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Wie können Unternehmen die Bundestagswahl thematisieren?

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Jeder und jede dritte Beschäftigte hat das Büro wegen der politischen Meinungen von Vorgesetzten oder Kolleginnen und Kollegen schon einmal gemieden. Das zeigt eine jetzt veröffentlichte Umfrage von Owl Labs, einem Hersteller für Videokonferenzgeräte. Im Juli 2024 wurden dafür mehr als 2.000 Beschäftigte in Deutschland befragt. „Politische Spannungen haben reale Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden am Arbeitsplatz“, sagt Owl-Labs-CEO Frank Weishaupt. Diese Effekte könnten durch einen regelmäßigen Austausch und aktives Zuhören in der Belegschaft so gering wie möglich gehalten werden. Es solle zudem klare Richtlinien für den Umgang mit Meinungsverschiedenheiten und für respektvolle Diskussionen geben.

Torq.partners, eine Berliner Unternehmensberatung für Start-ups und Scale-ups, hat sich für diesen Weg entschieden. Auch, weil sich die Beratung generell klar politisch nach innen und außen positionieren und so laut Managing Partner Moritz Schlageter klar für demokratische Werte in der Wirtschaft und Gesellschaft eintreten möchte. Schlageter und der Rest der Geschäftsführung haben deshalb mit ihrem Team „Safe Spaces“ kreiert. So nennen sie die „geschützten“ virtuellen Räume, in denen sich Mitarbeitende zusammentun können, um ihre Ansichten und Sorgen zu Themen zu äußern, die sie beschäftigen. „Safe Spaces“ gab es beispielsweise zu der US-Wahl, dem Bruch der Ampelkoalition und Gewalt an Frauen und Mädchen.

Klare Regeln für den Austausch

Die Räume werden moderiert und es gibt ein klares Regelset für den Austausch – etwa, dass die Teilnehmenden sich aussprechen lassen, aktiv zuhören und niemand gezwungen wird, zu reden. Alles, was in den „Safe Spaces“ besprochen wird, darf zudem nicht nach außen gelangen. An den Austauschrunden nehmen laut Schlageter rund 20 von etwa 100 Mitarbeitenden teil. Teilweise gibt es danach Faktenchecks und es wird Hintergrundwissen vermittelt. „In diesem Jahr entwickeln wir das Format weiter“, sagt Schlageter. „Zu Beginn wollen wir ein Video zeigen, um einen Impuls zu setzen, und im Anschluss wollen wir gemeinsam Emotionen und Fragestellungen rund um das Thema erarbeiten.“

Während die „Safe Spaces“ vor allem den Austausch der Mitarbeitenden untereinander zu politischen Themen fördern sollen, gibt es noch Informationsmaßnahmen rund um politische Themen bei Torq.partners. So finden Learning Lunches statt und die gegründete Gruppe Education stellt für die Mitarbeitenden „Knowledge Nuggets“ zusammen. Letzteres sind circa fünf Absätze lange Chat-Beiträge, beispielsweise zu den Themen Nicht-Wähler und dem Wahlsystem. In etwas längeren Info-Blättern wurden zudem die Wahlprogramme der großen Parteien zusammengefasst, ein Überblick über die Kanzlerkandidaten und die Kanzlerkandidatin gegeben und noch einmal gesondert herausgestellt, wie die einzelnen Parteien zum Thema Migration stehen.

Eine Frage der Kultur

Das Ergebnis der Aktionen: „Durch die bewusste Auseinandersetzung mit diesen Themen konnten wir den internen Dialog stärken und eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der Meinungsvielfalt fördern“, sagt Schlageter. „Unsere Mitarbeitenden schätzen diese proaktive Haltung. Das hat den Zusammenhalt im Team gefestigt und das Vertrauen in unsere Unternehmenskultur sowie unsere gemeinsamen Werte gestärkt.“ Positive Effekte, die allerdings nur vorgefunden werden können, wenn der Arbeitgeber für diese Form des Austauschs zunächst einen sicheren Rahmen schafft und sich vielleicht selbst auch vorher verletzlich macht. Nach dem Erstarken der AfD teilte einer der Geschäftsführer mit Migrationshintergrund offen vor der Belegschaft mit, dass er Angst habe, das Land verlassen zu müssen. Schlageter selbst hatte zuvor offen von seiner Krebserkrankung gesprochen.

Die Bielefelder Digitalagentur Comspace fördert den politischen Diskurs im Unternehmen auf eine ähnliche Art und Weise – und gewann dafür 2024 den KMU-Sonderpreis beim Deutschen Personalwirtschaftspreis. Um Demokratie zu fördern und den politischen Diskurs innerhalb der Belegschaft, ist die Agentur eine Kooperation mit dem Business Council für Democracy eingegangen. Das Netzwerk bietet Unternehmen kostenlose Mitarbeiterschulungen zu Themen wie Hate Speech, Verschwörungstheorien und unbewusste Vorurteile an. Zudem gibt es bei Comspace regelmäßige Austauschrunden über aktuelle politische Themen, die teilweise auch von externen Experten und Expertinnen geführt werden. Mitarbeitende sammeln auch in einer Datenbank interessante Artikel, Beiträge und Wissensquellen zu politischen Fragestellungen.

