Frage an die HR-Werkstatt: „Wie können wir Überlastung bei unseren Mitarbeitern vorbeugen und bei Stressbewältigung unterstützen?“
Es antwortet: Yannis Niebelschütz, Mit-Gründer von CoachHub
Der Druck in der heutigen Arbeitswelt ist aufgrund der fortlaufenden Produktivitäts-Anforderungen enorm gestiegen. Untersuchungen der britischen Beratungsfirma Towers Watson haben ergeben, dass 97 Prozent der Mitarbeiter angeben, dass sie damit zu kämpfen haben, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bekommen. Die Corona-Krise hat dies noch einmal um ein Vielfaches verschärft. Es verwundert daher nicht, dass Krankenkassen und Experten derzeit Stress als das größte Gesundheitsrisiko im Job ansehen. Aus diesem Grund steht die Reduzierung von Stress in diesem und nächsten Jahr wohl für die meisten Personalabteilungen an erster Stelle.
Arbeitsausfälle durch Nichterscheinen am Arbeitsplatz sowie Präsentismus – also länger am Arbeitsplatz bleiben als nötig, auch wenn man krank ist – machen nur einen Teil der hohen Kosten aus. Die negativen Auswirkungen von Stress werden noch deutlicher, wenn man die Fluktuation von überarbeiteten Mitarbeitern mit einbezieht. Es ist bezeichnend, dass 70 Prozent der Mitarbeiter auf die eine oder andere Weise von Burnout betroffen sind – entweder persönlich, oder betroffene Kollegen bzw. Angehörige haben. Das zeigt die Untersuchung von Clockify. Die Situation scheint also ernst zu sein, aber es ist auch möglich, diese quasi Stress-Epidemie zu bekämpfen.
Das haben Unternehmen bewiesen, die Programme zur Gesundheitsförderung eingeführt haben, wobei dazu auch das Mitarbeiter-Coaching zählt. Wichtig ist, dass Sie als Personaler bzw. Manager systematisch an die Sache rangehen.
Schritt 1: Gründe für Stress ausfindig machen
Ein Arzt behandelt ja auch erst einen Patienten, wenn er das Problem kennt. Das Gespräch mit Ihren Mitarbeitern kann helfen, die zugrunde liegenden Ursachen für den Stress zu erkennen und zu verstehen. Solch ein Prozess ist nicht leicht, da Stress üblicherweise das Ergebnis von externen und internen Faktoren ist. Jedoch konzentrieren sich viele Mitarbeiter stark auf ihre Umgebung und situationsbedingte Faktoren, die sie nur minimal beeinflussen können, statt sich auf die kognitiven Faktoren und eigene Persönlichkeit zu fokussieren, auf die sie Einfluss nehmen können. Wenn Sie als Vorgesetzter das Gespräch nicht selbst führen wollen oder können, hilft hier zumeist ein externer Coach.
Es geht in der ersten Sitzung oft darum, herauszufinden, weshalb sich ein Mitarbeiter gestresst fühlt. Das Ziel ist es, die Ursachen für den Stress zu herauszufinden. Ein intuitiver Coach kann den Mitarbeiter dabei unterstützen, die psychologischen oder emotionalen Stressquellen zu identifizieren und zu entscheiden, ob er sich von diesen bestimmen lassen will. Dazu gibt es bereits viele digitale Lösungen, die man per Video-Chat von zu Hause wahrnehmen kann.
Schritt 2: Das gesamte Ich im Blick haben
Der wichtigste Grund für die Entstehung von Angst ist eine Diskrepanz zwischen den Werten der Mitarbeiter und der Art und Weise, wie sie sich am Arbeitsplatz verhalten sollen – oder wie sie glauben, sich verhalten zu müssen. Aus diesem Grund verzeichnen bestimmte kundenorientierte Stellen, bei denen die Mitarbeiter gezwungen sind, sich über lange Zeiträume hinweg zu verstellen, die höchsten Raten von Stress und Burnout.
Egal, ob wir mit unserer Arbeit unzufrieden sind oder ob wir einfach nur eine wirklich schwere Zeit außerhalb der Arbeit durchmachen – viele von uns haben das Gefühl, dass wir ein Lächeln aufsetzen und weiterarbeiten müssen, da wir sonst für die Arbeitsstelle als ungeeignet angesehen werden. Deshalb empfehle ich eine ganzheitliche Betrachtung eines Menschen – und nicht nur eines Mitarbeiters. Ermöglichen Sie es Ihren Angestellten einen sicheren, regelmäßigen Austausch mit jemandem, dem er vertraut. Das können Sie als Chef oder jemand außerhalb des beruflichen oder persönlichen Umfelds sein, zum Beispiel im Rahmen eines Coachings.
