Zwischen mentaler Gesundheit und Geschlechterrollen gibt es einen Zusammenhang. Ihn besser zu verstehen, hat einen positiven Einfluss auf unseren Umgang miteinander, unsere Fähigkeit, geschlechtsspezifische Herausforderungen besser nachzuvollziehen und einander besser zu unterstützen. Egal ob im privaten oder beruflichen Kontext.
Wie unterscheiden sich mentale Probleme bei verschiedenen Geschlechtern?
Die Datenlage in Deutschland bezieht sich hauptsächlich auf Cis-Personen, also jene, die sich auch mit ihrem biologischen Geschlecht (männlich oder weiblich) identifizieren. Daher kann diese Frage aktuell nur für die Unterscheidung Männer versus Frauen beantwortet werden.
Grundsätzlich leiden Männer und Frauen gleich häufig an psychischen Erkrankungen. Allerdings treten Krankheitsbilder wie Depressionen und Angststörungen vermehrt bei Frauen auf, während Substanzkonsum (zum Beispiel Alkoholmissbrauch) und Suizid häufiger bei Männern vorkommen. Auch wie sich Personen aufgrund ihrer Erkrankung verhalten, unterscheidet sich oftmals je nach Geschlecht: Typischerweise erleben Frauen häufiger Symptome, die sich nach innen richten sowie Ängste und Emotionen betreffen. Bei Männern hingegen richten sich Symptome eher nach außen und zeigen sich zum Beispiel als Auffälligkeiten im Verhalten, Gewalt oder Substanzgebrauch.
„Männer weinen nicht!”
Diese Unterschiede lassen sich zu einem großen Teil mit Stereotypen und einer dementsprechenden Sozialisation erklären. Unsere sozialen Rollen und Rollenerwartungen beeinflussen unser Selbstbild und unsere Psyche, obwohl Unterschiede in unserer mentalen Gesundheit normalerweise nicht mit unserem biologischen Geschlecht zusammenhängen. Personalverantwortliche sowie Kollegen und Kolleginnen sollten diese Faktoren berücksichtigen, um eine gute Zusammenarbeit zu fördern und Burnout-Risiken zu minimieren.
Sätze wie „Männer weinen nicht”, „Sei ein Mann” und viele weitere sind ein gutes Beispiel. Sie sind oft schnell daher gesagt, suggerieren allerdings ein Idealbild von Gefühlskälte und einer Art missverstandener Stärke, die für die allermeisten Männer nicht nachhaltig ist. Für viele Männer bedeuten die Erwartungen an ihre „traditionelle Rolle” auch einen hohen Leistungs- und Erfolgsdruck, was häufig zu einer ungesunden Arbeitskultur führt, in der sie zu sehr über die eigenen Grenzen gehen und benötigte Erholungspausen als Schwäche ansehen.
Frauen wiederum müssen heutzutage sowohl traditionellen Rollenerwartungen, zum Beispiel gute Hausfrau, Familienpflegerin oder unterstützende Ehefrau, als auch neuen Autonomieanforderungen gerecht werden. Obwohl Frauen ermutigt werden, selbstbestimmt, finanziell unabhängig und gleichberechtigt zu leben, bleibt beispielsweise die Care-Arbeit größtenteils bei ihnen. Das führt zu einer Doppelbelastung, enormem Erwartungsdruck und negativem Stress.
Für Frauen ist dieser Erwartungsdruck besonders problematisch, da sie aufgrund ihrer Sozialisierung oft weniger selbstbewusst sind als Männer. Vielfältige gesellschaftliche Erwartungen, Geschlechterstereotypen, (historische) Diskriminierung, aber auch biologische Faktoren erschweren es Frauen häufig, genügend Selbstwert in die eigene Person und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Sie haben über lange Zeit gelernt, dass sie sich an ihre soziale Rolle anpassen müssen. Richtig wütend sein wurde abtrainiert und so auch die Fähigkeit, sich gesund abzugrenzen.
Identifizieren sich Menschen nicht mit ihrem biologischen Geschlecht, spielen Themen wie Identitätsfindung und Selbstakzeptanz oft eine entscheidende Rolle, da sie eine wichtige Grundlage für eine gesunde Psyche sind. Genderqueere Personen erfahren zudem immer noch viel Diskriminierung und Gewalt. Das spiegelt sich auch in Statistiken zu mentalen Problemen wider: Nicht-binäre und Trans*-Menschen leiden häufig unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen.
