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So sieht das Führungsmodell von morgen aus

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HR-Werkstatt zu Führungsmodellen

Frage an die HR-Werkstatt: „Wie setzen wir moderne Führungsmodelle strukturell und personell um?“

Es antwortet: Dr. Andreas Kricsfalussy, HR-Experte und HR-Direktor bei Atreus.

Veraltete Führungsmodelle standen schon vor der Corona-Pandemie zur Disposition. Rein hierarchisch oder bürokratisch begründete Autoritäten, aber auch ein patriarchalischer Führungsstil werden insbesondere von Generation Y und Z abgelehnt. Führung wird akzeptiert bei Fachkompetenz und entsprechenden Persönlichkeitsmerkmalen. Aufgrund des ausgeprägten demokratischen Führungsverständnisses und dem deutlichen Anspruch an Sinnhaftigkeit an und in die Führung legitimiert sich Führung heute anders. Wer sich als Organisation entsprechend weiterentwickeln und den Anschluss an die Wettbewerber nicht verlieren möchte, der benötigt eine tiefgreifende Transformation. Die Agenda für den Veränderungsprozess geht dabei über den Change von Strukturen und Abteilungen sowie geänderte Berichtswege und Hierarchien hinaus. Sie muss an Persönlichkeiten, deren Führung, Fähigkeiten und Verhalten ansetzen. Es geht um die unternehmensspezifische Konkretisierung des transformationalen Führungsstils.

Passen Sie sich der VUKA-Welt an

Hohe Geschwindigkeit plus Volatilität, Unsicherheit, Komplexität sowie Ambiguität (VUKA) charakterisieren das Spielfeld der Unternehmen. Während der Pandemie – „bei Fahren auf Sicht“ – umso mehr. Bezogen auf Ihre Unternehmensführung heißt das, die neuen Umstände und technologischen Möglichkeiten zu rekapitulieren – also seine Geschäftsmodelle permanent zu überprüfen, zu adjustieren, neu zu definieren, Produkte anzupassen und zu verbessern sowie Prozesse und Strukturen zu optimieren.

Bezogen auf die Führungskräfte können Sie nicht erwarten, dass diese immer die richtigen Antworten auf herausfordernde, unternehmerische Fragen haben. Sie dürfen aber erwarten, dass sie sich umfassend über die neuen Einflussfaktoren und deren Wirkung informieren, und dass sie dieses Wissen teilen. Herrschaftswissen würde den Entscheidungsprozess unglaubwürdig machen.

Auf was kommt es jetzt und in Zukunft an?

  1. Zukünftig entscheidend ist die Fähigkeit zur interaktiven, funktionsübergreifenden Zusammenarbeit. Gestalten Sie deshalb eine teamorientierte, interdisziplinäre und kollaborative Kultur. Das Wissen um die „richtige“, maßvolle und den Fähigkeiten der Mitarbeiter entsprechende Delegation von Kompetenz und Verantwortung sollte bei Ihnen vorhanden und abrufbar sein.
  2. Die Resilienz, sich permanent ändernden Anforderungen im laufenden Transformationsprozess schadensfrei und sicher zu stellen, ohne alles antizipieren zu müssen, muss für Sie gleichwertiger Bestandteil des Anforderungskatalogs sein. Genauso wichtig ist es, Vertrauen gegenüber den Mitarbeitern aufzubauen, die Veränderungen positiv und konstruktiv anzugehen und Ihren Mitarbeitern zuzutrauen, dass sie die Veränderungen bewerkstelligen.
  3. Der Volatilität können Sie begegnen, indem Sie lange, scheingenaue Fünfjahresplanungen und Prognosen verschwinden lassen. Generelle Trendanalysen zur Gesellschafts-, Konsum-, Mobilitäts-, Ressourcenentwicklung sollten Sie stattdessen häufiger im Gremium diskutieren.
  4. Der Unsicherheit begegnen Sie am besten durch Einstellungsänderung. Wenn Sie zukünftige Umweltzustände nicht mit Eintrittswahrscheinlichkeiten hinterlegen können, ist es für Sie legitim, einmal falsch zu liegen. Begreifen Sie den Misserfolg oder das Scheitern als lehrreiche Erfahrung, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Sprich: Bleiben Sie offen für Einflüsse einer sich schnell drehenden Welt. Es ist in Ordnung, wenn vieles zum Experiment wird.
  5. Komplexität durchdringen Sie durch das Agieren in stark vernetzten internen Strukturen sowie Mitgliedschaften in externen Schemata. Ihre Teilhabe an sozialen Netzwerken und das Mitwirken in Ökosystemen speist die Zufuhr von Wissen, dient der Aufrechterhaltung von Entscheidungsfähigkeit und reduziert so komplexe Sachverhalte mit dem bewussten oder auch unbewussten Zutun von vielen vermeintlich Unbeteiligten Know-how-Trägern.
  6. Ambiguität stellt für Sie die größte Herausforderung dar: Zusammenhänge werden in der Öffentlichkeit vermengt, klassische Ursache-Wirkungs-Beziehungen greifen zu kurz, Wechselwirkungen sind insbesondere global oder branchenübergreifend schwer zu erfassen. Hier hilft Ihr Erfahrungswissen, eingebracht mit faktenorientierter Argumentation, vor allem wenn Historie zum Aufbau von Szenarien genutzt wird und grundsätzliche Vorgehensweisen und Kriterien etwa der empirischen Sozialforschung als Imperative hochgehalten werden. 
  7. Bei aller Liebe zur Virtualisierung und Homeoffice: Die Addition von Einzelleistungen ist nicht gleich der Summe von gemeinschaftlicher Zusammenarbeit. Es gilt, Kollaboration zu ermöglichen, Begegnungen sicherzustellen, Argument und Gegenargument (Diskurs), Kritik und Lob, Anweisung und Entschuldigung nicht nur am Bildschirm, sondern auch wieder persönlich zu organisieren. So können Beteiligte nonverbale Kommunikation lesen, Spontanität erzeugen und Intuition wie Emotion wirken lassen. Ihre Mitarbeiter brauchen ein Zugehörigkeitsgefühl, so dass angstfrei und auch mal „spinnert“ gesprochen wird. Der strukturelle „Heimathafen“ ist dafür notwendig, das Office bleibt dafür wichtig.

