Was ist Corporate Volunteering?
Beim Stau ins Büro oder am Skilift verliert man manchmal den Glauben daran – aber der Mensch ist „im Grunde gut“, wie das der niederländische Historiker Rutger Bregmann in seinem gleichnamigen schlauen und zahlensatten Bestseller so schön formuliert. Es wird vermutet, dass sich rund 140 Millionen Menschen weltweit freiwillig engagieren und damit rund 400 Milliarden US-Dollar zur globalen Wertschöpfung beitragen.
Die meiste Freiwilligenarbeit findet in der Freizeit statt, in Vereinen, Kirchen et cetera. Aber immer mehr Firmen und Organisationen ermöglichen ihren Beschäftigten auch ehrenamtliches Engagement während der Arbeitszeit, stellen sie ab zu Tätigkeiten für soziale oder nachhaltige Zwecke. Und zwar:
- gegen Hunger
- im Kampf gegen Naturkatastrophen
- als Einsatz für Umweltschutz oder gegen den Klimawandel
- oder auch in Unterstützung für Migranten und andere politische Ziele
Wie definiert die Wissenschaft „Corporate Volunteering“ – kurz CV? Wenn Menschen wirklich eigene Zeit investieren statt „nur“ passiv Geld zu spenden und dabei Wissen und berufliche Kompetenzen zur Anwendung bringen; wenn das Ganze einem Plan folgt (statt etwa spontan einem kränklichen Nachbarn ein Essen zuzubereiten); und wenn dieses Handeln formalisiert und öffentlich stattfindet, also nicht etwa gegenüber einem Freund oder Bekannten, dann kann man von CV sprechen.
Was bringt Corporate Volunteering der eigenen Firma?
Am besten funktioniert CV, wenn es wirklich mit den Kompetenzen und Zielen des Unternehmens vereinbar ist – sogenanntes „skill-based volunteering“. „Grundsätzlich darf gesellschaftliches Engagement nicht einem Selbstzweck dienen. Vielmehr ist es wichtig, dass sich dieses Engagement immer auch sinnvoll mit dem Kerngeschäft verbinden lässt“, sagt Deutsche Post-Chef Frank Appel.
Wenn Mitarbeitende in einem neuen, ungewohnten Umfeld innovative Ideen vorantreiben, erwerben sie Future Skills – und tragen diese zurück ins Unternehmen. Der Innovationsmuskel, das Lernen von Zukunftskompetenzen, das Erleben von Sinnhaftigkeit: All dies können weitere für die Organisation nützliche Effekte des Corporate Volunteerings sein. Abgesehen davon, dass das Arbeitgeber-Image nicht unbedingt leidet, wenn öffentlich bekannt wird, dass sich Firma X oder Organisation Y mit mehr als Lippenbekenntnissen einsetzt für diesen oder jenen sozialen oder ökologischen Zweck. „Ein Mitarbeiter, der stolz auf seinen Arbeitgeber ist, ist motiviert und gleichzeitig ein guter Botschafter“, sagt Claudia Eller von der ING-Diba. Und die einen oder anderen Auszubildenden sind vielleicht auch erst auf eine Firma gekommen durch die coolen IT-ler, die ihnen am Coding-Tag der Schule das Programmieren beigebracht haben – zum Beispiel.
Was haben die Volunteers von Corporate Volunteering?
Nicht nur Altruismus motiviert Freiwillige, sich für soziale oder ökologische Zwecke zu engagieren, das haben Studien etwa aus der britischen Bauindustrie gezeigt. Die Volunteers
- vernetzen sich mit Menschen aus anderen Arbeits- und Lebensbereichen
- vertiefen dabei eigene Kenntnisse
- und erwerben Know-How aus anderen Branchen/Lebensbereichen
- haben Erfolgserlebnisse
- erleben ihr Tun und Können als sinnvoll
Auch lässt sich in der Forschung nachweisen: Die sogenannten psychologischen Grundbedürfnisse (soziale Eingebundenheit, Autonomie und Selbstwirksamkeitserleben) sind bei Teilnehmenden von CV-Programmen besser erfüllt, sie arbeiten motivierter und engagierter. Beschäftigte in Unternehmen, die an solchen Maßnahmen teilnehmen, fühlen sich auch mehr von ihren KollegInnen und Vorgesetzten unterstützt.
