Frage an die HR-Werkstatt: Wie lassen sich Mitarbeiterbefragungen als effektives Instrument der Organisationsentwicklung einsetzen?
Es antwortet: Matthias Diete, Vorstand der Unternehmensberatung Cubia AG
Die zurückliegenden Jahre waren für viele Unternehmen eine Zeit tiefgreifender Veränderungen: Corona-Pandemie, Klimakrise und zuletzt Krieg in der europäischen Nachbarschaft, steigende Energiekosten und Inflation. Last but not least: Der „Fachkräftemangel“ hat sich generalisiert und in einen flächendeckenden Mangel an Arbeitskräften verwandelt – mit ebenso deutlich sichtbaren wie noch sichtbar werdenden Folgen für Recruiting, Bindung und das People Management insgesamt.
Gerade in diesen turbulenten Zeiten brauchen Unternehmen Orientierung, um die zunehmend komplexeren und schnelleren Veränderungsprozesse bewältigen zu können. Für Unternehmen wird es daher dringlich, die Stimmen ihrer Beschäftigten zu hören und darauf adäquat zu reagieren. Zuhören und reagieren heißt nicht Daten zu sammeln, sondern die Rückmeldung der Mitarbeitenden mit dem Ziel zu nutzen, Prozesse und die Organisation so zu gestalten, dass sie effizient und für Arbeitnehmende attraktiv bleiben. Wie können Unternehmen Mitarbeiterbefragungen am besten für dieses Ziel nutzen?
Unternehmensspezifischer Ansatz und intensive Kommunikation
Ein Fragebogen von der Stange, der nicht auf das jeweilige Unternehmen zugeschnitten ist, ist meist nicht geeignet, um Maßnahmen zur Verbesserung eines Prozesses oder einer Organisation abzuleiten. Besser ist es, zuerst mit der obersten Führungsebene und anderer Stakeholder zu klären, was genau abgefragt werden soll. Auch muss überlegt werden, ob sich etwa ein strukturierter Abfrageprozess mittels Onlinefragebogen oder doch eher ein Workshop eignet, um Ideen, Impulse und Meinungen zum definierten Befragungsgegenstand zu sammeln.
Der Fragebogen sollte zum größten Teil aus geschlossenen Fragen bestehen. Nur geschlossene Fragen lassen sich verlässlich quantitativ auswerten und erlauben objektive Ergebnisse sowie Benchmarks. Aber auch offene Fragen können in der richtigen Dosis eine wichtige Quelle sein, um neue Handlungsbedarfe zu identifizieren. Wir empfehlen, pro Mitarbeiterbefragung zwei offene Fragen zu stellen, in denen nach den wahrgenommenen und zu bewahrenden Stärken sowie nach Schwächen in der Organisation gefragt wird. KI-Lösungen ermöglichen eine Analyse der Antworten, ohne dafür gleich Mannwochen investieren zu müssen.
Wichtig ist, die Mitarbeiter schon im Vorfeld über Anlass, Ziele und Rahmenbedingungen der Befragung zu informieren. Denn die Aussagekraft der Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung hängt zum Beispiel von der Höhe der Teilnahme ab, diese wiederum vom Vertrauen, das die Mitarbeitenden der Befragung entgegenbringen. Ernst genommener Datenschutz und die ausführliche Kommunikation zum Thema sind daher nicht nur eine Frage der Compliance. Die Kommunikation trägt vielmehr wesentlich zum Erfolg der Mitarbeiterbefragung bei. Als Instrument der Organisationsentwicklung begriffen, stellt diese keine einseitige Abfrage von Meinungen dar, sondern einen Prozess des gegenseitigen Austausches zwischen Organisation und Mitarbeitern.
Allein die Ankündigung und Durchführung einer Befragung sowie die Wahl der Themen kommuniziert Wichtiges an die Mitarbeitenden, die entsprechend darauf reagieren und Fragen stellen können müssen. Das gilt erst recht für die Ergebnisse, die Führungskräfte mit ihren Teams diskutieren.
Wir haben oft erlebt, dass nach einer Mitarbeiterbefragung ein reger Austausch über alle Führungsebenen hinweg in Gang kam. Der Austausch kann informell stattfinden, häufig jedoch erfolgt er kaskadiert „von oben nach unten“, jede Führungskraft sollte mit ihrem Team die Ergebnisse im eigenen Verantwortungsbereich besprechen.
Aussagekräftige Berichte und nachhaltiges Verbesserungsmanagement
Papierfragebögen sind Vergangenheit. Auch große Unternehmen mit zehntausenden gewerblichen Mitarbeitern führen inzwischen ihre Befragungen online durch. Das beschleunigt und erleichtert vor allem die Auswertung. Denn aussagekräftige Berichte sind wesentlich für den Erfolg einer Mitarbeiterbefragung. Datenfriedhöfe und unverständliche Ergebnisberichte verhindern dagegen, dass Unternehmen konkrete Ergebnisse erreichen. Berichte müssen alles als wesentlich definierte beinhalten ohne die Führungskräfte durch den Umfang zu „erschlagen“.
