Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) soll erst ab dem 1. Januar 2023 und nicht wie angekündigt zum 1. Juli dieses Jahres für Arbeitgeber verpflichtend sein. Das hat der Bundestag am 11. Februar 2022 über eine Änderung des Dritten Bürokratieentlastungsgesetzes beschlossen. In einem ersten Einführungsschritt haben die Ärzte und Ärztinnen Anfang des Jahres damit begonnen, die Krankschreibungen an die Krankenkassen digital zu übermitteln. Für die Unternehmen ist das Verfahren ebenfalls schon möglich, aber nicht vorgeschrieben. Für sie dient dieses Jahr noch als Testphase, die sie auch nutzen sollten.
Bei einer DGFP-Umfrage Ende des vergangenen Jahres gab es noch viele Unklarheiten zum Ablauf unter den befragten Mitgliedern. Drei Viertel gaben an, dass sie beim Thema eAU noch ganz am Anfang stehen. Was es bei der eAU zu beachten gibt und wie der neue Prozess funktionieren kann, haben wir Martin Bauer gefragt. Er ist Bereichsleiter für die Entwicklung der Software ADDISON Lohn- und Gehaltsabrechnung bei Wolters Kluwer Tax & Accounting Deutschland.
Personalwirtschaft: Die eAU soll die Krankschreibung, die bisher über den „gelben Schein“ lief, ersetzen und den Prozess digitalisieren. Was sieht das neue Verfahren vor?
Martin Bauer: Mit der endgültigen Einführung der eAU erhält der Arbeitnehmer für seinen Arbeitgeber keine Papierbescheinigung zur Arbeitsunfähigkeit mehr. Stattdessen übermitteln die Ärzte und Krankenhäuser die Krankschreibung elektronisch an die Krankenkasse des Patienten. Dieser meldet dem Arbeitgeber, dass er krankgeschrieben ist – wie bisher auch – und von wann bis wann. Mit diesen Informationen kann der Arbeitgeber die eAU vom GKV-Kommunikationsserver abrufen.
Gilt das für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und alle Krankschreibungen?
Das neue eAU-Verfahren findet derzeit nur bei gesetzlich Versicherten Anwendung. Noch nicht einbezogen sind außerdem Arbeitsunfähigkeiten bei Rehabilitationsmaßnahmen, Erkrankungen eines Kindes und Krankschreibungen durch ausländische Ärzte. Für all diese Fälle bleibt das alte System erstmal unverändert.
Durch die Übertragung der eAU an die Krankenkasse, die der Arbeitgeber sich dann abrufen muss, entsteht doch eigentlich ein Umweg, den es vorher nicht gab. Ist mit Zeitverzögerungen zu rechnen?
Ja, es kann schon sein, dass es vor allem anfangs noch zum Verzug kommt. Einige Arztpraxen haben derzeit noch technische Schwierigkeiten bei der Übermittlung der eAU (siehe Kasten unten). Und generell ist der Prozess davon abhängig, wann die Bescheinigung überhaupt rausgeschickt wird. Aber ehrlicherweise haben auch die Arbeitnehmer den gelben Schein nicht immer sofort eingereicht, oder einen Krankenkassenwechsel zu spät durchgegeben. Wichtig ist, dass der Arbeitgeber auch im neuen System so früh wie möglich von der Arbeitsunfähigkeit erfährt.
Was ist zu beachten, wenn das Unternehmen die Lohnabrechnung von einem Steuerberater oder Lohndienstleister machen lässt?
Unseres Erachtens ändert die Digitalisierung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Lohnsachbearbeiter den kompletten Workflow zum Abruf der Informationen: Bisher bekam der Lohndienstleister den „gelben Schein“ direkt von den Arbeitgebern und hat die enthaltenen Zeiten in der nächsten Lohnabrechnung verarbeitet. Künftig muss er sich um die Beschaffung des „gelben Scheines“, also die Informationen, die er zur Lohnabrechnung benötigt, für jeden einzelnen Arbeitnehmer selbst kümmern und diese erst über die Krankenkasse anfordern. Damit nicht genug: Er wird unweigerlich den Eingang der Rückmeldungen überwachen und Fehlerkonstellationen managen müssen. Und natürlich möchte der Arbeitgeber weiterhin von der Krankmeldung erfahren. Das wird ein nicht zu vernachlässigender Mehraufwand für jeden Lohn- und Gehaltsdienstleister.
Und wie können Unternehmen diesen Mehraufwand stemmen?
Hier gilt es Software-Lösungen einzusetzen, die es ermöglichen, den Abruf der eAU wieder auf den Arbeitgeber und nicht zuletzt auf den Arbeitnehmer zu verlagern, um den Lohnsachbearbeiter zu entlasten. Software-Unternehmen wie Wolters Kluwer bieten dafür schon heute Lösungen an.
Info
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat im Januar dieses Jahres bei etwa 6.000 Ärztinnen und Ärzten nach den bisherigen Erfahrungen mit der eAU gefragt: „In welcher Form stellen Sie momentan AUs aus?“
- Die Mehrheit der Praxen nutzt weiterhin analoge Verfahren zur Bescheinigung der AU.
- Der Durchschlagvordruck Muster 1 wird noch immer häufig genutzt.
- Circa 20 Prozent der Praxen bescheinigen die AU mit dem neuen Verfahren, können aber nicht digital versenden.
- Weitere circa 20 Prozent der Praxen versenden eAU, nur bei ca. 13% gelingt dies ohne ersatzweise Nutzung anderer Verfahren.
„Weshalb versenden Sie aktuell noch keine eAU an die Krankenkassen?“
- Mit fast 40 Prozent sind Probleme mit dem Kommunikationsdienst KIM (Kommunikation im Medizinwesen) größtes Hemmnis des elektronischen Versands.
- Knapp ein Viertel der Praxen hat noch kein Update zur Verfügung oder konnte dieses noch nicht erfolgreich installieren.
- Bei fast jedem Zehnten gibt es Probleme bei der Beschaffung und Einrichtung der für den Druck der neuen Bescheinigungen notwendigen Drucker.
Gesine Wagner ist hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik und ist Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie die Erstellung der zahlreichen Newsletterformate sowie unser CHRO-Panel.