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So teuer sind AU-Fehlzeiten für Unternehmen

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Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten versuchen Unternehmen, nicht essenzielle Ausgaben zu vermeiden. Alle Kosten, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht direkt zur Wertschöpfung beitragen, werden versucht einzusparen. Darunter leiden oft Investitionen in HR-„Soft Factors“ und somit auch in Maßnahmen zur gesundheitlichen Prävention.

Die enge betriebswirtschaftliche Sicht greift aus unserer Sicht zu kurz, weil in dieser Rechnung wichtige kostentreibende Faktoren unberücksichtigt bleiben. Ohne Investitionen in Präventionsmaßnahmen gefährden Unternehmen auf lange Sicht ihre Wettbewerbsfähigkeit. Fehlzeiten, insbesondere hohe Krankenstände, haben in der Praxis gravierende Auswirkungen auf Unternehmen, weil sie erstens direkte Kosten für Arbeitgeber verursachen und zweitens erhebliche negative Folgen auf organisatorische Abläufe und Prozesse haben, die indirekte Kosten darstellen.

Oft reagieren Unternehmen aber reflexhaft ablehnend, wenn es um Ausgaben für präventive Maßnahmen geht. Das mag zum Teil daran liegen, dass Arbeitgeber die durch krankheitsbedingte Fehlzeiten verursachten Kosten als unvermeidbar ansehen und in Folge einfach hinnehmen und auch daran, dass indirekte Kosten schwer präzise zu ermitteln sind.

Was kostet ein an Burnout-Erkrankter ein Unternehmen?

Wer allerdings einmal kalkuliert hat, was ein Krankheitsfall einen Arbeitgeber kostet, könnte seine Meinung ändern. Schauen wir uns beispielsweise einen mittelständischen Ventilatoren-Hersteller mit 250 Beschäftigten an. Das Unternehmen macht einen Umsatz von circa 50 Millionen Euro im Jahr. Gert Hacherer (Name geändert) ist Maschinenbau-Ingenieur und arbeitet seit 15 Jahren als Entwickler im Unternehmen. Der 45-Jährige leitet als Projektverantwortlicher eine neue Elektronik-Entwicklung für einen Ventilatorantrieb. Der zu entwickelnde Motor ist Bestandteil eines innovativen Ventilatorentyps, der in neue Produkte eingesetzt werden soll und der den bisher verbauten Motor ersetzen soll. Dafür ist eine Umsatzerwartung in Höhe von 3 Millionen Euro jährlich in den ersten drei Jahren nach Markteinführung geplant. Gert Hacherer ist introvertiert und fachlich brillant. Gerne zieht er sich zu Berechnungen oder Designänderungen in sein Büro zurück, um ungestört zu sein. Er führt sein aus drei Personen bestehendes Team seit acht Jahren aufgrund seiner fachlichen Kompetenz. Plötzlich ist Hacherer krankgeschrieben. Die Diagnose: Burnout.

Weder das Team noch die Geschäftsführung hatten im Vorfeld mögliche Anzeichen bei Herr Hacherer wahrgenommen. Ein schleichender Leistungsabfall – mehrere kurze „Auszeiten“ – wurde mit einer schweren Grippeerkrankung in den vergangenen Monaten begründet. Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen zur Vermeidung psychischer Probleme von Mitarbeitenden haben weder das Management noch der Betriebsrat bis dahin als dringlich erachtet, präventive Maßnahmen dazu waren im Unternehmen nicht etabliert. Durch das gute Netzwerk des Unternehmens kann schon binnen zwei Wochen ein Ersatzingenieur durch einen Technologie-Dienstleister gefunden werden. Dadurch verschiebt sich das Projekt und die Markteinführung zwar um drei Monate, aber nicht so lange, wie ursprünglich befürchtet.

Und Gert Hacherer? Er ist für sechs Monate krankgeschrieben und zur Behandlung in einer psychosomatischen Klinik. Danach nimmt er im Rahmen einer Wiedereingliederung seine Arbeit langsam wieder auf. Nach einiger Zeit ist er wieder zu 100 Prozent im Job.