Informieren, nicht missionieren

Alles Vorgehen, die laut Sören Witt, einem der beiden Projektverantwortlichen und Manager Public Affairs & Networks bei Comspace, gut von den Beschäftigten angenommen wurden. Vorbehalte habe es anfangs dennoch gegeben: „Einige Mitarbeitende hatten Sorge, dass wir ihnen eine gewisse Meinung vorgeben, sie missionieren wollen“, sagte Witt Anfang 2024. „Wir haben ihnen klargemacht, dass wir sie informieren möchten und uns damit nicht gegen etwas aussprechen, sondern für etwas einsetzen – nämlich für demokratisches Handeln.“

Unternehmen, die politischen Diskurs auf diese formale Weise fördern, scheint es aktuell wenige zu geben. Einige positionieren sich zwar klar nach außen für demokratische Werte, doch entscheiden dann in der Geschäftsführung, keinen weiteren Schritt intern zu gehen. Ein solches Unternehmen ist der HR-Software-Entwickler Hibob. „Wir sind in unserem Kern politisch und positionieren uns zu gesellschaftspolitischen Themen, beispielsweise im US-Kontext zur Anerkennung des dritten Geschlechts“, sagt Country Managerin DACH Melanie Wagner. „Einen formalen Austausch im Unternehmen haben wir dazu aber nicht. Das haben wir geschäftsseitig leider nicht hinbekommen.“ Grund dafür sei aber vor allem Zeitknappheit gewesen.

Adressiere, was deine Mitarbeitenden beschäftigt

Team-intern werde der informelle politische Austausch – etwa in der Mittagspause – aber gerne gesehen. „Dann sprechen wir offen über die Bundestagswahl und auch über damit einhergehende Sorgen und Ängste“, sagt Wagner. Viele Hibob-Mitarbeitende hätten einen Migrationshintergrund. Sie seien vom Rechtsruck in Deutschland verunsichert. Wagner ist davon überzeugt, dass dieser informelle politische Austausch von Hibobs klarer politischen Positionierung gestärkt wird. „Damit schaffen wir Raum für politische Diskussionen“, sagt die County Managerin DACH.

Diesen Raum sollten Führungskräfte und HR aktiv schaffen, wenn die Belegschaft von politischen Spannungen beeinflusst ist. „Mitarbeitende wünschen sich Nähe und Austausch zu Themen, die sie bewegen“, sagt Wagner. „Dies zu adressieren, ist die Pflicht von Führungskräften und HR-Managerinnen und -Managern. Sie sollten als Gesprächspartner zur Verfügung stehen.“ Deshalb plant Wagner auch mit dem Business Council for Democracy zusammenzuarbeiten, um zukünftig doch auch noch gezielte Formate für den politischen Austausch anzubieten.

Das gilt es aus arbeitsrechtlicher Sicht zu beachten

Ein Austausch, der immer auch Risiken und Eskalationspotenzial mit sich bringt – gerade, wenn es um emotional aufgeladene Themen geht. Risiken, welche den Betriebsfrieden und Arbeitsabläufe stören könnten – und das sollte der Arbeitgeber unterbinden. Besonders, wenn es sich um antidemokratische, rechtsextreme und diskriminierende Aussagen handelt. „Sollte ein politischer Streit eskalieren und das Arbeitsklima beeinträchtigen, sollte der Arbeitgeber eingreifen“, sagt Jan Heuer, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei Kliemt. Er empfiehlt, zunächst ein vertrauliches Gespräch mit den betroffenen Mitarbeitenden zu führen und nach Lösungen zu suchen. „Eine Deeskalation sollte stets im Vordergrund stehen und arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen – etwa eine Abmahnung – eher das letzte Mittel bilden“, sagt Heuer. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen hänge vom Einzelfall ab, unter anderem von der konkreten Äußerung, dem Schärfegrad und der Provokationsabsicht.

Damit diese Konflikte erst gar nicht zustande kommen, empfiehlt Heuer, klare Richtlinien für den formellen politischen Diskurs festzulegen und verweist auch auf Spielregeln für den Arbeitgeber. Der formelle politische Austausch – etwa in einem Forum – müsse für die Mitarbeitenden freiwillig sein. „Das kann dadurch unterstrichen werden, dass sich der Arbeitgeber selbst aus dem Austausch heraushält“, sagt Heuer. Zudem sei es als Arbeitgeber unzulässig, den Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin zu einer Stellungnahme zu parteipolitischen Fragen zu veranlassen und auch der Arbeitgeber selbst dürfe sich nicht parteipolitisch im Betrieb betätigen. Genau dafür wurde auch die Böttcher AG vor rund einem Jahr kritisiert, als sie ihre Mitarbeitenden fragte, welche Partei sie wählen würden.


Grundsätzlich gelte aber eine Meinungsfreiheit, sagt Heuer. Unterschiedliche politische Meinungen dürften im Betrieb geäußert werden, auch wenn sie dem Arbeitgeber möglicherweise nicht „schmecken“ – zumindest solange sie den Betriebsfrieden oder Arbeitsabläufe nicht stören.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.