieferant dem nicht nachgekommen, hätte er einen Umsatzverlust von über 180 Millionen Euro riskiert.“

Die Notwendigkeit, in Sachen Corporate Sustainability und ESG-Regulatorik zu agieren, steht außer Frage. Die Herausforderung liegt Schmidtbleicher zufolge darin, den Kern zu verstehen und die Leitlinien entsprechend umzusetzen. „Hier beobachte ich noch viel Mikromanagement und wenig strategisches Vorgehen“, meint er. Laut Natalie Lotzmann, Global Vice President HR und Chief Medical Officer bei SAP, herrscht selbst bei großen Unternehmen noch viel Unsicherheit beim Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung. Dies liege auch daran, dass es dem EU-Leitfaden zum Teil an Klarheit fehle und nicht alles Geforderte auf jede Branche anwendbar sei.

Alles zum Thema

Betriebliches Gesundheitsmanagement

Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) ist die Gestaltung, Lenkung und Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse, um Arbeit, Organisation und Verhalten am Arbeitsplatz gesundheitsförderlich zu gestalten.

Lebensphasenorientiertes BGM

Vom Azubi bis zum Mitarbeitenden Ü60 – in der Arbeitswelt sind mehrere Generationen vereint, die jeweils unterschiedliche gesundheitliche Herausforderungen mit sich bringen. Inwiefern gehen die Unternehmen darauf ein? Wie weit sind sie in Sachen lebensphasenorientiertes BGM?

Laut Sabine Voermans ist in den Firmen generell angekommen, dass eine lebensphasenorientierte Gestaltung des betrieblichen Gesundheitsmanagement zielführend ist. „Gerade was die älteren Beschäftigten angeht, ist das spürbar. Schließlich wollen die Unternehmen ihre Mitarbeitenden möglichst lange arbeitsfähig halten.“ So würde jenen Menschen, die ihre ursprüngliche Tätigkeit aus altersbedingten – oftmals körperlichen – Gründen nicht mehr ausüben können, andere Jobs angeboten, die ihren Kompetenzen und Stärken entsprechen.

Doch neben passenden Modellen, um Menschen auch nach ihrem Renteneintritt weiter beschäftigen zu können, sollte lebensphasenorientierte Personalarbeit auch Konzepte für jüngere Beschäftigte parat halten und aktuellen Entwicklungen Rechnung tragen. Hier ist laut Voermans nämlich einiges in Entwicklung. Beispielsweise würden immer mehr werdende Väter über reduzierte Arbeitszeit nachdenken.

Vermehrt genderspezifische Themen

Des Weiteren werden in den Medien zunehmend mehr Themen wie die Wechseljahre oder Regelschmerzen bei Frauen im Arbeitskontext aufgegriffen. Die Tendenz, sich mit solchen Themen zu beschäftigen, spiegelt sich auch in den Unternehmen wider. „In der Arbeitsmedizin macht man sich gerade viele Gedanken, wie man genderspezifische Themen besser verstehen und mit ihnen im betrieblichen Kontext umgehen kann“, sagt Michael Drees. Ausgangspunkt sei der Ansatz der Gendermedizin, die in der Beobachtung von Herzkrankheiten ihren Ausgang genommen habe. „Herzinfarkt-Symptome sind bei Frauen anders als bei Männern“, erläutert Drees. Ebenso gebe es viele weitere gesundheitliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. „In der Vergangenheit sind nur wenige Unternehmen auf diese Erkenntnisse eingegangen. Doch mittlerweile erlebe ich gerade bei großen Kundenfirmen, dass sie zu genderspezifischen Themen Vorträge, Workshops und Seminare anbieten.“

Wie sieht’s im Handwerk aus?

In Handwerksbetrieben indes spielt lebensphasenorientiertes BGM bislang so gut wie keine Rolle. „Gesundheitsförderung sollte sich immer an den Handwerksbetrieb als Ganzes richten. Er profitiert, wenn alle in den Prozess eingebunden sind. Da stellt sich kaum die Frage nach einer Lebensphasenorientierung“, meint Frank Klingler. Trotzdem müsse geschaut werden, wie immer weiter steigende Versorgungskosten mittels Präventionsangebote minimiert werden könnten. In diesem Zusammenhang bei bestimmten Zielgruppen anzusetzen, betrachtet auch Klingler als sinnvoll – seien es Mitarbeitende mit besonderen Risikofaktoren oder etwa Menschen, die einen hohen Versorgungsaufwand haben. Klingler: „Wir sind als Krankenkasse hier dran.“

Zwischen Fürsorge und Selbstverantwortung

Immer mehr Arbeitgeber gehen über die gesetzliche Fürsorgepflicht hinaus. Um ihre Mitarbeitenden zu entlasten, versuchen sie, auf unterschiedlichste Bedürfnisse und Lebenslagen einzugehen. Doch kommt das dem BGM zugute?

