Was macht der gemeine Personaler um neun Uhr morgens? Er setzt sich erst einmal ins Café. Jörg Schmidt, seines Zeichens Konzernpersonalleiter beim Versicherer Axa (Unternehmensschreibweise: AXA), nippt an seinem Milchkaffee und wirkt sehr entspannt. „Ich komme öfter hierher. Natürlich habe ich meinen Laptop immer dabei.“ Hierher, das ist ein schickes Café auf dem Axa-Campus im Kölner Osten, das sich auch in der Innenstadt gut machen würde. Einen entscheidenden Unterschied gibt es dann aber doch: Hier wird in erster Linie gearbeitet, konferiert und diskutiert, wenn auch in sehr angenehmer Atmosphäre. Das Café gehört nämlich zum „New Way of Working“, kurz NWoW, den sich der Versicherer auf die Fahnen geschrieben hat. „NWoW steht für einen absoluten Kulturwandel. Die Axa ist nicht mehr das gleiche Unternehmen wie vor drei, vier Jahren“, meint Schmidt. Das sei im Übrigen auch eine Reaktion auf die geänderten Ansprüche der „Generation Y“ und „Z“. „Das merkt man bereits in den Bewerbungsgesprächen, wenn gefragt wird, ob man bei uns mit einem Apple arbeitet oder wie es um die Möglichkeit zur Arbeit im Homeoffice steht. Da ist ein ganz anderes Selbstbewusstsein“, hat der Konzernpersonalleiter beobachtet.
„Durch NWoW wird sich einiges verändern. Wir werden keine eigenen Schreibtische mehr haben. Die Abläufe in den Abteilungen werden anders sein. Wir werden uns viel einfacher austauschen und gemeinsam Ideen entwickeln können, was schnellere Entscheidungen und bessere, innovativere Lösungen zur Folge hat“, hat Axa-Vorstandsvorsitzender Alexander Vollert NWoW einmal umrissen. Das neue Konzept fängt bereits bei dem Terminus HR an: Was andernorts Human Resources oder Personalwesen heißt, ist beim Versicherungskonzern die „People Experience“. Der Mitarbeiter, seine Erfahrungen und seine Entwicklung sollen im Fokus stehen. Axa baut bis 2020 alle deutschen Standorte nach dem Prinzip von NWoW um. Offene Raumkonzepte sowie individuelle Arbeits- und Kreativflächen sollen dazu beitragen, dass Mitarbeiter schneller Entscheidungen treffen und kundenorientierte Lösungen finden können. Pilot für dieses Projekt war der Axa-Standort in Hamburg, der im Herbst vergangenen Jahres von den Mitarbeitern bezogen wurde.
Schöne neue Welt
Nach dem morgendlichen Milchkaffee bricht Jörg Schmidt in eben jene schöne neue NWoW-Welt auf. Die befindet sich im IT-Haus der Axa und ist in ihrem Konzept wegweisend für das, was in den kommenden Monaten auch in den übrigen Häusern umgesetzt werden soll. Schmidt ist gespannt, bislang hat er nur den Neubau in Hamburg gesehen und nicht das umgestaltete IT-Gebäude in Köln. Dementsprechend freut er sich auf diesen Termin. „Wir haben mit dem Umbau im IT-Haus angefangen, weil hier bereits in agilen Teams gearbeitet wird“, erklärt der Personaler, der gemeinsam mit Susan Decker, Bettina Momm (beide mitverantwortlich für die NWoW-Implementierung) sowie Oliver Koll vom Axa-Betriebsrat unterwegs ist.
NWoW, von den Axianern „Enwau“ ausgesprochen, fußt unter anderem auf einem Open-Space-Konzept. Für manchen Mitarbeiter ist das sicher eine Umstellung, ansprechend gestaltet sind die Räume allemal. Ergonomische Bürostühle und elektrisch höhenverstellbare Schreibtische gehören zum Standard. Das Laptop sowie persönliche Dinge finden in einem Schließfach Platz. Mülleimer und Schränke sind von den Arbeitsplätzen verbannt und finden sich an zentraler Stelle. Zum NWoW-Konzept gehört übrigens auch, dass jeder Mitarbeiter bis zu zwei Tage pro Woche vom Homeoffice aus arbeiten darf. Dank Skype können die Außerhäusigen an Meetings teilnehmen und bleiben mit den Kollegen vernetzt.
