Jedes Jahr veröffentlicht die Unternehmensberatung Odgers einen Vorstandsreport. Damit will die Beratung für Executive Search und Leadership Advisory aufzeigen, wie divers die 256 Vorstände der 40 Dax-Unternehmen sind. Doch Diversity als Ziel allein reicht laut den Expertinnen und Experten von Odgers nicht aus, um echte Teilhabe und die positive Wirkung von unterschiedlichen Perspektiven für einen Wandel zu gewährleisten. „Der Modus der Zusammenarbeit in Dax-Vorständen sollte Gegenstand der Betrachtung werden“, sagt Ansgar Sassen, Partner und Leiter des Bereichs Leadership Advisory in Deutschland. „Für eine erfolgreiche Transformation braucht es keinen Vorstand voller starker Individuen, sondern ein eingespieltes Team, das seine unterschiedlichen Stärken gezielt vereint, das sich gegenseitig fordert und unterstützt.“
So divers sind die Dax-Vorstände
Wie hat sich die Diversität in den Vorständen überhaupt entwickelt? So viel vorab: In einigen Vielfaltsdimensionen gibt es noch Nachholbedarf. Der Frauenanteil in Dax-Vorständen ist von 24 Prozent im vergangenen Jahr auf nun 26 Prozent gestiegen. Aktuell gibt es neben Belén Garijo als CEO bei Merck – lange Zeit die einzige weibliche CEO in den Dax-Unternehmen – drei weitere Frauen an der Unternehmensspitze. Während der Frauenanteil leicht gestiegen, aber immer noch weit entfernt von einer Parität ist, gibt es bezüglich der Internationalität einen gegenteiligen Trend. Der Anteil von Nicht-Deutschen ist auf 34 Prozent gesunken (2024 lag er noch bei 38 Prozent).
Branchenkenner und -kennerinnen sowie Eigengewächse sind zudem weiterhin beliebt. Rund 77 Prozent aller Vorstände kommen aus der Branche, in der sie als Vorstand oder Vorständin tätig sind. 46 Prozent kommen aus demselben Unternehmen. Im Durchschnitt sind die Dax-Vorstände knapp 55 Jahre alt. Studiert haben sie zu einem Großteil Wirtschaftswissenschaften (56 Prozent). Dieser Anteil verringert sich aber kontinuierlich, seit er 2021 bei 60 Prozent lag. Und zwar zugunsten der Ingenieurwissenschaften (aktuell bei 22 Prozent). Naturwissenschaften sind am dritthäufigsten als Studienabschluss verbreitet.
Wie gelingt die Zusammenarbeit in diversen Teams?
Die Vorstände der 40 Dax-Unternehmen könnten folglich deutlich diverser sein. Doch nur unterschiedliche Menschen im Vorstand zu haben, bringt nichts, wenn sie nicht gut zusammenarbeiten können. Und die Zusammenarbeit in diversen Teams wird zunächst durch die Unterschiedlichkeiten erschwert, denn sie führen meist zu Spannungen und Diskussionen. Das betont die „Readiness for Transformation“-Studie, welche ebenfalls von Odgers durchgeführt wurde und den Vorstandsreport in diesem Jahr ergänzt.
Mit der Ernennung neuer Vorstände sollte es nicht gewesen sein. Inwiefern die Hoffnungsträger in Sachen Diversität dann auch bleiben, hängt davon ab, ob sie integriert werden und die Zusammenarbeit funktioniert. Denn ansonsten gehen sie wieder, wie eine andere Auswertung nahelegt: Die Personalberatung Russell Reynolds Associates hat zuletzt im Januar dieses Jahres ausgewertet, wie lange Frauen im Vergleich zu Männern in den Dax-40-Vorständen nach ihrer Ernennung bleiben. Über zwei Drittel der im Jahr 2024 ausgeschiedenen weiblichen Vorstände waren weniger als drei Jahre im Amt. Bei den Männern lag dieser Anteil bei nur einem Drittel.
Doch wie umgehen mit den Spannungen, damit es eben nicht zu einem vorzeitigen Abbruch der neuen Vorstände und Vorständinnen kommt? Die Expertinnen und Experten von Odgers empfehlen: Konflikte sollten nicht als Hindernisse gesehen werden, sondern als Einladung zur Klärung. Sie müssen bewusst moderiert werden. „Es braucht Räume, in denen unterschiedliche Sichtweisen angesprochen werden können, ohne dass sofort Einigkeit erwartet wird“, heißt es in der Studie. Moderiert werden müssten unterschiedliche Rollenverständnisse und Temperamente.