Fürsorge ist gut, übermäßige Fürsorge indes kann auch Nachteile nach sich ziehen. Das lässt sich aus Frank Klinglers Erfahrungen mit Handwerksbetrieben folgern: „Es gibt Betriebsinhaber, die sozusagen in der Fürsorgerolle geboren werden. Allerdings zeigt sich hier immer wieder, dass sie sich überfordern – und damit ihre eigene Gesundheit gefährden“, berichtet Klingler. Er plädiert daher für Fürsorge in Grenzen. Bastian Schmidtbleicher sieht eine sehr starke Fürsorge von Arbeitgebenden ebenfalls kritisch.

Seine stärksten Bedenken: „Man muss aufpassen, dass man nicht die Entwicklung und Reifeprozesse von Menschen verhindert, indem man sie zu sehr umsorgt und fortwährend in ihrer Komfortzone hält.“ Mustapha Sayed indes glaubt, dass der Anspruch einer umfassenden Fürsorge gar nicht gänzlich verwirklicht werden kann. „Arbeitgebende wirken nur zum Teil auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden hin. Schließlich sind diese nicht 24 Stunden im Unternehmen“, begründet der Head of Corporate Health der BARMER. So könnten die Unternehmen etwa gesundheitsbewusste Kost in der Kantine anbieten, wie die Mitarbeitenden sich jedoch außerhalb ihrer Arbeitszeit ernähren, darauf hätten sie nur bedingt Einfluss.

Hier kommt die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden ins Spiel. „Wir können uns viele Gedanken zu gesundheitsfördernden Maßnahmen und deren Ausgestaltung sowie zu den Grenzen der Fürsorgerolle machen. Doch ohne die Eigenverantwortung der einzelnen Mitarbeitenden läuft dies zum Teil ins Leere“, meint Fabian Loch. Es wäre daher wichtig, nach passenden Ansatzpunkten zu schauen, um die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden zu stärken. Im Umkehrschluss sei es wenig sinnvoll, den Fokus darauf zu richten, den Mitarbeitenden möglichst viel abzunehmen. Damit verringere man eher die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden, stimmt er mit Schmidtbleicher überein.

Info

Einbettung des BGM in HR

BGM steht mit Themen wie ESG, also Environmental, Social and Governance, oder Mitarbeiterverbindung in Verbindung. Ergo macht es Sinn, das Gesundheitsmanagement in die HR-Themenlandschaft einzubetten. Den großen Durchbruch gibt es in den Unternehmen diesbezüglich aber noch nicht.

„Immer noch herrschen Einzel-Maßnahmen vor, was in den meisten Organisationen läuft, ist kein Gesundheitsmanagement, sondern Gesundheitsförderung“, sagt Natalie Lotzmann. Natürlich wäre es richtig, einzelne Maßnahmen anzubieten, wenn diese gebucht werden. Schließlich seien sie ein Teil der Fürsorge, sie würden Bedürfnisse der Mitarbeitenden erfüllen und hätten somit einen Wert. Doch selbst dann, wenn man Ziele und Meilensteine festlege sowie mit Kennzahlen die Zielerreichung überprüfe, würde das Angebot solcher Gesundheitsmaßnahmen im Unternehmenskontext relativ isoliert bleiben: „Wirkliche Kraft entfalten die Aktivitäten erst, wenn sie in die Personalstrategie der Unternehmen eingebettet sind“, bringt es Lotzmann auf den Punkt. Ein hoher Reifegrad in Sachen Gesundheitsmanagement betrifft folglich nicht die Anzahl an Aktivitäten in diesem Bereich. Fabian Loch zufolge ist es wichtiger, dass Synergien zwischen der Personalabteilung, dem Health Management und weiteren wichtigen Akteuren bestehen und entwickelt werden. „Einige wenige Firmen sind in dieser Hinsicht gut aufgestellt. Den meisten Unternehmen ist jedoch noch nicht klar, wen in der Organisation sie mit ins Boot holen müssen, um für ein nachhaltig erfolgreiches Gesundheitsmanagement eine gute Basis zu haben“, so Loch. Die Erfahrung zeige aber, dass über eine passende Prozessberatung mit Blick auf den aktuellen BGM-Status, die Struktur und einer Zielperspektive ein sehr guter Grundstein gelegt werden kann.

BGM als Komplettlösung

Letztlich fehlt es in den Unternehmen an Erfahrung und Expertise, um zu wissen, an welchen Stellschrauben zu drehen ist. Das wird Bastian Schmidtbleicher nicht müde, beim Round Table zu betonen. „Damit die Verantwortlichen in den Unternehmen BGM als Komplettlösung anbieten und auch die nötige Kultur entwickeln können, müssen sie erstmal wissen, wie anzusetzen ist – von der Struktur über den Prozess bis hin zu konkreten Maßnahmen“, sagt er. Hierzu wiederum sei unter anderem klassisches Management-Know-how zur Prozess-Analyse wichtig. „Ich muss nicht nur über die ökonomische und funktionelle Wirkung eines Arbeitsprozesses Bescheid wissen, ich muss auch wissen, was er mit den Menschen macht: Wie stark ist die Beanspruchung, wie stark ist die Belastung?“ Stichpunkt Psychische Gefährdungsbeurteilung. Sie ist seit mehr als zehn Jahren gesetzlich vorgeschrieben, laut Schmidtbleicher aber in vielen Unternehmen nach wie vor nicht umgesetzt. Ferner bestehe selbst bei gestandenen HRler Angst vor dem Umgang mit Arbeitsunfähigkeit. „Es müssen dringend die nötigen Kompetenzen vermittelt werden, wie hinsichtlich erhöhter Fehlzeiten agiert und kommuniziert werden kann“, so der BGM-Experte.

