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Marc Wagner: „Banken brauchen komplett neue Fähigkeiten“

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Personalwirtschaft: Herr Wagner, Sie sind Senior Vice President People & Organization bei Atruvia, dem Digitalisierungsdienstleister vieler Volks- und Raiffeisenbanken, und Speaker beim ersten HR Forum Banking im Juni. Was sind aktuell die größten Herausforderungen von Banken bei der Digitalisierung?
Marc Wagner: Die Digitalisierung und der konsequente Einsatz von Technologie müssen zu einer Priorität werden – was ein Umdenken erfordert, und das ist nie leicht. Geschäftsmodelle und Wettbewerbsverhältnisse müssen neu gedacht werden. Zudem brauchen Banken komplett neue Fähigkeiten. Wir sehen, dass bisherige, klassische Bankausbildungen und berufliche Erfahrungen oft nicht mehr ausreichen. Hier gilt es neue Kompetenzen aufzubauen. Dann ist eine Unternehmenskultur nötig, welche die Digitalisierung und den konsequenten Technologieeinsatz ins Zentrum stellt. Schließlich wird die Arbeitgeberattraktivität zum entscheidenden Faktor – denn letztlich machen gerade in einer digitalisierten Welt die Menschen den Unterschied.

KI, Machine Learning und Co.: Wie sollte HR in Banken diese Tools einführen?
KI wird für den People-Bereich zukünftig zweifellos eine große Bedeutung haben. Ich halte es aber für entscheidend, zunächst einen strategischen und insbesondere ethischen Rahmen zu schaffen und genau zu definieren, welche Anwendungen zu den Unternehmenswerten passen. Bei Atruvia haben wir dies in einem ersten Schritt in einer Art Manifest festgelegt. Erst danach sollte die Frage folgen: Was sind sinnvolle und wirklich wirkungsvolle Use Cases und welchen Impact haben sie? Ich bin nach wie vor sehr skeptisch, wenn Unternehmen auf jedes HR-Thema unreflektiert Technologie und KI anwenden – hier muss erst der konkrete Nutzen geklärt werden.

Können Sie Beispiele hierfür nennen?
Viele der stark beworbenen Anwendungsfälle im Recruiting sind eher ernüchternd. Teilweise führen sie sogar dazu, dass interessante Profile im Vorfeld ausgefiltert werden.

Wie geht es besser?
Bei Atruvia beschäftigen wir uns im People-Bereich zum Beispiel mit der Frage, welche Prozesse wir mit KI vereinfachen können. Unsere Grundvorstellung ist dabei: Die Maschine kann vorschlagen und Abläufe vereinfachen, aber der Mensch gibt am Ende frei und entscheidet. Bevor KI und Technologie angewendet werden, sollten zudem zunächst die Prozesse und Abläufe grundlegend analysiert und optimiert werden. Es gilt: Ein schlechter Prozess bleibt letztlich auch ein schlechter digitaler Prozess.

Welche Prozesse können durch den Einsatz von KI vereinfacht werden?
Ich bin überzeugt davon, dass zukünftig klassische Standard-Service-Leistungen im People-Bereich vollständig von der Technologie übernommen werden können und unsere Effizienz entlang der gesamten Employee Journey dadurch signifikant steigen wird. Gleiches gilt für Transformationsprozesse – auch hier wird gerade KI eine sehr gute Unterstützung bieten. Auch können wir administrative Schreiben mit generativer KI verfassen.

Welche Infrastruktur und welches Change Management braucht es, um als Finanzinstitut mit den schnellen technologischen Veränderungen mithalten zu können?
Erstens braucht es eine klare Transformationsstrategie, die insbesondere von der obersten Führungsebene getragen und vorgelebt wird. Ohne dieses Commitment und ein konsequentes Vorleben des gewünschten Verhaltens scheitern Veränderungsprozesse regelmäßig. Zweitens ist die richtige Personalstrategie entscheidend. Wir müssen sowohl bestehende Mitarbeitende gezielt weiterentwickeln als auch neue Talente mit digitalen Kompetenzen gewinnen. Der People-Bereich hat hier eine Schlüsselrolle, um die nötigen Fähigkeiten zu identifizieren und aufzubauen. Auch ein Grund dafür, dass bei der Atruvia das Thema „Total Workforce Management“, also der gezielte und strategische Auf- und Umbau von Fähigkeiten, eines der zentralen People-Themen ist.

Ist noch etwas nötig?
Ja, drittens benötigen wir eine Kultur, die Veränderung als Normalzustand akzeptiert. Das bedeutet, Experimentierfreudigkeit zu fördern, aus Fehlern zu lernen und agile Arbeitsweisen zu etablieren. Diese kulturelle Transformation braucht Zeit und kontinuierliche Aufmerksamkeit. Und viertens ist eine transparente Kommunikation unerlässlich. Mitarbeitende müssen verstehen, warum Veränderungen notwendig sind und welche Vorteile sie bringen – sowohl für das Unternehmen als auch für sie persönlich.

Sie sprechen im Rahmen der digitalen Transformation auch von ‚Digitaler Renaissance‘. Was verstehen Sie unter dem Konzept und wie kann dieser Ansatz Banken helfen?
Ich sehe in der Digitalen Renaissance eine faszinierende Parallele zur historischen Renaissance. Ähnlich, wie damals eine Wiedergeburt des Wissens und der Kultur nach dem Mittelalter stattfand, erleben wir heute eine Phase, in der wir durch neue Technologien – insbesondere KI – die Chance haben, unsere Organisationen grundlegend neu zu denken und zukunftsfähiger zu werden. Für Banken bedeutet diese Renaissance nicht nur die Digitalisierung bestehender Prozesse, sondern eine tiefgreifende Transformation der Organisation selbst.

Wie genau meinen Sie das?
Wir sollten Banken nicht mehr als hierarchische, starre Struktur ansehen, sondern als einen adaptiven Organismus, der sich flexibel an Markt- und Kundenbedürfnisse anpassen kann. Die Symbiose zwischen menschlicher Kreativität und künstlicher Intelligenz schafft völlig neue Möglichkeiten der Wertschöpfung und Innovation. Ich verstehe die digitale Renaissance auch als Humanisierung der Arbeit. Paradoxerweise führt gerade der verstärkte Einsatz von Technologie dazu, dass wir menschliche Qualitäten wie Kreativität, Empathie und strategisches Denken wieder stärker in den Mittelpunkt stellen können.

Worauf freuen Sie sich als Speaker beim HR Forum Banking am meisten?
Ich freue mich besonders auf den direkten Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus der Branche. Gerade in Zeiten des Wandels ist es wertvoll, unterschiedliche Perspektiven zu hören und gemeinsam Lösungsansätze zu diskutieren. Die Transformation im Banking ist eine komplexe Herausforderung, bei der wir alle voneinander lernen können.

Info

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.