„Sieht super aus“, ist Jörg Schmidt begeistert. Dann testet er noch das Golfspiel im Erdgeschoss und übt sich im Putten. Auffällig, dass er fast jeden, den er bei der Besichtigung trifft, offenbar kennt. „Das ist mir sehr wichtig, ich bemühe mich, mir jeden Namen zu merken.“ Zum Entspannen stehen in der neuen Arbeitswelt unter anderem ein Kicker und eine Dartscheibe parat. Auch Basketball können die Mitarbeiter „inhouse“ spielen. „Wir würden uns wünschen, dass das Ganze jetzt noch ein wenig mehr genutzt wird“, sagt Bettina Momm.
Während sich im Erdgeschoss des IT-Gebäudes der OpenSpace-Bereich befindet, treffen sich die Axa-Mitarbeiter im ersten Stock zu Meetings und Konferenzen. Transparenz und Offenheit spiegeln sich auch in der Architektur wider: Zum Gang hin ist alles komplett verglast, sodass man den Kollegen beim Konferieren zusehen kann. Helle, freundliche Farben überall – jede Etage hat ein eigenes Farbkonzept –, steife Runden am Konferenztisch sieht man hier nicht. Bequem sehen die Sitzgelegenheiten in den Meetingräumen aus, die Teilnehmer wirken entspannt, aber konzentriert.
Die bücherlose Bibliothek
Im zweiten Stock schließlich sieht das NWoW-Konzept eine „Bibliothek“ vor. Die ist allerdings komplett bücherfrei und hat mit ihrem klassischen Pendant lediglich den Namen gemein. Vielmehr können die Axa-Mitarbeiter hier ruhig und konzentriert arbeiten, wenn es mal eben kein Austausch mit den Kollegen sein soll. Telefone sind tabu, wer still arbeiten will, beispielsweise, um eine Präsentation vorzubereiten, ist hier richtig. „Wie gefällt‘s Ihnen?“, fragt Jörg Schmidt Betriebsratsmitglied Oliver Koll. „Super, ist sehr gut geworden“, meint dieser. Auch das Feedback von den Mitarbeitern sei bislang sehr gut.
In den kommenden Monaten werden die einzelnen Häuser auf dem Axa-Campus (der wegen seiner Wasserflächen von Mitarbeitern an anderen Standorten übrigens liebevoll „Haus an den Flüssen und Seen“ genannt wird) sukzessive gemäß NWoW-Standard umgebaut. Rund sechs Wochen dauert jeweils die Neugestaltung, die Mitarbeiter arbeiten dann kurzfristig in Wohncontainern weiter. Generell bietet der Axa-Campus den Mitarbeitern so einiges: Ein Kiosk verkauft Dinge für den täglichen Bedarf, frische Blumen können vorbestellt und dort abgeholt werden, falls die Arbeitszeit einen Einkauf einmal nicht zulässt.
Jörg Schmidt hat übrigens (noch) ein eigenes Büro. Dies wird sich im Zuge des NWoW-Prozesses ändern, sobald der HR-Bereich umgebaut ist. Allerdings hat er sich zwei seiner Abteilungsleiter mit ins Boot geholt: „Ich fand es nicht schön, alleine zu sitzen.“ Einzelbüros haben bei der Axa als Statussymbol ausgedient, Schmidt ist hier ein Vorreiter. Da mehr als zwei Abteilungsleiter zu seiner Mannschaft gehören, wird auf Wunsch rotiert.
Per „Du“ mit dem Kulturwandel
Zum angestrebten Kulturwandel gehört bei der Axa auch das konsequente Duzen. Eben jener Kulturwandel steht im Anschluss an die Besichtigung der neuen Arbeitswelt auf dem Programm. Jutta Solga berichtet Jörg Schmidt im Brandroom über den Stand der gewandelten Axa-Führungskultur, der sich der Versicherer im Rahmen des Projektes „Ambition 2020“ verschrieben hat.