Dies gilt umso mehr, wenn Menschen mit tiefgreifenden Veränderungen zurechtkommen müssen, die in der heutigen schnelllebigen Welt immer öfter vorkommen. Es kann sich dabei um eine Beförderung handeln, eine Unternehmensumstrukturierung, einen neuen Manager oder sogar einen Umzug oder einen kranken Verwandten.
Ein Coaching bietet die Möglichkeit, sich zu entfalten. Es bietet die Erlaubnis zu sprechen. Die Menschen wollen nicht stagnieren. Sie wollen sich weiterentwickeln, nicht einfach nur überleben. Bietet man den Mitarbeitern den nötigen Raum und die Mittel, um sich innerhalb des Unternehmens weiterzuentwickeln, dann ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass sie langfristig im Unternehmen bleiben werden und psychische Widerstandskraft aufbauen.
Schritt 3: Investieren Sie in Ihre Mitarbeiter
Einfach ausgedrückt: Wenn man den Mitarbeitern die Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung stellt, sich weiterzuentwickeln, zu wachsen und mit ihren Problemen umzugehen – und zwar als Menschen, nicht nur als Mitarbeiter – dann zeigen Sie ihnen, dass man sich um ihr Wohlbefinden sorgt. Wenn Sie sich als Unternehmen um Ihre Mitarbeiter kümmern, dann kümmern sich auch die Mitarbeiter deutlich mehr um Ihr Unternehmen, wie Untersuchungen der Society for Human Resource Management (SHRM) belegen.
Drei Viertel der Unternehmen mit Programmen zur Gesundheitsförderung und zum Wohlbefinden, zu denen auch ein Coaching zählt, gaben bereits 2017 im Business of Healthy Employees Survey Report an, dass sich diese Programme positiv auf das Engagement der Mitarbeiter ausgewirkt haben. Es geht hier nicht nur darum, breite Lächeln und High Fives auf den Gängen zu sehen. Die gesamte Führungsetage sollte sich um das Mitarbeiterengagement kümmern, denn massenweise Literatur bestätigt, dass ein verstärktes Mitarbeiterengagement zu Folgendem führt:
- Weniger Arbeitsausfälle durch Nichterscheinen am Arbeitsplatz sowie Präsentismus
- Erhöhte Produktivität
- Gesteigerte Verkäufe
- Mehr Kreativität
- Besseres Ansehen des Unternehmens
- Zugang zu einem breiteren, tiefergehenden Talentpool
- Verringerte Mitarbeiterfluktuation. Dies bringt Einsparungen bei der Einstellung, Rekrutierung, Einarbeitung und Schulung mit sich
Schritt 4: Planen Sie für die Zukunft
Sich heute direkt mit Stress und Druck auseinanderzusetzen ist eine Investition in die Zukunft der Mitarbeiter und des Unternehmens. Schließlich liegt in diesen Tagen ein großer Teil der Sorgen in der Zukunftsangst.
Einem Artikel auf Shiftelearning zufolgte stellte die Firma IBM fest, dass Mitarbeiter, die sich nicht in der Lage fühlten, sich im Unternehmen weiterzuentwickeln und ihre beruflichen Ziele zu erfüllen, mit 12-fach höherer Wahrscheinlichkeit das Unternehmen verließen. Eine Belegschaft mit klaren Zukunftsaussichten hilft also auch dem Unternehmen.
Die Unternehmen erkennen zunehmend die Bedeutung der körperlichen Gesundheit ihrer Mitarbeiter, doch das geistige Wohlbefinden ist genauso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger und maßgebender. Von den Arbeitgebern, die Programme zum Wohlbefinden durchführen, berichten 60 Prozent über eine verbesserte Mitarbeiterbindung sowie über eine positive Auswirkung auf die Unternehmenskultur. Das zeigen die „Global Human Capital Trends 2018“ von Deloitte.
Moderne Unternehmen wissen, wie wichtig es ist, für die Zukunft zu planen und sich ständig weiterzuentwickeln, weshalb es Abteilungen mit Analysten und Strategen gibt, die wegweisende Pläne erstellen. Coaches können dem Einzelnen helfen, individuell wegweisende Pläne für das gesamte Leben zu erstellen.
Autor
Yannis Niebelschütz ist Co-Founder von CoachHub, der führenden Plattform für digitales Coaching in Europa. Zusammen mit seinem Bruder Matti gründete er 2018 das Berliner Unternehmen. Kunden wie Bosch, Generali oder Hanseatic Bank helfen mit über 600 Business Coaches in mehr als 30 Sprachen ihren Managern beim Führen und der persönlichen Entwicklung.
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Kontakt: mail@coachhub.io