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Diese sieben Fehler im Recruiting sind vermeidbar

Frage an die HR-Werkstatt: Was sind die größten Fehler im Kampf um Talente – und wie lassen Sie sich vermeiden?
Es antwortet: Oliver Hohmann, Managing Partner der DELTACON Executive Search

Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung berichtet, dass sich die Fachkräftelücke 2021 mehr als verdoppelt hat: von 213.000 unbesetzte Positionen im Januar auf 465.000 im Dezember. Eine Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), die alle offenen Stellen erfasst, meldet für das erste Quartal 2022 sogar 1,74 Millionen unbesetzte Arbeitsplätze – ein Allzeitrekord. Bei dieser Personallage ist es umso erstaunlicher, dass viele Unternehmen immer noch einfache Fehler bei ihrer Personalsuche begehen. Arbeitgeber, die heute noch schlecht vorbereitet in ein Bewerbungsgespräch gehen, nicht auf Augenhöhe agieren oder zwei Wochen für eine Rückmeldung benötigen, gehen leer aus – und das zurecht.

Im nachfolgenden erläutere ich einige Fehler, die mir sehr häufig begegnen und sich durch etwas Mitdenken und simple Maßnahmen leicht beheben lassen.

1. Wer zögert, verliert

Beginnen wir mit dem wichtigsten Faktor: Zeit. Wer wechselwillig und qualifiziert ist, bleibt nur kurz auf dem Markt verfügbar. Brauchen Unternehmen zu lange für Rückmeldungen und Entscheidungen, haben die favorisierten Kandidatinnen und Kandidaten bereits bei der Konkurrenz unterschrieben. Arbeitgeber müssen hier viel dynamischer agieren als bisher.

In einem Fall aus meiner Praxis lagen zwischen meinem Erstinterview mit einem Kandidaten, Abstimmung mit dem Unternehmen, Zweitinterview mit mir, Durchführung und Auswertung der Eignungsdiagnostik, Erstellung des vollständigen Kandidatenprofils und Vorstellungsgespräch beim Unternehmen nur vier Tage. So etwas begeistert die Kandidatinnen und Kandidaten für einen möglichen neuen Arbeitgeber.

2. Zu viele Köche verderben den Brei

Die langen Bewerbungsprozesse entstehen meist durch eine schlechte Kommunikation im Unternehmen. Zu viele Entscheiderinnen und Entscheider beteiligen sich an der Personalsuche – mit unterschiedlichen Erwartungen an die Kandidatinnen und Kandidaten. Zu große Entscheidungsrunden mit vielen vollen Terminkalendern verhindern schnelle Abstimmungsprozesse. Deswegen sollten alle wichtigen Entscheiderinnen und Entscheider VOR der Personalsuche ihre Erwartungen formulieren und die Suche in weniger, aber kompetente Hände geben. Wer auf Unternehmensseite die Personalsuche verantwortet, sollte sich frühzeitig Slots freihalten für die Abstimmung mit dem Personalberater und für Interviews mit den Kandidatinnen und Kandidatinnen.

3. Neugestalten statt neubesetzen

Eine mangelnde interne Vorbereitung auf die Nachbesetzung einer Führungskraft ist ein grundsätzliches Problem. Beim Anforderungsprofil achten viele Arbeitgeber zu sehr auf die Aufgaben und Arbeitsweise, die die zu ersetzende Personen innehatte, anstatt sich zu fragen: Wohin wollen wir uns als Unternehmen entwickeln, wie soll unsere neue Führungskraft uns dabei unterstützen und welche Persönlichkeit braucht sie dafür? Eine Neueinstellung sollte auch immer als Chance gesehen werden, neue Impulse für die Unternehmensentwicklung zu erhalten!

4. Keine Angst vor Kununu und Co.

Karriere-Webseiten mit übertriebenen Superlativen und Stock-Footage lächelnder Mitdreißiger sprechen niemanden mehr an. Was unternimmt der Arbeitgeber konkret für ein gutes Arbeitsumfeld? Welche Belege gibt es dafür auf den Karriere-Webseiten und auf Social Media? Auch Schwierigkeiten dürfen thematisiert werden, wenn entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen wurden. Potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwarten ehrliche Einblicke, die zu den Bewertungen von Portalen wie Kununu passen.

Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmen Trendence nutzen 73,6 Prozent der Befragten Arbeitgeber-Bewertungsplattformen. 67,8 Prozent bemerken dabei eine Diskrepanz zwischen der Außendarstellung der Unternehmen und den Bewertungen. Rund die Hälfte dieser Gruppe verzichtet in diesen Fällen auf eine Bewerbung.

Arbeitgeber dürfen keine Angst vor Kununu und Co. haben! Sie müssen diese Plattformen als zusätzliche Karriere-Webseiten begreifen und an diesen Stellen Arbeit investieren: negative Kritik kommentieren, zufriedene Mitarbeitende um Bewertungen bitten und die kritischen Stimmen ernst nehmen.

5. LinkedIn und Co. sind weder Facebook noch Massen-Mailings

Die direkte Ansprache von Personen auf LinkedIn und Xing gehört mittlerweile zum Standard vieler Recruiter und HR-Abteilungen. Doch auch wenn der Ton auf Social Media lockerer ist: Beim ersten Kontakt erwarten die angeschriebenen Personen Professionalität, keine Freundschaftsanfrage. Nachrichten dürfen auch auf keinen Fall nach Massen-Mailings klingen. Das weckt kein Interesse bei potenziellen Bewerberinnen und Bewerbern. Wer erfolgreich über LinkedIn und Xing Führungs- und Fachkräfte ansprechen will, muss sich Zeit nehmen, die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten finden und inhaltliche Bezüge herstellen, die über eine passende Jobbezeichnung hinausgehen.

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Die HR-Werkstatt

Immer wieder bringen kleine Probleme die Personalarbeit zum Erliegen oder man weiß einfach nicht, wo anfangen bei neuen Anforderungen. Hier finden Sie alle Beiträge unserer HR-Werkstatt zum Nachlesen. Von Problemen bei der Ausbildung über technische oder Recruiting-Fragen bis hin zu Führungsthemen.

Apropos Jobtitel: Der hat durch Businessnetzwerke an Bedeutung gewonnen und ist zu einem echten Recruiting-Faktor geworden. Auf LinkedIn und Xing tragen wir unseren Jobtitel jederzeit zur Schau. Personen achten daher vermehrt auf die Berufsbezeichnungen und möchten einen passenden wie wertschätzenden Titel.

6. Keine Zeit für Schnäppchenjagd

Aktuell bekommt man fast den Eindruck, Arbeitnehmende wollen nur noch einen weltverbessernden Job, Homeoffice und flexible Arbeitszeiten. Trotz der wachsenden Bedeutung von Benefits gilt: Das Gehalt spielt weiterhin eine wichtige Rolle bei der Jobwahl. Zudem lernen Arbeitnehmende durch die Personallage ihren Wert zusehends besser einzuschätzen und gehen mit mehr Selbstbewusstsein in die Verhandlungen. Unternehmen sollen nicht ihre Gehaltsstrukturen über Bord werfen, aber: Es ist keine Zeit für Schnäppchenjagd.

7. Schlecht beraten dank falscher Berater

Durch den großen Personalmangel greifen immer mehr Unternehmen auf externe Personalberaterinnen und -berater zurück. Sie erhoffen sich davon schnellere Erfolge und einen größeren Kandidatenpool. Das ist grundsätzlich richtig und ein guter Weg. Bei der Wahl des Recruiters sollten Unternehmen jedoch unbedingt auf die Spezialisierung achten. In der Regel haben Personalberaterinnen und -berater einen Fokus auf eine Branche und eine Positionsebene – denn die Netzwerke und die Vorgehensweise unterscheiden sich je nach Branche und Ebene komplett voneinander.

Ein Personalberater mit inhaltlicher Expertise, zum Beispiel durch eigene langjährige Führungserfahrung in der entsprechenden Branche, nimmt zudem die Rolle eines Sparringspartners auf Augenhöhe ein. In dieser zusätzlichen Funktion analysiert er das bisherige Recruiting und die Unternehmenskultur mit einem wertvollen, kritischen Blick von außen.

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