Ein Krankheitsfall, der noch recht glimpflich verlaufen ist. Und trotzdem bedeutet er für das Unternehmen einen beträchtlichen Schaden. Was genau hat der Arbeitgeber im Beispiel für Mehrkosten? Das Jahresbruttogehalt für Herrn Hacherer beträgt für den Arbeitgeber 120.000 Euro. Das entspricht einem Arbeitnehmer-Bruttogehalt von 97.500 Euro. Die Kosten für die Lohnfortzahlung für sechs Wochen betragen rund 16.000 Euro. Hinzukommen die Zeiten der geminderten Leistungsfähigkeit vor und nach Ausbruch der Erkrankung. Auch hier gehen wir von einer konservativen Annahme von 30 Prozent Leistungsminderung für insgesamt sechs Monate aus. Weiterhin sind die Mehrkosten für den Ersatzingenieur für ein halbes Jahr, die wir mit 20 Prozent ansetzen, und der entgangene Gewinn durch die um drei Monate verzögerte Markteinführung des neuen Produkts zu berücksichtigen. Insgesamt summieren sich die Kosten für diesen einen Fall auf eine Summe von weit über 100.000 Euro.

Wir konzentrieren uns hier ganz bewusst auf die rein betriebswirtschaftlichen Kosten des Ventilatoren-Herstellers. Das persönliche Schicksal und Leid von Herrn Hacherer bleiben in diesem Artikel unberücksichtigt. Ebenfalls nicht berücksichtigt sind Kosten eines möglichen Rückfalls von Gert Hacherer, mögliche Kosten durch den zwischenzeitlichen Wegfall von Know-how durch die Ersatzkraft, Kosten der Störungs- und Reibungseffekte im Team durch den Ausfall, et cetera.  

Info

Wie viel Gewinn nehmen Krankheiten einem Unternehmen?

Lassen Sie unseren Blick vom Individuum zur ganzen Belegschaft lenken. Welche Kosten entstehen für Arbeitgeber generell aufgrund von Krankheiten der Mitarbeitenden? Unser Beispielbetrieb mit 250 Beschäftigten hat eine reguläre Arbeitszeit von 7,5 Stunden pro Tag. Dazu kommen 5 Prozent Überstunden. Bei 220 Arbeitstagen netto (also nach Abzug der Urlaubstage) im Jahr stehen dem Betrieb damit rund 433.000 Arbeitsstunden brutto zur Verfügung.

Dadurch ergeben sich für den Betrieb Personalkosten von 300 Euro pro Tag und Mitarbeiter oder Mitarbeiterin und 16.500.000 Euro im Jahr. Gehen wir weiterhin von einer krankheitsbedingten Fehlzeitenquote von 6 Prozent aus. In Bezug auf die eingekauften Arbeitsstunden ergibt das in der Summe 24.750 Ausfallstunden oder 3.300 verlorene Arbeitstage pro Jahr. Die verlorenen Arbeitstage entsprechen einem Wert von 990.000 Euro (3.300 x 300 Euro). Unterstellen wir außerdem, dass 10 Prozent der krankheitsbedingten Fehlzeiten auf das Konto von Langzeiterkrankten (länger als sechs Wochen) gehen. In diesem Fall bezahlen die Krankenkassen Tagesgeld, und das Unternehmen „spart“ die Lohnkosten ab der siebten Woche. Von den 990.000 Euro ziehen wir deswegen 10 Prozent ab. Damit bleiben dem Unternehmen knapp 900.000 Euro effektive durch Krankheit bedingte Kosten.

Was Arbeitgeber tun können

Wie können Unternehmen diese Kosten vermeiden? Und sind präventive, gesundheitliche Maßnahmen hierbei hilfreich? Auch das haben wir exemplarisch am Beispiel des Ventilatoren-Herstellers und Herr Hacherer nachgerechnet. Aufgrund der Erfahrung mit der Burnout-Erkrankung von Gert Hacherer beschlossen die Geschäftsführung und der Betriebsrat ein Budget für präventive Gesundheitsmaßnahmen bereitzustellen und die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung (Psych. GBU) mit Priorität anzugehen. Die Psych. GBU ist im Arbeitsschutzgesetz §5 verankert und gibt ein umfassendes, neutrales, im besten Fall wissenschaftlich fundiertes Bild über die Verhältnisse im Unternehmen und deckt – bezogen auf den Ausfall Hacherers – unter anderem auch Grundstimmung und Belastungen in den einzelnen Abteilungen auf. Mit der Psych. GBU wäre eine Überlastung Hacherers rechtzeitig erkennbar gewesen.

