Erst ist der Deal aus „Die Höhle der Löwen“ geplatzt, dann konnten sie eine erfolgreiche Finanzierung abschließen – und jetzt? Wie steht es heute um das HR-Start-up Aivy, das Arbeitgebern mittels einer game-based Eignungsdiagnostik helfen möchte, die Vorauswahl von Kandidaten und Kandidatinnen zu verbessern?

Aivy ist eine Ausgründung der Freien Universität Berlin und ging im Januar 2020 offiziell an den Start. Ihr Tool kommt bei der Personaldiagnostik im Auswahlverfahren zum Einsatz: Es soll eine diskriminierungsfreie Ersteinschätzung von Bewerbenden durch Game-based-Assessments ermöglichen. Das Konzept von Aivy funktioniert in drei Schritten. Zuerst wird ein Anforderungsprofil für eine Stelle erstellt, wofür drei geeignete Personen im Unternehmen in etwa zehn Minuten einen Fragebogen ausfüllen. Dabei geht es um die Stärken und Kompetenzen, die für diesen Job notwendig sind. Aus den Mittelwerten der Angaben erstellt das Team von Aivy eine sogenannte Testbatterie, bestehend aus spielerisch verpackten psychologischen Tests. Die Bewerber und Bewerberinnen durchlaufen diesen Test direkt nachdem sie ihre Bewerbung eingereicht haben und erhalten sofort ihr Stärkenprofil. Anforderungs- und Stärkenprofil werden übereinandergelegt, und es entsteht ein Passungsscore. Dieser dient dann als Grundlage für das Erstgespräch mit dem Bewerber oder der Bewerberin.
Eine halbe Millionen Mal wurde der Stärkentest von Aivy bereits durch die Bewerber und Bewerberinnen der Kundenunternehmen durchlaufen. Alle Verfahren werden laut den Gründern anhand der Norm für Eignungsdiagnostik (DIN 33430) entwickelt und fortlaufend optimiert.
Finanzierung ermöglichte Aivy eine Weiterentwicklung der Software
Mit diesem Geschäftsmodell war das Gründerteam vor etwas mehr als einem Jahr bei der TV-Show „Die Höhle der Löwen“ und wollte Investoren für sich gewinnen. Zunächst auch erfolgreich. Denn das Jungunternehmen konnte die Investoren Carsten Maschmeyer und Dagmar Wöhrl von seinem Konzept überzeugen. Allerdings platzte der Deal nach der Show. Wie Mitgründer Florian Dyballa äußerte, hätten die Gründer und die Investoren unterschiedliche Vorstellungen bei der „konkreten Ausgestaltung der Meilensteine“ gehabt. Für das Start-up war dies nur ein kleiner Rückschlag, denn es konnte die Zeit zwischen Aufzeichnung und Ausstrahlung nutzen und schloss trotzdem eine Finanzierungsrunde ab.
Mit dem neuen Kapital wollte das Start-up das Tool weiterentwickeln – eigenen Aussagen nach zu dem neuen „Standard neben dem Lebenslauf“. Zur Weiterentwicklung sollte ein Feature für das objektive Auswahltool gehören, das den Aufbau eines unternehmensinternen diagnostizierten Talentpools erlaubt. Wir haben bei Alexandra Kammer, Co-Founder und Chief Diversity Officer von Aivy, nachgefragt, wie es um das HR-Start-up und das neue Feature heute steht.
Personalwirtschaft: Frau Kammer, was hat sich seit der Finanzierungsrunde vor einem Jahr bei Aivy getan?
Alexandra Kammer: Wir haben kürzlich ein neues Update in die Software gespielt, wodurch Aivy nicht mehr nur in der Personalauswahl, sondern entlang des gesamten Employee Lifecycles einsetzbar ist. Die bestehenden und nicht nur die potenziellen Mitarbeitenden erhalten also ebenfalls ein Stärkenprofil und werden danach zum Beispiel befördert oder weiterentwickelt. Denn selbst wenn ein Unternehmen Aivy bereits seit einem Jahr einsetzt, durchliefen die Mitarbeitenden, die es vorher schon gab, nicht diesen Stärkentest. Die Idee dazu entstand primär aus dem Feedback unserer Kunden. Denn nach der Personalauswahl und Einstellung gilt es, die Mitarbeitenden zu halten, wertzuschätzen und weiterzuentwickeln.