Eine gut gemachte Mitarbeiterbefragung zeigt umsetzbare Handlungsmöglichkeiten sowohl auf der Ebene von Teams als auch für größere Unternehmenseinheiten sowie die Gesamtorganisation auf, damit diese nachhaltig verankert werden. Vorab sollten die Verantwortlichen einen Prozess definieren, der die Umsetzung von Maßnahmen unterstützt. So müssen interne und externe Ressourcen von vornherein mit eingeplant werden, um einzelne Teams und Führungskräfte in der Umsetzungsphase zu unterstützen – etwa durch Verantwortliche im HR-Management.
Dazu gehört auch eine Reportingstruktur, damit „nach oben“ berichtet werden kann, was konkret geplant ist und wie der Stand bei der Umsetzung im gesamten Unternehmen ist. Auch in der Phase der Umsetzung von Folgemaßnahmen gilt es dann am Ball zu bleiben. Dazu helfen digitale Lösungen als Grundlage für die Maßnahmendokumentation – bei Cubia verwenden wir zum Beispiel von uns entwickelte, intuitiv handhabbare Online-Tools, die eine unternehmensweite Maßnahmendokumentation ermöglichen. Gegenüber den Mitarbeitern sollten Unternehmen zudem regelmäßig berichten, mit welchem Erfolg sie die Ergebnisse einer Befragung für Verbesserungsmaßnahmen genutzt haben.
Strategisch denken, Mitarbeiterbefragungen als Prozess begreifen
Die Mitarbeiterbefragung ist als Instrument der Organisationsentwicklung und kontinuierlicher Prozess zu begreifen, nicht als eine abgeschlossene einmalige Aktion. Folgebefragungen zeigen, ob und wie wirksam Maßnahmen abgeleitet wurden. In Organisationen mit starker Veränderungsdynamik kann die Mitarbeiterbefragung jährlich stattfinden – oder das Unternehmen ergänzt den Zweijahreszyklus für die große Erhebung durch kleinere Pulsbefragungen.
Noch kürzere Zyklen bieten sich aus unserer Sicht für eine umfassende Mitarbeiterbefragung als Instrument der Organisationsentwicklung nicht an. Denn entscheidend ist nicht die Datenerhebung, sondern was das Unternehmens daraus macht. Nach einer umfassenden Mitarbeiterbefragung benötigen Board, Führungskräfte und Mitarbeiter Zeit, um Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Findet die nächste Befragung statt, ohne dass das Unternehmen sichtbar Verbesserungen umgesetzt oder zumindest eingeleitet hat, verliert die Erhebung von Mitarbeiterfeedback schnell an Glaubwürdigkeit und Akzeptanz.
Zudem ist die Haltung von Verantwortlichen und Führungskräften entscheidend dafür, ob und wie Verbesserungen und Anpassungen – etwa an der Führungskultur – vorgenommen werden. Gut erforscht als auch in der betrieblichen Praxis zu beobachten ist, dass ohne die Vorbildfunktion der obersten Führungsebene und ohne das Commitment der mittleren Führungsschichten Transformationsprozesse insbesondere in den Themen Führung und Unternehmenskultur nicht durchsetzbar sind.
Hier zeigt sich die große Verantwortung aber auch der entscheidende Einfluss der obersten Führungskräfte in besonderer Weise. Letztlich wirken sich aber auch Haltung und Verhalten aller Führungskräfte (bis zu den Teamleitern) darauf aus, ob Mitarbeiterbefragungen von den Mitarbeitern akzeptiert werden. Verantwortliche sollten deshalb unbedingt aktiv werden und, Handlungsmaßnahmen aus den Ergebnissen ableiten. Nichts zu tun und die Ergebnisse im Sand verlaufen zu lassen, enttäuscht die Mitarbeitenden und untergräbt die Akzeptanz weiterer Befragungen und Veränderungsinitiativen.
Selbstreflexion hilft gegen Krisen
Wissenschaftliche Studien zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen einem konstruktiven Umgang mit den in Mitarbeiterbefragungen gewonnenen Erkenntnissen und der wirtschaftlichen Leistung von Unternehmen. Darüber hinaus haben selbstreflexionsfähige Organisationen besonders gute Chancen, besser auf Krisen vorbereitet zu sein und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Gut konzipierte und durchgeführte Mitarbeiterbefragungen können Grundlagen für die Fähigkeit von Unternehmen legen, regelmäßig den eigenen Standort zu bestimmen sowie nötige Schritte zur Veränderung einzuleiten.
Autor
Matthias Diete ist Vorstand der Cubia AG. Er hat Betriebswirtschaft und Informationswissenschaften studiert und die auf Mitarbeiterbefragungen spezialisierte Unternehmensberatung nach Stationen in Industrie und Consulting im Jahr 2000 mitbegründet.
Weitere Informationen unter: www.cubia.com