Die Arbeit als Astronautin oder Astronaut ist herausfordernd: Spaziergänge im Weltall, Experimente und Instandhaltungsaufgaben unter Extrembedingungen sowie ständiges Training und Weiterbildungen. Einen Menschen mit körperlicher Behinderung verbindet man deshalb nicht unbedingt mit dem Job im Weltall. Trotzdem möchte die European Space Agency (ESA) erstmals ein Crewmitglied mit Handicap willkommen heißen. „Dieses Unterfangen wirft viele Fragen auf, und auf viele davon haben wir noch keine Antwort“, sagt ESA-Personalleiterin Dagmar Boos. „Doch als die ersten Menschen auf den Mond geschickt wurden, gab es hundertmal mehr Fragen.“
„Sie bringen Kompetenzen mit, von denen ihre Kollegen in der ESA
profitieren können – beispielsweise Resilienz und Durchhaltevermögen.“
Erste Antworten möchten Boos und ihr Team im Rahmen einer Machbarkeitsstudie finden. Dafür können sich Menschen, deren Körperteile unterhalb des Knies in ihrer Funktion eingeschränkt sind, ebenso wie kleine Menschen mit einer Größe unter 1,30 Metern und Personen mit unterschiedlich langen Beinen auf die Position eines „Parastronauten“ bewerben. Damit diese in die Astronauten-Gruppe integriert werden können, plant die ESA-Personalabteilung, mit Experten, Interessengruppen und bestehenden Partnern zusammenzuarbeiten. Boos geht davon aus, dass Prozesse, technische Geräte und medizinische Forschungen angepasst werden müssen. Dazu sei die ESA bereit: „Der zukünftige Nutzen ist größer als der Aufwand.“
Denn: „Menschen mit Behinderung müssen außergewöhnliche Herausforderungen meistern, um im Leben erfolgreich zu sein“, so Boos. „Dadurch bringen sie Kompetenzen mit, von denen ihre Kollegen in der ESA profitieren können – beispielsweise Resilienz und Durchhaltevermögen.“
Diversität als Erfolgsfaktor
Neben einem Menschen mit körperlicher Behinderung sucht die ESA beim aktuellen Recruiting nach Personen, die sich in Alter, Herkunft, beruflicher Hintergrunderfahrung und im Geschlecht unterscheiden. Damit soll die Unternehmensidentität als Ort der Integration und Diversität weiter gestärkt werden. Das ergibt sich auch daraus, dass die ESA mit 22 Mitgliedstaaten eine internationale Raumfahrt-Organisation ist. „Wir profitieren von der Arbeit in diversen Teams“, so Boos. Dies sei in Bezug auf die Produktivität, das tägliche Miteinander und den Austausch der Kulturen zu spüren. Schon heute sorgt etwa ESA-Astronautin Samantha Christoforetti dafür, dass die Frauenquote innerhalb der Organisation größer geworden ist. Für sie ist mit der Arbeit als Astronautin ein Traum wahrgeworden: „Mein Job vereint viele meiner Leidenschaften – wozu auch die Arbeit in internationalen Teams gehört“, sagt Christoforetti.
Allerdings ist es in Sachen Diversity – das zeigt auch die Personalwirtschaft-Titelstrecke 3/2021 – ein weiter Weg von der Theorie zur Praxis. „Wenn verschiedene kulturelle Ansichten aufeinanderprallen oder unbewusst Vorurteile im Spiel sind, stellt dies natürlich eine Herausforderung dar“, weiß Boos. Die Lösung der ESA: Spezielle Trainings, zweckbestimmte Kommunikation und Transparenz. Zudem gibt es Programme, die bestimmte Mitarbeitergruppen fördern. Dies könne, so Boos, auch für andere Unternehmen ein möglicher Ansatz sein, um die Diversität ihrer Teams zu stärken und von den besonderen Kompetenzen der unterschiedlichsten Menschen zu profitieren. Die ESA jedenfalls möchte nach der Machbarkeitsstudie noch mehr Personen mit ganz unterschiedlichen Profilen in ihren Astronautenkreis rekrutieren.