Die große Bedeutung der Unternehmenskultur

Die Unternehmenskultur ist für das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden grundlegend. Aktuelle Studienergebnisse untermauern die starke Bedeutung des Faktors Kultur für das BGM.

Mustapha Sayed, Head of Corporate Health bei der BARMER, berichtet von der Untersuchung, die sein Arbeitgeber mit der Universität St. Gallen umsetzt: „Gemeinsam forschen wir bereits seit einigen Jahren über die Auswirkungen von mobiler Arbeit insbesondere auf die soziale Gesundheit von Arbeitnehmenden. Die erste Erhebung wurde speziell in den Kontext von gesunder Unternehmenskultur und Arbeitsbeziehungen gestellt“, erläutert er. Konkret wäre branchenübergreifend erfasst worden, wie wichtig es ist, dass sich mobil arbeitende Mitarbeitende im eigenen Team wohlfühlen. Dabei wurde festgestellt: Jene, die sich in ihren Teams gut eingebunden fühlen, bewerten die eigene Produktivität höher als die mit geringer Inklusionswahrnehmung. Die Kündigungsabsicht sinkt zudem um nahezu 50 Prozent.

Sayed schließt daraus, dass nicht nur die Führung beim Thema Gesundheit in der Arbeitswelt relevant ist, sondern darüber hinaus auch die Zusammenarbeit im Team – sei es hybrid, analog oder virtuell –, die wiederum durch die jeweilige Kultur im Unternehmen geprägt sei. Nach Meinung von Natalie Lotzmann spielt die Führungskraft jedoch eine Schlüsselrolle: „Wenn es der Führungskraft gelingt, ein Zusammengehörigkeitsgefühl im Team herzustellen, dann ist das der größte Schutzfaktor gegenüber Überbeanspruchung, den sie bereitstellen kann“, wirft die BGM-Expertin ein.

Mitarbeitende sollen gerne im Unternehmen arbeiten

Insgesamt bekräftigen die Erkenntnisse aus der Studie, dass dem Thema Mitarbeiterbindung im Rahmen von BGM eine größere Beachtung geschenkt werden muss. Rückengymnastik, Ernährungskurse und Co. anzubieten, sei dabei zu kurz gegriffen, wie Sayed sagt. „Wichtig ist vielmehr, sich intensiv Gedanken darüber zu machen, ob die Unternehmenskultur und die herrschende Haltung im Unternehmen förderlich sind, damit die Menschen gerne im Betrieb arbeiten.“

Handwerksbetriebe kulturell oft im Vorteil

Für viele Handwerksbetriebe erübrigen sich solche Reflexionen zum Teil, bringen diese ihren Mitarbeitenden doch ohnehin eine große Wertschätzung entgegen. „Ein Großteil der Geschäftsführer im Handwerk betrachtet ihr Team wie eine Familie. Mit dieser inneren Haltung wird in den Betrieben automatisch das gelebt, was man gemeinhin unter gesunder Führung versteht“, so Klingler. Das bringt ihnen wesentliche Vorteile, denn wie Lotzmann betont, ist eine gute Unternehmenskultur die Voraussetzung schlechthin für leistungsfähige und -willige Mitarbeitende. „Es ist ein großer Unterschied, ob Menschen in einem Umfeld arbeiten, in dem sie nur Kontrolle und Maßregelungen erfahren, oder ob ihnen vertraut wird und sie gefördert werden“, sagt sie.

Ein komplexes Thema

Laut Lotzmann wird das große Thema Kultur und die Frage, unter welchen Bedingungen sich Mitarbeitende entfalten können, in den Firmen im Rahmen von BGM insgesamt immer noch nicht hinreichend berücksichtigt. „Das Thema ist komplex, und es bedarf der Zusammenarbeit vieler Bereiche, um eine fürsorgende Leistungskultur zu leben“, meint sie. „Eine gute, gesunde Unternehmenskultur zu etablieren, benötigt Zeit“, ergänzt Sayed.

Ferner brauche es die Überzeugung, dass es der richtige Weg ist – auch von den Mitarbeitenden. Sonst würde sich ohnehin nichts ändern. Dabei kann ein Wandel auf Teamebene laut Lotzmann relativ schnell erfolgen, wenn die einzelne Führungskraft eine spürbar andere Haltung mitbringt. „Die meisten Menschen lassen sich mitreißen, wenn sie merken, dass da jemand ist, der ein glaubhaftes Anliegen hat, etwas anders zu machen, und sie einbeziehen will“, ist Lotzmann überzeugt. Es lohnt sich also, am Thema Mindset dranzubleiben.