Schaut man auf das soziale Engagement von Unternehmen in den 1970er Jahren, fällt häufig der Name Pieroth. Die Ferdinand Pieroth GmbH war damals nicht nur der führende Weinvertrieb in Deutschland, sondern auch bekannt durch ihre besondere Sozialpolitik. Mehrere Beispiele dieses Engagements sind im Jahrgang 1977 der Zeitschrift Personalwirtschaft dokumentiert und gelten heute noch als wegweisend und inspirierend. So konnte Pieroth bereits 1977 mit seinem Mitarbeiterbeteiligungsmodell („laboristische Kapitalbeteiligung“) beachtliche Zahlen vorweisen. Dieser Case hatte es sogar in das Standard-Lehrbuch der Betriebswirtschaftslehre, den so genannten Wöhe, geschafft. Auch beim Thema Sozialbilanz taucht der Name Pieroth als Mitglied des Arbeitskreises Sozial-Bilanz-Praxis auf, der 1977 eine Rahmenempfehlung veröffentlicht hatte – aus heutiger Sicht durchaus als Vorläufer zur ESG-Berichterstattung zu werten. Ein weiteres starkes sozialpolitisches Signal sendet der Mittelständler mit einer in der Zeitschrift abgedruckten Betriebsvereinbarung zur Sicherung älterer Arbeitnehmer.
Auch im Kleinen punktete das Unternehmen. So schaffte es Pieroth mit einer damals unkonventionelle Projektidee in die HR-Schlagzeilen. Mit dem Projekt „Kinder im Betrieb“ öffnete das Unternehmen die Werks- und Bürotüren, damit der Nachwuchs die Berufswelt der Eltern erkunden konnte. Damals sehr innovativ. Heute bekommt man Aufmerksamkeit, wenn die Eltern in den Betrieb eingeladen werden.
Aus damaliger Sicht noch innovativer, ja nahezu revolutionär anmutend, war das „Social Service Leave“ der Rank Xerox GmbH. Mitarbeitende konnte sich sechs Monate von der Arbeit ohne Einkommenseinbußen befreien lassen, um weltweit in sozialen Projekten zu arbeiten. Begründung: „Auch unser Unternehmen kann auf Dauer nur wachsen und gedeihen in einer Welt des Friedens, der Zivilisation, des Wohlstandes, der Gesundheit, des Wissens – in einer Welt, die Hunger und Umweltprobleme bewältigt hat.“
Die Entdeckung des Dienstwagens
Apropos Umweltprobleme: Immer wieder wird heute ja auch über berufliche Autofahrten diskutiert, wenn es darum geht, die CO2-Bilanz zu senken. 1977 war das noch anders. So werden im Juni-Heft der Personalwirtschaft die Vorzüge des Dienstwagens genauestens berechnet. „Man kann nicht mehr die Augen vor der Tatsache verschließen, dass man sich ab dem mittleren Einkommensbereich jetzt mehr einfallen lassen muss als eine Gehaltserhöhung“, so das Resümee des Autors Richard Bartholomä. Das haben die Unternehmen in den nachfolgenden Jahrzehnten getan. Der Dienstwagen gilt immer noch als Klassiker unter den Benefits, wenngleich neue Mobilitäts-Benefits wie Bike-Leasing an Bedeutung gewinnen.
Es gehörte zum Gründungsverständnis des damaligen Herausgebers Helmut Frey, sich für eine Personalarbeit stark zu machen, die auf Augenhöhe mit dem Management agiert und bei der der Personalleiter (damals nur Männer) Teil der Geschäftsführung ist. Das hat Frey in einem Editorial mit dem Titel „Arbeitsdirektor pro forma“ Ende 1977 nochmals unterstrichen. Er bezog sich dabei auf das ein Jahr zuvor in Kraft getretene Mitbestimmungsgesetz, das in der Entwurfsfassung noch einen Arbeitsdirektor vorsah, der sich „vorwiegend“ mit Personal- und Sozialangelegenheiten beschäftigte. Im Gesetz wurde das Adverb gestrichen und damit drohte die Gefahr, dass Unternehmen bestehende Vorstandsmitglieder ohne HR-Bezug pro forma zum Arbeitsdirektor ernennen. Der Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Warnung mehr als gerechtfertigt war.