Betrachten Sie HR als Sparringspartner im Veränderungsprozess

Idealerweise schafft die Organisation das alles mit denselben Mitarbeitern. Das heißt, die Aufgabe der Personalabteilung ist mehr denn je, dass sie den Führungskräften Instrumente an die Hand gibt. Ebenso muss sie die Führungskräfte schulen, ihrer Aufgabe der Personalführung gerecht zu werden. Personaler fungieren als Enabler der Organisation und seiner Führungskräfte, als Treiber der Veränderung, aber auch als Vorbild für die Mitarbeiter im eigenen Unternehmen. Wie kann das zukünftig gelingen?

  1. Artikulieren Sie Ihren Anspruch an Business Partnership und helfen Sie den Führungskräften und Mitarbeitern bei verschiedensten Aufgabenstellungen und Herausforderungen. Nehmen Sie die Chance wahr und gestalten Sie aktiv den Veränderungsprozess mit. Über eine Workshop-Kaskade im eigenen Bereich können Sie die Mitarbeiter sensibilisieren und befähigen, Probleme zu erkennen und zu benennen.
  2. Erarbeiten Sie einen zielgruppenspezifischen Fahrplan, welche Mitarbeiter, Vorgesetzte und Managementcluster wann, mit welchen Inhalten betraut werden. Setzen Sie moderne Analysemethodik, Kollaborationstools und Informationsplattformen ein. Der Fahrplan sollte eine Bestandsaufnahme vorsehen, in der Sie den (digitalen) Reifegrad der Organisation erheben und Veränderungsnotwendigkeiten lösungsorientiert diskutieren.
  3. Wenn Sie als professioneller Transmitter nach außen in Erscheinung treten, wird Ihre Veränderungsbereitschaft positiv auf das ganze Unternehmen attribuiert. So haben Führungskräfte die Gelegenheit, sich vertrauensvoll an Sie zu wenden. Probleme und Ängste werden nicht totgeschwiegen, Anlaufstationen etabliert, einige anonym, andere als „Kummerkasten“.

Die Personalabteilung kann sich also zu Recht als die richtige Anlaufstation in einem Veränderungsprozess erweisen. Sie kann eine „Allianz der Erneuerer“ schmieden, in der sie wesentlicher Anker ist, für den Umbau steht und ihn treibt. Die erfolgreiche Gestaltung eines neuen Führungsmodells braucht natürlich Zeit – und es erfordert einen hohen kommunikativen Aufwand. Nachvollziehbarkeit und Commitment sind erfolgskritische Voraussetzungen, um den Stein ins Rollen zu bringen und die Anfangseuphorie zu verstetigen. Die Erfahrung zeigt außerdem: Eine tiefgreifende Veränderung ist umso schwieriger, je besser die geschäftliche Lage ist. Welch günstigeren Zeitpunkt gäbe es folglich als den jetzigen – in der Unsicherheit der Pandemie – die Gelegenheit beim Schopfe zu packen?

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