Unsere Zusammenschau der „Business-Bücher des Jahres“ steht unter dem Motto „Neue Perspektiven, neue Wege“. Im ersten Teil stellen wir unsere Favoriten im Themenfeld „Wirtschaft und Gesellschaft“ vor.
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Grundsätzliches zur Auswahl der Titel und zum Motto lesen Sie hier.
Unsere Top-5-Lesetipps aus dem Bereich „Wirtschaft und Gesellschaft“:
Wir können auch anders. Aufbruch in die Welt von morgen. Maja Göpel, Ullstein, 358 Seiten, 19,99 Euro
Maja Göpels Buch ist längst ein Bestseller, ihre Bühnenauftritte sind bis Mitte 2023 durchgebucht, Mitschnitte ihrer TV-Präsenzen entfalten viralen Charakter im Netz. Etwa jene Szene aus einer „Lanz“-Sendung im November 2022, als sie Ex-VW-Chef Herbert Diess die Vorzüge ganzheitlicher Bilanzierung nahebrachte und sich weder von dessen ständigem Reinplappern noch von seinem süffisanten Lächeln aus der Ruhe bringen ließ.
Kurzum, Maja Göpel ist bereits ein Star bei allen, die an wissenschaftlichen Argumenten und Ideen zum Fortbestand der Welt interessiert sind. Ihr Buch ist (wie auch schon der Vorgänger, „Unsere Welt neu denken“ aus dem Jahr 2020) ein Augenöffner. Es zeigt, was möglich ist, wenn wir veränderungsoffen sind. Göpel appelliert in klaren Worten – eindeutig, ohne extrem zu werden. Göpels Buch macht deutlich, wo und wie Wandel im System Wirtschaft und Gesellschaft nötig ist und wo wir anpacken und wirksam werden können. Trotz aller Komplexität und Teufelskreise. Maja Göpel mahnt, sie macht aber auch Hoffnung.
Man könnte der Autorin vorwerfen, dass sie in ihrer Rolle als Wissenschaftskommunikatorin inzwischen mehr der Kommunikation als der Wissenschaft verpflichtet ist. Ihr Onlineauftritt ist der einer gut positionierten Speakerin, während sie akademisch aktuell „nur noch“ als Gast- (College of Europe, Brüssel) und Honorarprofessorin (Universität Lüneburg) auftritt. Doch sie ist in diesem Ansatz konsequent und transparent, sie verhehlt ihn nicht.
Dazu passt, dass das Buch (wie auch vorherige aus „ihrer“ Feder) in Zusammenarbeit mit dem preisgekrönten Journalisten Marcus Jauer entstanden ist. So überzeugend ihre Auftritte seien, das begeisternde Schreiben gehöre nicht zu ihren größten Stärken, heißt es über Maja Göpel. Also hat sie sich mit Jauer einen an die Seite geholt, der ihre Botschaften zum Klingen bringt und mit Randgeschichten versieht. Das Buch liest sich – als wissenschaftlich fundiertes Sachbuch mit knapp 380 Fußnoten, jedoch ohne eine einzige Illustration – flüssig, pointiert, phasenweise mitreißend. So kennen wir es vor allem von US-amerikanischen Wissenschaftlerinnen, und es ist eine Freude, dass uns Göpel und Jauer diesen Sound auch hierzulande kredenzen.
Maja Göpel erreicht mit dem Buch und auch allgemein ihr Ziel: Sie ist in der Tat Wissenschaftskommunikatorin, eine der besten – und aktuell auch sichtbarsten – dieses Landes. Man sollte ihr Buch lesen, wenn man die dringend notwendigen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft kennen und verstehen, daran aber nicht verzweifeln möchte.
Der Rückblick als Podcast:
Das grüne Jahrzehnt. Countdown bis 2030 – Wie die Klimakrise die Wirtschaft revolutioniert. Horst von Buttlar, Penguin, 336 Seiten, 25 Euro
Einen Ghostwriter, so viel ist klar, braucht Horst von Buttlar nicht. Der Mann ist einer der höchstdekorierten Wirtschaftsjournalisten des Landes, steht als Chefredakteur dem Wirtschaftsmagazin „Capital“ und der RTL/ntv-Redaktion „Wirtschaft und Wissen“ vor. Auch von Buttlar ist angetreten, uns Hoffnung zu machen – wenn seine Perspektive auch weniger breit angelegt und nicht von der Idee eines grundlegenden Systemwandels getragen ist.
Von Buttlar ist tief eingetaucht in die Wirtschaft des Hier und Jetzt und beschreibt die Chancen, auch aber die ganz aktuellen Entwicklungen und Beispiele, die der Umbau Richtung Klimaneutralität mit sich bringt. Sein Buch lebt dabei von der Lebendigkeit der Beispiele – er beschreibt Großkonzerne ebenso wie ganz junge Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle infolge der Klimakrise umbauen oder mit Blick auf ihre Milderung neu erfinden – und von der Kraft von Zahlen und Grafiken. Von Buttlars Zusammenarbeit mit der Grafikerin Katharina Metschl tut dem Werk gut. Auf jeder dritten, vierten Seite finden sich gut recherchierte, das Geschriebene verdeutlichende oder tiefer ausleuchtende Grafiken, geschmackvoll reduziert zweifarbig gesetzt (passenderweise grün-schwarz) – im allerbesten Wortsinne illustrierend.