Geht es dabei dann um konkret zu besetzende Stellen im Unternehmen, für die auch eigene Mitarbeitende infrage kommen?
Es geht in erster Linie darum, einen Talentpool aus den eigenen Mitarbeitenden zu erstellen, in dem alle ihr eigenes Stärkenprofil haben. Dies kann dann dazu dienen, es mit den Anforderungsprofilen der offenen Stellen zu vergleichen, es kann aber auch einfach eine Grundlage für die Personalgespräche zur persönlichen Weiterentwicklung sein. Außerdem kann man sich die Profile innerhalb eines Teams anschauen, um Lücken oder Überschneidungen zu entdecken.
Wann ist es wichtig, dass sich die Profile des Teams ergänzen und sich nicht zu sehr gleichen?
Wenn sich ein Team zusammenfindet, um Innovationen zu entwickeln oder sich mit einer Problemstellung zu beschäftigen, sind verschiedenen Stärken und Sichtweisen beispielsweise wichtig.
Wieso ist die Personaldiagnostik auch nach der Personalauswahl relevant?
Viele Unternehmen, die Aivy nutzen, möchten ein Tool an die Hand bekommen, um zum Beispiel objektiver befördern zu können. Politische oder persönliche Präferenzen dürfen dabei keine Rolle spielen. Eine objektive Instanz zu haben, ist hilfreich bei der Argumentation, wenn es um Beförderungen und Weiterentwicklungen geht.
Gab es seit – oder durch – den TV-Auftritt neue Kunden und Kundinnen bei Aivy?
Es sind vor allem mehr geworden: Vor der Ausstrahlung hatten wir etwa 30 Unternehmen, heute über 70. Dazu gehören zum Beispiel Lufthansa, Würth, OMR und Persona service. Da ist alles dabei von Start-up über KMU bis Großkonzern. Sie alle wollen bei der Vorauswahl der Kandidaten und Kandidatinnen objektiv vorgehen und mehr Informationen über die Person haben, und zwar über die Stärken und Potenziale der Talente und nicht nur zu ihren Arbeitszeugnissen oder Noten.
Aivy garantiert, dass die Ergebnisse der Stärkentests valide sind. Was genau kann man sich darunter vorstellen?
Es ist natürlich total wichtig, dass die Ergebnisse auch die Realität widerspiegeln. Um das zu gewährleisten, sind wir entlang der DIN 33430 entwickelt. Das garantiert unseren Unternehmen Wissenschaftlichkeit, und das ist im HR-Tech-Bereich nicht selbstverständlich. Bei solchen psychologischen Assessments und generell bei wissenschaftlichen Befragungen spielt soziale Erwünschtheit eine große Rolle, sprich: Die Befragten antworten so, wie es sozial von ihnen gefordert wird. Da wir aber die Stärken durch Gamification abfragen, wissen die Bewerbenden gar nicht, was gerade genau abgefragt wird und verhalten sich somit authentisch. Das ist langfristig das Beste für beide Seiten, denn wir zeigen die Passung zur jeweiligen Stelle auf.
Was sind das beispielsweise für Game-based-Assessments?
Das Minispiel „Windstärke 6“ etwa ist eine erweiterte Version des Eriksen Flanker Tests zur Messung der selektiven Aufmerksamkeit. Für ein gutes Ergebnis müssen die Nutzer und Nutzerinnen schnell, aber auch präzise antworten. Sie dürfen sich dabei nicht von der sich verändernden Richtung oder Farbe der Flugzeuge ablenken lassen.
Mehr Infos unter: www.aivy.app
Gesine Wagner betreut als Chefin vom Dienst Online die digitalen Kanäle der Personalwirtschaft und ist als Redakteurin hauptverantwortlich für die Themen Arbeitsrecht, Politik und Regulatorik. Sie ist weiterhin Ansprechpartnerin für alles, was mit HR-Start-ups zu tun hat. Zudem verantwortet sie das CHRO Panel.