„Ambition 2020“ soll die Axa in Deutschland fit für die digitalisierte Welt machen und für überdurchschnittliches Wachstum sorgen. Alle Kundenprozesse bekommen ein neues „Design“ und verbindliche Servicelevel. Insgesamt sollen dadurch jährlich 180 Millionen Euro eingespart werden – ohne betriebsbedingte Kündigungen. Nichtsdestotrotz werden wohl rund 800 Arbeitsplätze abgebaut. „Ambition 2020“ setzt an drei Stellschrauben an: der Verbesserung der Kundenbeziehung, der Erhöhung von Effizienz und Effektivität und der Einführung einer neuen Unternehmenskultur – und eben jene Stellschraube steht bei dem Gespräch von Jörg Schmidt und Jutta Solga auf der Tagesordnung „Wie erlebst Du die Runden, in denen Ihr über den Kulturwandel sprecht?“, fragt Schmidt, der übrigens – Stichwort Kulturwandel – nach Möglichkeit auf eine Krawatte verzichtet. „Jeder ist offen, aber manchmal fällt insbesondere die Verhaltensänderung in den höheren Führungsebenen noch schwer, berichtet Jutta Solga.
So hat die eine oder andere Führungskraft mit dem gelockerten Umgang und vor allem dem Duzen untereinander offenbar doch ihre Probleme. „Bei manchen ist die Sorge da, dass sie nicht mehr respektiert werden“, hat Solga beobachtet. Das führt teilweise zu „schrägen“ Situationen, wenn das „Du“ auf das „Sie“ trifft. „Ich duze dann aber konsequent, damit es langsam, aber sicher eine Selbstverständlichkeit wird.“ Manch einer wüsste nicht genau, was sich in seinem Ressort ändern würde. Spezielle Trainings – unter dem Motto „Leaders train leaders“ – erleichtern dabei den Übergang: Führungskräfte sollen umdenken und ihre Teams künftig so führen, dass deren Mitglieder eigenverantwortlich
agieren und selbstständig Lösungen entwerfen.
Zur neuen Offenheit gehört auch, dass die Vorstände nicht mehr wie bisher in einem quasi abgeschlossenen Bereich residieren, sondern für jedermann zugänglich. Die Türen zu den Büros der Unternehmensobersten sind allerdings nach wie vor aus Holz und nicht wie bei vielen anderen Räumen aus Glas.
Austausch beim Lunch
Beim gemeinsamen Mittagessen geht es nach dem Ausflug in die neue Welt und der „Ambition 2020“-Besprechung ebenfalls um handfeste Personalthemen, nämlich das Onboarding. Jörg Schmidt trifft sich mit Mitarbeitern, die seit einigen Monaten bei der Axa sind, um zu hören, wie der Einstieg gelaufen ist. Der Konzernpersonalleiter ist offen, zugewandt, und schnell entwickelt sich zwischen den „Neulingen“ und ihm ein interessant-interessierter Dialog. Das sogenannte Workdate soll auch dazu dienen, „alte“ und „neue“ Mitarbeiter miteinander zu vernetzen. „Alte Hasen“ können sich im Vorfeld mit einem eigens dafür vorgesehenen „Workdate“-Tool anmelden.
„Wie sind Deine ersten Monate verlaufen? Wie hast Du Deinen Einstieg erlebt?“, fragt Schmidt Elisa Albers, die als Vorstandsassistentin angefangen hat. „Ich bin super aufgenommen worden. Auch der ganze Einstellungsprozess war sehr transparent und verbindlich“, lobt sie. Das Essen verläuft zwanglos, es wird viel gelacht, aber auch über konkrete Themen gesprochen. Das Workdate findet in einem abgetrennten Bereich der „Kantine“ statt, wobei der Begriff „Kantine“ dem ansehnlichen Interieur nur sehr unzureichend gerecht wird (ebenso wie dem Essen). Beim Verlassen der Gästeräume grüßt Jörg Schmidt noch Axa-CEO Alexander Vollert, der sich dort ebenfalls mit einigen Mitarbeitern zum Essen trifft. Neue Offenheit – oder eben NWoW.