Horst von Buttlars Titel ist allen anzuraten, die in den Maschinenraum der Wirtschaft auf dem Weg Richtung Dekarbonisierung schauen und den Wandel erahnen wollen, der damit verbunden sein wird. Klar ist: Von Buttlars Panorama ist ein liberales, ein wirtschafts- und technikgläubiges. Doch sein Blick ist wach und umsichtig, wägend und kritisch. Ein empfehlenswertes, toll aufgemachtes Sachbuch.
KI 2041. Zehn Zukunftsvisionen. Kai-Fu Lee und Qiufan Chen, Campus, 534 Seiten, 26 Euro
Kürzlich saß ich mit einem Spitzenmanager zusammen, der die künftigen Auswirkungen der Künstlichen Intelligenz auf unsere Welt so prognostizierte, dass wir Menschen in zwanzig, dreißig Jahren von den Maschinen gehalten würden wie bei uns derzeit die Tiere im Zoo: zur Schau gestellt, an kurzer Leine, domestiziert, dominiert.
Die zehn Zukunftsvisionen, die Kai-Fu Lee und Qiufan Chen in ihrem Buch aufstellen, ersparen uns dieses betrübliche Szenario. Der Clou des Buchs liegt im Zusammenspiel zwischen wissenschaftlicher Analyse und schriftstellerischer Fiktion. Kai-Fu Lee ist Digitalunternehmer und Topmanager, er war unter anderem bei Microsoft, Apple und Google, und befasst sich bereits seit Studientagen vor 40 Jahren mit Künstlicher Intelligenz. Qiufan Chen ist Science-Fiction-Bestsellerautor. Beide stammen aus China, das Originalwerk erschien 2021 in englischer Sprache bei Random House.
Das Buch bildet beide Kompetenzbereiche – KI-Forschung und fiktionale Erzählung – ab. Die beiden Autoren haben sich zehn potenziell realistische Szenarien zum Einsatz von KI im Jahre 2041 überlegt. Der Romancier Chen formuliert diese in Kurzgeschichten aus. Der Experte Lee ordnet sie ein.
Die Dualität funktioniert. Das Buch, obwohl es über 530 Seiten stark ist, wirkt nicht überladen. Die zehn in sich geschlossenen Kapitel und der Wechsel vom Literarischen ins Fachliche lockert die Lektüre auf und strukturiert sie natürlich vor. Die wertige Aufmachung trägt zum Leseerlebnis bei. Wer also vor dem eigenen Wohnortwechsel in den Zoo verstehen will, was KI ist, wie sie wirkt und welche Macht sie entfalten kann – im Guten wie im Bedrohlichen –, der lese dieses Buch.
Weltbeste Bildung. Wie wir unsere digitale Zukunft sichern. Yasmin Weiß, Campus, 246 Seiten, 28 Euro
Als HR-Professorin an der TH Nürnberg, Speakerin zu „Future Skills“ und „Future of Work“ und ehemalige aktive Personalmanagerin ist Yasmin Weiß der HR-Welt von allen hier genannten Autorinnen und Autoren am engsten verbunden. Sie fordert, weltbeste Bildung als „deutsches Mondfahrtprojekt“ zu behandeln und mit entsprechenden Ressourcen auszustatten. Der Wohlstand von morgen hänge an der Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Dafür brauchten unser Bildungssystem und -verständnis ein ganz grundlegendes Update.
Lernkompetenz, kritisches Denken, Problemlösungskompetenz, Kreativität, Resilienz, Selbstkompetenz, Sozialkompetenz und eine Bereitschaft zur persönlichen Transformation – das alles sei in einer digitalen Gesellschaft unabdingbar. Um lebenslanges Lernen zu ermöglichen, müsse Weiterbildung den gleichen Stellenwert erhalten wie Erstausbildung.
Weiß appelliert an die Unternehmen, auch aber an jeden einzelnen Beschäftigten, lebenslanges Lernen zu kultivieren: Mitarbeitende sollten regelmäßig neue Aufgaben erhalten und dafür qualifiziert werden; die Verantwortung für Weiterbildungen (und die dafür aufgewendete Zeit) solle von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen getragen werden.
Yasmin Weiß‘ Buch liest sich als perfekte Ergänzung zu den vorgenannten Titeln. Für den notwendigen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft (Göpel), für eine nachhaltige Wirtschaft (von Buttlar) und einen sensiblen und nützlichen Umgang mit Digitalisierung, Daten und KI (Lee/Chen) ist Bildung der Grundpfeiler. Weiß beschreibt das eindrücklich und fordernd, und zeigt die vielen Dimensionen auf, wo und wie Bildung gelingen kann – oder eben nicht.
