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Kein Präventionsverfahren bei Kündigung in der Wartezeit

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Lange haben unterschiedliche Gerichte diese Frage diskutiert, nun ist sie geklärt. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, vor einer ordentlichen Kündigung eines Beschäftigten mit Schwerbehinderung während der Wartezeit ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil, zu dem jüngst die Urteilsbegründung veröffentlicht wurde (BAG, Urteil vom 3. April 2025, Az. 2 AZR 178/24

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Das BAG bleibt bei seiner Meinung 

Zu dieser Erkenntnis kam das BAG schon vor einigen Jahren (zum Beispiel in diesem Urteil 2016). Das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln hatte trotzdem im vergangenen Jahr noch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) (Urteil vom 10. Februar 2022 – C-485/20) eine Pflicht des Arbeitgebers abgeleitet, schon in der Wartezeit ein Präventionsverfahren anzubieten. Und auch andere Gerichte argumentierten für das Präventionsverfahren während der Wartezeit. Erst nach so einem Verfahren könne „sich der Arbeitgeber diskriminierungsfrei ein Bild davon machen, ob die dauerhafte Beschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers möglich und gewünscht ist“, schrieb etwa das Arbeitsgericht Freiburg.  

Die Gesetzesbegründung, welche die Gerichte für diesen Sachverhalt heranziehen, lieferten „keine Anhaltspunkte dafür, dass § 167 Abs. 1 SGB IX nur zugunsten von Arbeitnehmern, die Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 2 KSchG und auch § 23 Abs. 1 KSchG genießen, anwendbar sein soll.“ Sprich: Solange wie gesetzlich nicht genauer definiert sei, ab wann ein Präventionsverfahren vor einer Kündigung durchgeführt sein muss, wolle man Arbeitgeber nicht von dieser Pflicht befreien. Diese Urteile, die dem BAG widersprachen, hätten bei Arbeitgebern „für große Verunsicherung gesorgt“, schreibt Sabine Schwarz, Arbeitsrecht-Anwältin bei der Kanzlei Seitz, zu dem neuen BAG-Urteil. 

Der Gesetzgeber hätte es anpassen können 

Eben so eine gesetzliche Willensäußerung sah das BAG nun aber gegeben. Der Gesetzgeber habe § 167 Abs. 1 SGB IX in jüngster Zeit zwei Mal geändert, um das Bundesteilhabegesetz und das Teilhabestärkungsgesetz zu integrieren. Dass das Präventionsverfahren auch schon vor dem Kündigungsschutz nach sechs Monaten Anwendung finden muss, habe der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit aber nicht in das Gesetz geschrieben. Somit habe der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BAG, die dies verneint, anerkannt. Die Revision des Klägers sei daher unbegründet und die Kündigung wirksam. 

Für Arbeitgeber wurde nun also Rechtssicherheit geschaffen. Einige Arbeitsrechtler und Arbeitsrechtlerinnen konnten die Argumentation des LAG Köln ohnehin nicht nachvollziehen, so etwa Gerhard Greiner von Arcum: „Die Entscheidung des LAG Köln empfand ich als konstruiert und in der Praxis schlicht nicht händelbar.“ Sie hätte dem Anwalt zufolge „faktisch bedeutet, bei Schwerbehinderten die Anwendbarkeit des KSchG zeitlich vorzuverlagern.“ 

Rechtsprechung wirkt sich auf das Vorgehen der Arbeitgeber aus 

Das sieht auch Michael Fuhlrott so. Da ein Präventionsverfahren mehrere Monate dauert, müssten es Arbeitgeber sehr früh einleiten, um dann noch in der Wartezeit kündigen zu können. Doch kann man sich nach zwei Monaten beispielsweise schon ein Bild des Beschäftigten gemacht haben? Es „hätte die Rechte von Schwerbehinderten nicht gestärkt, sondern vermehrt zur Zurückhaltung bei Einstellungen geführt“, schreibt er auf Linkedin.

Und die Zurückhaltung gibt es ohnehin schon: Für das Jahr 2023 wurde ausgewertet, dass nur 39 Prozent der Unternehmen, die dazu verpflichtet sind, die Einstellungsquote von Menschen mit einer schweren Behinderung und solchen, die ihnen gleichgestellt sind, vollständig erfüllen. Stattdessen machen Unternehmen von der Möglichkeit der Ausgleichsabgabe Gebrauch oder arbeiten mit Behindertenwerkstätten zusammen, um die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen.

Gesine Wagner betreut als Chefin vom Dienst Online die digitalen Kanäle der Personalwirtschaft und ist als Redakteurin hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik. Sie ist weiterhin Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie das CHRO Panel.