Zahlen, bitte!
Mit harten Fakten geht es am frühen Nachmittag weiter: Jörg Schmidt spricht im „gelben Salon“ mit David Bodenstein, Head of People Analytics & Workforce Planning, über das Thema „datenbasierte Entscheidungen im Personalbereich“. Sprich: Kennzahlen, die es der Axa ermöglichen sollen, ihre Personalarbeit möglichst passgenau auszurichten. Wichtig ist dabei die Transparenz den Mitarbeitern und dem Betriebsrat gegenüber, natürlich auch vor dem Hintergrund der jetzt in Kraft tretenden Datenschutz-Grundverordnung (siehe zu diesem Thema auch unser › Online-Special).
„Es wäre interessant zu wissen, welchen kulturellen Hintergrund und welche Vorbildung unsere Bewerber haben“, meint Schmidt. Auch die Entwicklung des Krankenstandes der Mitarbeiter nach dem NWoW-Rollout ist von Interesse. Seit vergangenem Jahr gibt es ein People Dashboard, um präzise in die Steuerung der Personalarbeit eingreifen zu können. Jörg Schmidt und David Bodenstein sind sich einig: Standardisierte HRReportings und Dashboards sollen künftig weiter ausgebaut werden. „Wenn wir die Kosten für die Maßnahmen genau beziffern können, kriegen wir schneller einen Business Case“, meint Schmidt. Das Feedback aus dem Finanzressort dazu steht allerdings noch aus.
Schärfung der Arbeitgebermarke
Mit Giuseppina Scuzzarello-Eichmeier, die für das Employer Branding des Versicherers verantwortlich zeichnet, trifft sich Jörg Schmidt anschließend, um über die Schärfung der Arbeitgebermarke „Axa“ zu sprechen. Dabei geht es unter anderem um die Neugestaltung der Karrierewebsite. Mit dieser war der Versicherer in der Vergangenheit durchaus erfolgreich: Im Rahmen der Kampagne „In Axa steckt mehr“ stellen sich auf der Seite verschiedene Mitarbeiter mit ihren besonderen Hobbys vor. Neben einem (nicht behinderten) Rollstuhl-Basketballer finden sich hier beispielsweise eine Hobbykonditorin (die Schmidt bei seiner Runde über den Axa-Campus zufällig trifft), ein Feuerwehrmann, eine Ballerina und ein Gitarrist.
Nicht nur bei den Mitarbeitern ist die Kampagne gut angekommen: 2016 hat die Axa auch die Jury des von der Branding-Agentur „Symbiosis“ verliehenen „Employer Branding Award – Beste Arbeitgebermarke 2016“ überzeugt, bei dem das Unternehmen den dritten Platz belegte. Jetzt soll das EB-Konzept sukzessive erneuert und umgestellt werden, allerdings mit Fingerspitzengefühl, damit die Wertschätzung der Mitarbeiter beziehungsweise ihrer Hobbys weiter einen entsprechend hohen Stellenwert hat. Jörg Schmidt und Giuseppina Scuzzarello-Eichmeier besprechen die nächsten Schritte und legen eine Timeline fest, wie die Arbeitgebermarke Axa weiter gestärkt werden kann. Generell verfolgt der Versicherer in Sachen Employer Branding eine langfristige Strategie. „Das ist ein Marathon“, meint Jörg Schmidt. Mit NWoW sieht sich der Versicherer jedenfalls auf einem guten Weg.
Das NWoW-Konzept der Axa |
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Axa baut bis 2020 alle deutschen Standorte nach dem NWoW-Prinzip um. |
Das Work@Home-Konzept verschafft mehr Freiräume und ermöglicht Mitarbeitern, bis zu zwei Tage pro Woche im Homeoffice zu verbringen. |
870 Tage vergingen von der ersten Idee bis zum Einzug in das erste NWoW-Objekt in Deutschland. |
Axa investiert einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag in den Umbau aller Standorte in Deutschland. |
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.