Personalwirtschaft: Frau Vargiu-Breuer, Ihre Mitarbeitenden befinden sich seit Sommer 2020 in einem dreifachen Change-Prozess: in der Restrukturierung innerhalb ihrer Organisation, in einer sich verändernden Branche und in den durch die Corona-Pandemie angestoßenen Veränderungsprozessen. Wo fängt man da beim Change Management an?
Gina Vargiu-Breuer: Für mich gibt es mit Blick auf Veränderungen in einem Unternehmen zwei Facetten: die Struktur und vor allem natürlich die Mitarbeitenden. Wir mussten uns zum einen fragen: „Wie muss Siemens Energy aufgestellt sein, um im Einklang mit unserer Strategie erfolgreich zu sein?“ und zum anderen: „Wie begeistern wir die Mitarbeitenden, um unsere Strategie zu verwirklichen?“. Auf Basis dieser beiden Fragen habe ich mit meinem Team ein Change-Management-Programm aufgebaut. Daraus resultierend haben wir eine Transformation Journey für Führungskräfte und Mitarbeitende aufgesetzt.
Wie wird bei Siemens Energy der Wandel zum eigenständigen Unternehmen gestaltet?
Die Transformation des Unternehmens ist in vollem Gange. Wir sind vor etwa einem Jahr gestartet, der Veränderungsprozess wird aber bis 2025, teilweise auch noch länger laufen. Denn wir haben Strukturen der Siemens AG geerbt, die für unser neues Set-up nicht mehr adäquat sind. Schließlich ist Siemens Energy nur ein Drittel so groß wie die Siemens AG. Deshalb müssen wir unsere Aufstellung verschlanken und deutlich effizienter werden. Diese enorme Veränderung ist leider auch mit einem Personalabbau verbunden, der vor allem Verwaltung, Vertrieb und Management betrifft. Darüber erreichen wir aber nur etwa ein Fünftel der geplanten Kosteneinsparungen.
Wodurch sparen Sie die restlichen Kosten ein?
Zum Kostensenken müssen wir interne Strukturen und Abläufe vereinfachen. Wir schauen uns die Produktionsprozesse an und standardisieren sie weiter. Zudem haben wir die Fertigung im Blick: Bisher sind Produkte in einem globalen Fertigungsnetzwerk von Standort zu Standort transportiert worden. Da können wir deutlich effizienter werden und Wege, Zeit und Kosten sparen.
Wie werden die Mitarbeitenden durch den Veränderungsprozess geführt?
Die sogenannte „Transformation Journey“ hat bei uns drei Ebenen. Eine zentrale Rolle kommt dabei unseren Führungskräften zu. Ihnen vermitteln wir neue Werte und Verhaltensweisen. Wir helfen ihnen, in Zeiten des Wandels bestmöglich zu führen. Es geht darum, offen, fürsorglich und respektvoll miteinander umzugehen, zu integrieren; aber auch als Führungskraft in unsicheren Zeiten entschlossen voranzugehen. Das Geben und Annehmen von Feedback spielt dabei eine ganz wichtige Rolle. Zur Weiterentwicklung unserer Führungskräfte haben wir mit unserem externen Partner „THNK – School of creative Leadership“ zusammengearbeitet.
Was ist die zweite Ebene der Transformation Journey?
Unsere Change-Netzwerke, die aus 2000 Change Agents bestehen. Das sind Kolleginnen und Kollegen, die dabei helfen möchten, die Transformation zu treiben. Sie sind ein essenzieller Baustein, um Veränderung zu treiben, denn diese funktioniert nur in der Kombination von topdown und bottom-up.
Wer ist neben Führungskräften und Change Agents noch Veränderungstreiber bei Siemens Energy?
Sogenannte Transformation Accelerators bilden ein Netzwerk von Freiwilligen auf der mittleren Führungsebene, die in den Grundlagen des Change-Managements geschult werden. Sie stellen zehn bis 30 Prozent ihrer Arbeitszeit freiwillig zur Verfügung, um Workshops zu aktuellen Change-Themen an Werkstandorten oder in Abteilungen zu halten sowie Hilfestellung zu geben. Das Stichwort hier ist Peer-to-Peer-Influencing, mit dem in einem Change-Prozess meistens die größte Wirkung erzielt werden kann.
Im Wandel kommt es sehr auf gelingende Kommunikation an. Wie identifizieren die involvierten Führungskräfte die wichtigsten Aspekte und Problemstellen, an denen zu arbeiten ist?
Ob wir Problemstellen finden, hängt viel von der Unternehmenskultur ab. Wir kommen aus einer konservativen Branche mit klaren Hierarchien, da war es manchmal nicht einfach, in den offenen Dialog zu gehen. Wir versuchen eine Kultur der Offenheit zu etablieren – über Mitarbeiterbefragungen, Gremien, wie unser I&D-Council (Ausschuss für Inclusion und Diversity, d. Red.), aber auch mit unserer Compliance-Hotline und noch weiteren, ganz unterschiedlichen Dialogformaten. Ich habe beispielsweise in meinem HR-Team das Format „We talk“ eingeführt. Dort komme ich mit rund zehn Mitarbeitenden pro Meeting zusammen, die sich selbst nominieren. Wir tauschen uns aus, jeder kann Fragen stellen und sich einbringen. Andere Abteilungen machen das genauso. Auch der Vorstand. Dadurch wird man als Führungskraft nahbar. Es ist ein Element, um zu zeigen: Wir hören zu und wir wollen auch, dass ihr etwas sagt. Das kommt gut an.
Hat sich die Führungsetage alleine zu diesem Weg zu einer neuen Unternehmenskultur entschlossen, oder konnten sich die Mitarbeitenden hier einbringen?
Letzteres. Wichtig war uns, ein gemeinsames Verständnis unserer Kultur zu entwickeln. Unsere vier Werte heißen: fürsorglich, agil, respektvoll und verantwortungsbewusst. Um diese zu entwickeln, haben rund 100 unserer Change Agents 1000 Interviews mit den Mitarbeitenden geführt und gefragt: „Welche Wertebasis ist Euch wichtig, die die Identität von Siemens Energy widerspiegeln soll?“ Die Antworten haben wir strukturiert, mit dem Vorstand durchgearbeitet, und so sind unsere Werte entstanden. Das war ein neuer Ansatz für uns. In der Vergangenheit wurden solche Dinge top-down entwickelt.
Wie ist es Ihnen gelungen, operatives Tagesgeschäft und Change-Arbeit gleichzeitig erfolgreich umzusetzen?
Im besten Fall kann man nicht trennen, was Arbeitszeit und was Change-Investment ist. Wir sind alle jeden Tag, in jedem Meeting damit beschäftigt, Veränderung zu treiben, Dinge zu spiegeln und Themen zu platzieren. Es gibt aber auch bei uns noch Mitarbeitende, die abwartend und verunsichert sind von dem steten und schnellen Wandel. Es ist unsere Aufgabe, so viele wie möglich auf dieser Reise mitzunehmen, da wir uns stetig anpassen müssen, um auch zukünftig als Technologieunternehmen im Energiesektor relevant zu sein.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.