Das Unternehmen stellt zudem zur Verringerung der krankheitsbedingten Fehlzeiten und zum Erhalt der Leistungsfähigkeit über einen Zeitraum von zwei Jahren eine Summe von 30.000 Euro zur Verfügung. Durch die Ergebnisse der Analyse im Rahmen der Psych. GBU (in Form einer anonymen Mitarbeiterbefragung; die Kosten lagen hierfür circa bei 5.000 Euro) wurden über einen Zeitraum von zwei Jahren Maßnahmen zur Verbesserung der Resilienz, Führungsqualität und Teamentwicklung abgeleitet und umgesetzt, außerdem wurden einige Prozesse verändert – so etwa in der internen Logistik und bei der Schichtübergabe. Die Beschäftigten erleben diese Maßnahmen als Zeichen der Wertschätzung, die zudem spürbar Belastungen reduziert haben.

Wir bleiben bei unseren konservativen Annahmen: Die Maßnahmen waren erfolgreich und tragen zu einer Reduktion der Arbeitsunfähigkeitsquote um einen halben Prozentpunkt, von 6 Prozent auf 5,5 Prozent bei. Daraus ergibt sich das folgende Bild: Dem Unternehmen stehen über 2.000 mehr Arbeitsstunden im Jahr zur Verfügung. Das entspricht mehr als einer Vollzeitstelle.

Gehen wir davon aus, dass der Anteil der Langzeiterkrankten leicht (auf 15 Prozent der krankheitsbedingten Fehlzeiten) ansteigt. Dann bleibt trotz der dadurch verminderten Lohnkosten ein Betrag von fast 120.000 Euro auf der Habenseite! Hinzu kommt, dass die Anzahl der teuren Überstunden reduziert werden kann. Eine Einsparung, die wir hier der Einfachheit halber gar nicht berücksichtigen. Mit Investitionen von gerade einmal 120 Euro pro Beschäftigten über zwei Jahre verteilt spart das Unternehmen selbst bei einer geringfügigen Verminderung der krankheitsbedingten Fehlzeiten um 0,5 Prozent damit 90.000 Euro an direkten Kosten.  

Wie wir gesehen haben, spielen auch die indirekten Kosten eine nicht unerhebliche Rolle. Jeder vermiedene Einzelfall wie der von Gerd Hacherer kann diese Rechnung ganz erheblich beeinflussen. Setzt man eine Reduktion von 1 Prozent in die Gleichung ein, kommt ein noch beeindruckender Betrag heraus, nämlich eine Summe von fast 200.000 Euro.

Fazit

In diesem Artikel haben wir anhand von Beispielrechnungen aufgezeigt, welches finanzielle Potenzial in der wirksamen gesundheitlichen Prävention steckt. Fehlzeiten haben neben den direkten Kosten enorme Auswirkungen auf das Gesamtunternehmen und dessen Wirtschaften. Selbstverständlich ist Prävention kein Wundermittel, und Krankheiten können in vielen Fällen nur bedingt vermieden werden. Fest steht allerdings: Präventive Maßnahmen helfen dem Unternehmen dabei…

• Prozesse effizient am Laufen zu halten,

• Kosten zu vermeiden und mehr Gewinn zu erzielen,

• die Attraktivität als Arbeitgeber zu steigern (höhere Mitarbeiterbindung, geringere Fluktuation)

• Mitarbeitende leistungsbereit zu halten – sowohl im beruflichen und privaten Umfeld.

Voraussetzung dafür ist eine fundierte Analyse, um ein klares Bild der Verhältnisse und Bedürfnisse zu bekommen. Nur so können Arbeitgeber effektiven Maßnahmen ableiten, die einen positiven Beitrag zur Unternehmenskultur und dem Erhalt des Arbeitspotenzials der Beschäftigten haben.

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