Welche Beispiele gibt es?
Es sind meist die großen Unternehmen, die die Kompetenzen ihrer Belegschaft anderen Organisationen und Einrichtungen zugutekommen lassen. Beispiele dafür gibt es von Jahr zu Jahr mehr, hier nur einige wenige:
- Die Hackerschool bringt Kindern das Programmieren bei und wird darin von IT-Personal aus Firmen wie Google oder Beiersdorf unterstützt.
- SAPs Toptalente können sich auf jährlich 120 Plätze bewerben, um vier Wochen lang in einem Team konkrete Problemstellungen für gemeinnützige Organisationen und soziale Unternehmen zu lösen.
- Bankerinnen und Banker der Deutschen Bank engagieren sich in Myanmar, Thailand, Uganda und Usbekistan, indem sie in Seminaren dort lokale Bankangestellte in Sachen Kreditprüfung oder Mittelstandsberatung schulen.
- DHL hat ein Team von 400 Beschäftigten ausbilden lassen, die bei Krisen und Naturkatastrophen auf Anforderung der Vereinten Nationen freiwillig und unentgeltlich Logistik-Hilfe an Flughäfen anbieten.
- Dow Chemical lässt seine Mitarbeitenden in Bangladesch und Ostafrika Meerwasserentsalzungsanlagen bauen, damit die Menschen dort sauberes Trinkwasser nutzen können.
Wie Corporate Volunteering einführen?
Wie CV-Aktivitäten konkret auf die Straße bringen? Hier ein paar Tipps dazu:
„Ihr geht jetzt mal einen Nachmittag zu Verein X oder zu Initiative Y – außer es kommt was Wichtiges dazwischen“: Das bringt wenig. Corporate Volunteering ist idealerweise eine langfristige, verlässliche Beziehung zwischen Firma und Organisation.
Sie sollte auch möglichst hoch, strategisch und vernetzt im Unternehmen verankert sein – und nicht nur bei Huber im Team stattfinden, und Abteilungsleiter Schmidt weiß davon nichts.
Das entsendende Unternehmen sollte relativ klar kommunizieren, wie viel Zeit seine Mitarbeitenden für die Tätigkeiten freigestellt werden – und am besten auch Anreize für CV-Aktivitäten bieten. Das „Take Time“-Programm von McKinsey räumt den Mitarbeitenden 10 bis 20 Prozent ihrer Arbeitszeit für CV-Tätigkeiten ein. Wer sich diesbezüglich engagiert, erhöht auch die Chancen auf einen maximalen Bonus, ist von Mackies zu hören.
Firmen sollten sich am besten nur mit Organisationen einlassen, die relativ klar formulieren können, wie viel Zeitaufwand auf die Aktiven zukommt, ob dafür Reisetätigkeiten anfallen, was genau zu leisten ist und so weiter.
Auch funktioniert Corporate Volunteering am besten, wenn sowohl für die Vorbereitung als auch für die Reflexion von CV-Einsätzen Zeit und Raum geschaffen wird.
CV auf next level ist es, wenn sich Unternehmen mit anderen Firmen vernetzen, zum Beispiel in Hackathons, um gemeinsam Volunteering-Aktivitäten zu bündeln und CV-Aktivitäten zu skalieren.
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Christian Thiele ist Autor und Coach für positive Leadership. Sein Buch „Positiv führen für Dummies“ ist gerade im Wiley-Verlag erschienen, sein Podcast „Positiv Führen“ lässt sich auf allen großen Podcast-Plattformen abrufen.
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