Das Streben nach Macht als Hindernis
Patrick Freudiger, Coach für Führungskräfte und Teams, hat beobachtet, dass auf Vorstandsebene tendenziell zusätzliche Spannungen entstehen als in Führungsteams auf den niedrigeren Ebenen. „Im Vorstand und in der Konzernleitung treffen nicht nur unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinander, sondern oft auch divergierende Geschäftsinteressen, Zielsysteme und Machtpositionen.“
Führungskräftecoach Gudrun Happich betont dabei vor allem auch das Thema Macht. Denn: „Macht im Übermaß kann süchtig machen“, sagt sie. „Macht fördert Ego-Denken und -Verhalten, reduziert die Reflexionsfähigkeit und Empathie und macht auf Dauer beratungsresistent.“ Das Streben nach Macht steht einer guten Zusammenarbeit damit oftmals im Weg.
„Es braucht Reife“
Um diese Spannungen zu moderieren, bräuchten Führungskräfte laut Coach Freudiger generell die Fähigkeit zur Selbstreflexion, zum aktiven Zuhören, zum Verteilen von konstruktivem Feedback und zur klaren Kommunikation. Auf Vorstandsebene kommen hier noch strategische Dialogfähigkeit, Ambiguitätstoleranz und die Bereitschaft, Verantwortung wirklich zu teilen, hinzu. Gleichzeitig müssten sie in der Lage sein, Spannungen bewusst zu benennen, zuzuhören, ohne gleich zu werten, und mit Widerstand konstruktiv umzugehen. „Diese Art der Zusammenarbeit braucht mehr als Skills – sie braucht Reife“, sagt Freudiger.
Auch Gudrun Happich spricht von einer nötigen Reife. „Es braucht eine reife Persönlichkeit – jemanden, der oder die an sich gearbeitet hat, um souverän mit Spannungen und unterschiedlichen Perspektiven umzugehen.“ Dabei sieht Happich auch eine ausgeprägte emotionale Intelligenz als nötigen Skill an. Eine gute Zusammenarbeit gelinge, wenn alle Vorstände ihre Triggerpunkte kennen und mit ihren aufkommenden Emotionen umgehen und sie auf positive Weise steuern und regulieren können.
Info
Für unsere Titelgeschichte der September-/Oktober-Ausgabe „Wie werde ich CHRO?” haben wir bei Personalvorständen nachgefragt, auf welche Skills es ankommt. Nachlesen können Sie das hier!
Diese Skills können Führungskräfte erlernen. „Verhalten lässt sich verändern, wenn es konsequent trainiert und im Alltag verankert wird“, sagt Freudiger. HR könne dies durch gezieltes Sparring sowie Einzel- und Teamcoaching ermöglichen. Auch das Etablieren einer Feedbackkultur, in der Entwicklung als Leistung gilt, sei notwendig.
Klare Verhaltensregeln festhalten
Sowohl Happich, Freudiger als auch die Expertinnen und Experten von Odgers betonen, dass für eine gute Zusammenarbeit in diversen Vorstandsteams zunächst ein Rahmen festgelegt werden muss – die Spielregeln müssen klar sein. Es brauche ein gemeinsames Verständnis davon, wie im Vorstand geführt, kommuniziert und entschieden wird. Dies wiederum müsse in einen gemeinsamen Wertekontext eingebettet sein, heißt es vonseiten Odgers. Und es braucht ein Gesamtziel, welches klar über den Zielen der einzelnen Vorstände liegt und für das jede und jeder Verantwortung übernehmen muss.
Eigenschaften wie Offenheit, Interesse und Neugier sollten gefördert werden, denn wer sie besitze, lasse neue Denkmuster eher zu. Ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein sowie eine gute Fehlerkultur sollten zudem Teil der Spielregeln sein. Und wie Führungscoach Happich betont: Ego-Denken und -verhalten dürfen sich nicht auszahlen.
„Machtgebiete” noch weit verbreitet
Das tut es aber noch in vielen Fällen. Beispiel Gender-Diversität: Die ehemalige CHRO Christina Sontheim-Leven hat gemeinsam mit Mitautorinnen jüngst das Buch „Machtgebiete“ veröffentlicht. Darin berichten viele Topmanagerinnen, wie oft ihre Stimmen übergangen wurden – bis dann ein Mann denselben Gedanken äußerte. Zudem schildern sie, dass Entscheidungen oft schon vorab in informellen Männer-Allianzen getroffen wurden und das eigentliche Meeting nur noch reine Formsache war. Mansplaining und abwertende Kommentare seien zudem oftmals Standard. „Solche kleinen, aber stetigen Nadelstiche summieren sich und machen eine konstruktive Teamkultur zur Ausnahme statt zur Regel“, sagt Sontheim-Leven. „Solche Muster verhindern, dass Diversität ihren Wert entfalten kann.“
Aus ihren eigenen Erfahrungen weiß sie: Immer, wenn gegenseitiges Vertrauen und echtes Interesse am Gegenüber da waren, konnte man Unterschiedlichkeiten produktiv nutzen. Dann habe man sich in seiner Unterschiedlichkeit ergänzt. „Diese Zusammenarbeit auf dem C-Level muss meines Erachtens aber genauso trainiert werden wie eine Fachkompetenz.“
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Mehr Informationen zum Buch „Machtgebiete“ finden Sie hier.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.