Warum gehen wir je nach Geschlecht unterschiedlich mit mentaler Gesundheit um?
Soziale Rollen und Geschlechterstereotypen haben Auswirkungen auf unseren Umgang mit mentalen Problemen. Frauen wagen den Schritt zum Therapeuten oder zur Therapeutin wesentlich häufiger als Männer, da bei letzteren das Sprechen über Emotionen deutlich mehr stigmatisiert ist. Zudem haben Frauen in der Regel auch eine höhere Symptomaufmerksamkeit, weswegen sie mentale Probleme früher bemerken. Das führt dazu, dass psychische Erkrankungen bei Frauen häufiger erkannt werden, aber auch, dass sie eher angemessene psychologische Unterstützung bekommen.
Das Stigma rund um die mentale Gesundheit bei Männern führt auch dazu, dass die meisten Suizide von Männern begangen werden. Hilfe zu suchen und anzunehmen ist im Männlichkeitsstereotyp nicht vorgesehen, da es Abhängigkeit und die Aufgabe von Kontrolle signalisiert.
Entsprechend Forschungen zu Effekten der Sozialisierung können Männer oftmals kaum Gefühle außer Wut zulassen. Diese eingeschränkte Selbstwahrnehmung ist ein weiterer Faktor, der sich auf den Umgang mit ihrer mentalen Gesundheit auswirkt. Unternehmen können hier unterstützen, indem sie offen über mentale Gesundheit bei Männern sprechen und Informationen zum Thema bereitstellen.
Wichtig zu wissen, um Warnzeichen zu erkennen: Der emotionale Zugang zu sich wirkt sich auch auf Strategien aus, mit mentalen Problemen umzugehen. Frauen greifen dementsprechend eher zu nach innen gerichteten „Problemlösungsstrategien” wie Grübeln, Vermeiden oder Selbstbeschuldigungen, während Männer tendenziell häufiger nach außen gerichtete Strategien wie Alkoholmissbrauch oder Gewalt verwenden.
Wie können wir besser für uns sorgen?
Unabhängig von unserem Geschlecht ist es wichtig, präventiv für unser mentales Wohlbefinden zu sorgen. Dazu gehört eine gute Selbstfürsorge (die eigenen Gefühle wahr- und ernst nehmen, ausreichend Erholungsphasen, gesunde Grenzen zum Selbstschutz setzen, et cetera.), aber auch soziale Unterstützung.
Entspannungs- und Stressmanagementtechniken wie Meditation können präventiv, aber auch in akuten Stressphasen dabei helfen, unangenehme Gedanken und Gefühle loszulassen und innere Ruhe zu finden. Zur Bewältigung von psychischen Krankheiten sollte zudem professionelle Hilfe, zum Beispiel im Rahmen einer Psychotherapie, in Anspruch genommen werden.
Glücklicherweise gibt es heute einige Unterstützungsangebote, die auf die spezifischen Bedürfnisse von uns und unsere Geschlechterrolle angepasst sind. Beispiele hierfür sind Selbsthilfegruppen, die auf bestimmte Geschlechter oder kulturelle Hintergründe zugeschnitten sind oder beispielsweise LGBTQIA+-sensitive Therapie- und Beratungsangebote.
Innerhalb solcher Angebote gibt es beispielsweise die Möglichkeit,
- für Männer alternative Wege zu finden, ihre Emotionen auszudrücken, zum Beispiel durch Kunst oder Sport
- für Frauen besonderen Fokus auf das Stärken des Selbstbewusstseins zu legen und sie bei der Vereinbarkeit von Karriere und Familie beispielsweise durch flexible Arbeitsmodelle zu unterstützen
- für nicht-binäre und Trans*-Personen spezielle Übungen für individuelle Erfahrungen mit identitätsbasierter Bedrohung aufzuarbeiten
Mit Blick auf unsere Geschlechterrollen kann eine kritische Reflexion und Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen dabei helfen, Stereotype und Erwartungen zu erkennen und gezielt zu hinterfragen. Langfristig kann das Männern, Frauen und genderqueeren Personen helfen, Belastungen, Stress und Stigma rund um soziale Rollen abzubauen und mehr Wohlbefinden zu schaffen.