Zeitarbeiter und -arbeiterinnen dürfen schlechter bezahlt werden als Stammbeschäftigte. Vorausgesetzt, die niedrigere Vergütung basiert auf einem Tarifvertrag und die geringere Entlohnung wird durch Ausgleichsvorteile kompensiert. So hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden (5 AZR 143/19) und hat eine Klägerin auch in der Revision abgewiesen.
Geklagt hatte eine Zeitarbeiterin, die in Teilzeit beschäftigt worden war. Von Januar 2017 bis April 2017 war sie als Kommissioniererin im Einzelhandel eingesetzt, zu einem Bruttostundenlohn von 9,23 Euro. Nach Kenntnis der Klägerin lag der Stundensatz der Stammbeschäftigten bei 13,64 Euro brutto. In ihrer Klage nahm sie Bezug auf den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG beziehungsweise § 10 Abs. 4 Satz 1 AÜG alte Fassung und verlangte für den Streitzeitraum eine Differenzvergütung in Höhe von 1.296,72 Euro.
Mit der Leiharbeitsrichtlinie vereinbar?
Die Klägerin legte dar, das Tarifwerk des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) und Verdi „sei mit Art. 56 Abs. 3 Leiharbeits-RL und der dort verlangten Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar“. Die Beklagte beantragte Klageabweisung und bestritt die höheren Stundenlöhne der Stammbeschäftigten mit Nichtwissen.
Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Das BAG hatte das Revisionsverfahren ausgesetzt und den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung von Rechtsfragen „im Zusammenhang mit der von Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL“ vorgelegt. Denn grundsätzlich gilt das Equal-Pay-Gesetz auch für die Zeitarbeit. Doch es gibt dann eine Ausnahme, wenn die schlechtere Bezahlung tariflich festgeschrieben ist. Der EuGH urteilte, ein finanzieller Nachteil durch Tarifvertrag sei zu akzeptieren, wenn dieser anderweitig kompensiert werden würde.
Schlechterstellung laut EuGH und BAG erlaubt
Der Fünfte Senat des BAG hat jetzt in der fortgesetzten Revisionsverhandlung die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Zwar habe die Klägerin im Vergleich zu einem Stammbeschäftigten einen finanziellen Nachteil hinnehmen müssen, doch eine solche Schlechterstellung lasse Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL ausdrücklich zu, heißt es aus dem BAG. Maßgeblich sei, dies erfolge unter „Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“. Auch müssten – entsprechend dem Urteil des EuGH – Ausgleichsvorteile eine Neutralisierung der Ungleichbehandlung ermöglichen. Beispielhaft könne ein Ausgleich „durch die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten“ erfolgen – sowohl bei unbefristeten als auch bei befristeten Zeitarbeitsverhältnissen.
Die BAG-Richter bezogen sich in ihrer Entscheidung auf das deutsche Recht, nach dem verleihfreie Zeiten auch bei befristeten Zeitarbeitsverhältnissen stets möglich seien, wenn beispielsweise der Zeitarbeiter nicht für einen bestimmten Einsatz eingestellt wurde. Der Tarifvertrag zwischen iGZ und ver.di, nach dem die Klägerin entlohnt wurde, gewährleiste „die Fortzahlung der Vergütung in verleihfreien Zeiten“.
Rechtsunsicherheit durch das BAG vom Tisch
Daniel Happ zufolge, Partner der Kanzlei Noerr und Fachanwalt für Arbeitsrecht, seien solche tarifvertragliche Regelungen in der Branche weitverbreitet und: „Sie in Frage zu stellen, hätte nicht nur die Leiharbeitsbranche, sondern auch viele Personaleinsatzkonzepte in der Gesamtwirtschaft erschüttert.“ Die Ansicht des EuGH, dass Zeitarbeiter bei geringerem Lohn einen Ausgleich erhalten müssen, bezeichnete Happ damals als „die schlechteste Entscheidung, die [der EuGH] für die Zeitarbeitsbranche und die gesamte deutsche Wirtschaft treffen konnte“. Denn der EuGH lasse die Zeitarbeitsbranche und die deutsche Wirtschaft mit vielen offenen Fragen zurück.
Das BAG-Urteil liefert nun aber die notwendige Rechtssicherheit bei dem Einsatz von Zeitarbeitern und Zeitarbeiterinnen, denn „es ist weder eine Anpassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes noch der Tarifverträge der Zeitarbeit erforderlich oder geboten“, teilt Dr. Alexander Bissels, Partner und Fachanwalt für Arbeitsrecht der Wirtschaftskanzlei CMS, mit. Hätte das BAG abweichend entschieden, so Bissels, wären Szenarien denkbar gewesen, dass Zeitarbeitnehmer nachträglich die Zahlung von Entgelt und die Deutsche Rentenversicherung Sozialversicherungsbeiträge in beträchtlicher Höhe geltend gemacht hätten.
Equal-Pay-Grundsatz nur für neun Monate
Eine Kompensation des finanziellen Nachteils werde auch dadurch abgesichert, „dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abdingbar ist, im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann“. Last but not least erinnerten die Richter auch daran, dass bereits seit April 2017 der Equal-Pay-Grundsatz maximal für die ersten neun Monate eine Zeitarbeitsverhältnisses ausgesetzt werden darf.
Info
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.05.2023 (Az.: 5 AZR 143/19).
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 07.03.2019 (Az.: 5 Sa 230/18).
(Der Artikel erschien in ähnlicher Form zuerst auf unserem Schwesterportal Betriebsratspraxis24.de)