Gen Z. Für Entscheider:innen. Annahita Esmailzadeh, Yael Meier, Stephanie Birkner, Julius de Gruyter, Hauke Schwiezer und Jo Dietrich (Hrsg.), Campus, 192 Seiten, 20 Euro
Das fünfte Buch in diesem kleinen Jahreskanon „Wirtschaft und Gesellschaft“ fällt etwas aus der Reihe. Die bisher genannten Titel überzeugen mit ihrer Stringenz und dadurch, dass sie ihre Thematik zugleich profund und unterhaltsam aufbereiten und den Leser nachhaltig mit Wissen versorgen. Das Werk „Gen Z“ ist anders gelagert. Die sechs Herausgeberinnen und Herausgeber entstammen allesamt der Generation Z (die, je nach Definition, grob die Geburtsjahre von 1997 bis 2012 umfasst) und sind im Hauptberuf zumindest teilweise beraterisch damit befasst, Unternehmen die „Gen Z“ näher zu bringen. Das tun sie auch in diesem Buch, vor allem, indem sie (neben sich selbst) weitere, ebenfalls zumeist junge, unternehmerisch und als Business-Influencer erfolgreiche Köpfe aus ihrem Netzwerk zu Gastbeiträgen einladen. Deren Gehalt variiert bei knapp 30 Beiträgen naturgemäß.
Eine derartige Zusammenschau hat für die geneigte Leserin aber den Vorteil, dass sie viele Stimmen und Perspektiven bündelt und hier in einem schmalen Bändchen – wir reden über gut 190 luftig gesetzte Seiten, die auch manch aktuelles Studienergebnis bereithalten – vereint. Geht dem Werk auch die analytische Tiefe der anderen Titel ab, so spricht ein Argument stark dafür, es auf diese Liste zu nehmen: Ohne die junge Generation werden wir die „Neuen Wege“, die hier in Rede stehen, nicht gehen können. Es ist stets die Jugend, die Impulse für Veränderung liefert, sie treibt den Wandel ideell voran. Ihre Stimme zu hören, ihr Engagement und ihre Tatkraft zu nutzen – all das steht einer alternden Gesellschaft mit extremem Transformationsbedarf sehr gut an.
Zudem sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die Beforschung und Beschreibung der „Gen Z“ hierzulande von einem ganz Großen der HR-Wissenschaft angestoßen wurde: Bereits 2014 legte Professor Dr. Christian Scholz seine erste gleichnamige Monografie zum Thema vor, einige Herausgeberinnen und Autoren des aktuellen Werks waren seinerzeit Schüler der Mittelstufe. Scholz, wie immer streitbar und pointiert, setzte schon damals – HR war zu dieser Zeit noch mit dem Verständnis und dem Management der „Generation Y“ („Millenials“) befasst – wichtige Punkte. Er war aber, Wohl und Wehe des Visionärs, eben sehr früh dran. Zu früh für eine breite Marktakzeptanz. Auch in dieser Redaktion hatte Scholz aus diesem Grund mit dem Thema einen schweren Stand und heftete uns (und vielen anderen) auf seinem Blog das Label der „Generationenverleugner“ an: Die Personalwirtschaft, schrieb er 2018, habe „die Existenz der Generation Z konsequent negiert und auch keinerlei Interesse an Artikeln zu diesem Thema“ gezeigt.
Christian Scholz, BWL-Lehrstuhlinhaber in Saarbrücken, viele Jahre Top-HR-Wissenschaftler des Landes, mehrfach unter den „40 führenden HR-Köpfen“ der Kollegen des Personalmagazins und langjähriger Beirat der Personalwirtschaft, verstarb 2019, viel zu früh und nur ein Jahr nach seiner Emeritierung. Eines seiner letzten großen Themen heute mit ihm und den Vertreterinnen der von ihm gesehenen und beschriebenen Generation diskutieren zu dürfen – es wäre eine Freude.
Longlist Wirtschaft und Gesellschaft:
Auch die folgenden Titel haben 2022 wichtige strategische Fragen unserer Zeit behandelt und sind es wert, auf Nacht- und Gabentischen zu landen.
- Das Metaverse. Und wie es alles revolutionieren wird. Matthew Ball, Vahlen, 328 Seiten, 24,90 Euro
- Die große Arbeiterlosigkeit. Warum eine schrumpfende Bevölkerung unseren Wohlstand bedroht und was wir dagegen tun können. Sebastian Dettmers, FinanzBuch Verlag, 256 Seiten, 25 Euro
- #Ecosystem Innovation. Mit Innovationen unsere Zukunft sichern. Deepa Gautam-Nigge, Haufe-Lexware, 300 Seiten, 29,95 Euro
- Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden. Ulrike Herrmann, Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 24 Euro
- Eine kurze Geschichte der Gleichheit. Thomas Piketty, C.H. Beck, 264 Seiten, 25 Euro