Schnee von gestern
Natürlich sind die 426 Seiten des Jahrgangs 1977 auch eine Zeitreise in die Büroorganisation des letzten Jahrhunderts. Einer der längsten Artikel beschäftigt sich mit den Chancen und Risiken des Text-Computers, der nach dem Einzug der Datenverarbeitung als zweite Arbeitsplatzrevolution bezeichnet wird. Auch der Produkttest IBM Kugelkopf versus Xerox Schreibrad („Marktkampf der Riesen“) wirkt aus der Zeit gefallen. Und Tipps, wie man der kostspieligen Krankheit der „Kopitis“ (es wird zu viel kopiert und verteilt) entgegenwirken kann, wurden vermutlich dankbar aufgenommen. Das ist aus heutiger Sicht Schnee von gestern.
Aus der Zeit gefallen sind glücklicherweise auch persönliche Fragen bei Einstellungsinterviews, die beispielsweise die Nassauische Sparkasse in ihrem damaligen Interviewprotokoll vermerkte. „Was hat Ihre Frau vor Ihrer Heirat beruflich gemacht?“ Das fragt heute zum Glück keiner mehr. Mal abgesehen davon, hatte die Antwort darauf bereits damals keinen diagnostischen Mehrwert.
Zitat des Jahres
„Ich möchte es wagen, den „Personalmanager“ zu fordern, der nicht nur die Personalabteilung leitet, sondern auch für Führungsstil, die Selbstentfaltung der Mitarbeiter, menschliche Arbeitsbedingungen, den sozialen Bereich und für optimale Methoden in Bezug auf den Einsatz der Mitarbeiter verantwortlich ist.“
Zum Rollenverständnis der Personalabteilungen lieferte Werner Then einen bemerkenswerten Beitrag. Aufhänger war der damals recht neue Begriff der Personalwirtschaft. Then sah darin die Gefahr, die Personalarbeit auf eine rein betriebswirtschaftliche Sicht einzuengen. Die Personalwirtschaft könne nicht kühl wie die Finanzwirtschaft agieren, sondern müsse auch humane Dimensionen berücksichtigen. Er schlug den Begriff Personalmanagement als Alternative vor.
Then hat damit vor fast 50 Jahren eine nahezu zeitlose Definition für gute Personalarbeit hinterlassen. Er leitete zu der Zeit die Deutschland-Geschäfte von Randstad, war in den 90er Jahren Vorsitzender beim Bund Katholischer Unternehmer und gründete 1999 zusammen mit Thomas Sattelberger und Heinz Fischer die Initiative Selbst GmbH.
Zahl des Jahres
Die Personalwirtschaft schärfte in ihren Anfängen nicht nur das sozialpolitische Bewusstsein, sondern vor allem das Kostenbewusstsein: keine Ausgabe ohne Rechenbeispiele. Mit Tarifabschlüssen von 7 Prozent drohte 1977 bei den Personalkosten Ungemach. In einem Beitrag mit dem Titel „Rechnet denn keiner nach?“ wurde sogar ein durchschnittliches Angestelltengehalt von über 12.000 D-Mark für das Jahr 2000 prognostiziert, wenn diese Tariferhöhungen dauerhaft blieben. So weit ist es dann doch nicht gekommen. Aktuell liegt das Durchschnittsgehalt laut Statistischem Bundesamt bei 4.100 Euro im Monat.
Arbeitsrechtfrage des Jahres
„Teils ist es die dunkle Jahreszeit, die das morgendliche Aufstehen erschwert, teils sind es winterliche Straßenverhältnisse, die zu Verspätungen führen.“ Mit diesem Intro erläutert Rechtsanwalt Dr. Wolf Hunold die Frage, ob bei Verspätungen aus witterungsbedingten Gründen ein Anspruch auf Vergütung besteht. Die Antwort: Für die Verspätungszeit besteht kein Vergütungsanspruch. Nacharbeit oder Kulanz der Arbeitgebers sind natürlich möglich. Heute können viele Unternehmen einfach sagen: Arbeitet bitte im Homeoffice.
Info
Im Jubiläumsjahr der Personalwirtschaft blicken wir jede Woche auf einen Jahrgang des Magazins zurück. Jeden Mittwoch erscheint dazu ein Text auf personalwirtschaft.de.
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Erwin Stickling ist langjähriger Herausgeber der Zeitschrift Personalwirtschaft und zudem Mitglied der Geschäftsleitung beim F.A.Z.-Fachverlag F.A.Z. Business Media.

