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Inklusion: So integriert Dr. Ausbüttel Menschen mit Behinderung im Unternehmen

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Bianca Dettmar, Geschäftsführerin (COO) beim Medizinproduktehersteller Dr. Ausbüttel
Bianca Dettmar, Geschäftsführerin (COO) beim Medizinproduktehersteller Dr. Ausbüttel (Foto: Dr. Ausbüttel)

Bei ihren Diversitätsbemühungen fokussieren sich
Unternehmen meist auf Frauen und 
Menschen mit Migrationshintergrund. Arbeitgebern fällt es dagegen meist
noch schwer, Menschen mit Behinderung in das Betriebsleben zu integrieren. Zu
groß seien die bürokratischen
Hürden
sowie der Mangel an Berührungspunkten und Wissen über die jeweiligen
Beeinträchtigungen. Bianca Dettmar, Geschäftsführerin (COO) beim Medizinproduktehersteller
Dr. Ausbüttel, sieht das nicht so. Denn Inklusion sei mehr eine Einstellungssache
als alles andere und funktioniere sehr gut, wenn man es nur will. In ihrem
Unternehmen sind Menschen mit Behinderung schon seit Jahren ein nicht mehr
wegzudenkender Teil der Belegschaft.

„Uns ist es als Unternehmen sehr wichtig, allen Menschen
Chancen zu geben“, sagt Dettmar. „Wirtschaftliches Handeln schließt sozial
verantwortliches Agieren nicht aus.“ Die Inklusion bei dem Medizinproduktehersteller
habe mit der Zusammenarbeit mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung
begonnen. Dort ließ und lässt das Unternehmen Waren konfektionieren. Nach
einiger Zeit sei sowohl der Wunsch vonseiten der Werkstätten aber auch der Dr.
Ausbüttel-Geschäftsführung entstanden, den Menschen mit Behinderungen Praktika im
Betrieb anzubieten, erzählt Luis Mendes, Abteilungsleiter im Bereich Supply
Chain.

Learning-by-doing

„Wir haben dann damit begonnen, Menschen mit Behinderung direkt
bei uns zu beschäftigen“, sagt Mendes. Arbeitsplätze mit einfachen und sich
wiederholenden Aufgaben wurden identifiziert und Mendes arbeitete selbst ein
paar Tage in den Werkstätten, um zu sehen, was die Menschen dort leisten
können. Vor Ort fragte er an einem externen Arbeitsplatz Interessierte, was sie
benötigen, um mit der Arbeit bei ihm und seinem Team anzufangen. „An die
Behörden haben wir uns zunächst nicht gewandt – auch nicht für eine finanzielle
Unterstützung“, sagt Mendes. „Das hätte zu lange gedauert.“ Mit einem Betreuer
aus der Werkstätte hat das Unternehmen allerdings von Beginn der Inklusion an
zusammengearbeitet.

Luis Mendes, Abteilungsleiter im Bereich Supply Chain bei Dr. Ausbüttel
Luis Mendes, Abteilungsleiter im Bereich Supply Chain bei Dr. Ausbüttel (Foto: Dr. Ausbüttel)

Während die Menschen mit Behinderung bereits im Betrieb
arbeiteten, passte das Unternehmen die Ausstattung, Prozesse und räumlichen
Gegebenheiten Stück für Stück an. Dabei sei es von Vorteil gewesen, dass das
Unternehmen wirtschaftlich erfolgreicher wurde und durch die Expansion sowieso
Veränderung vornehmen musste. So wurden Rollstuhlrampen gebaut, Türen
verbreitert und Behindertentoiletten errichtet. Für einen halbseitig gelähmten
Mitarbeiter entwickelte Dr. Ausbüttel gemeinsam mit einem anderen Unternehmen
Kartonagen, die sich mit einer Hand aufbauen und schließen lassen. Den Scanner
schnallt sich der Mitarbeiter einfach an die Hand, damit er ihn nicht
festhalten muss. Das hatte neben der Inklusion einen netten Nebeneffekt: „Wir
haben unsere Abläufe und Ausrüstung neu betrachtet und Prozesse, einfacher,
schneller und damit effizienter gemacht“, sagt Mendes.

Über die jeweilige Behinderung informieren

Allerdings sei zu Beginn der Inklusion eines vernachlässigt
worden: sich Wissen über die jeweiligen Behinderungen anzueignen. „Wenn sie
ihre Medikamente nicht einnehmen, können manche Menschen mit Behinderung in
bestimmten Situationen aggressiv werden“, so der Abteilungsleiter Supply Chain.
„Je nach Art der Behinderung können sie auch sehr emotional werden. Wenn wir
das wissen, können wir anders damit umgehen oder vermeiden, dass es zu solchen
Situationen kommt.“ Das Verständnis für den Menschen mit Behinderung sei eine
der wichtigsten Elemente der Inklusion. „Wir scheuen uns vor keiner Art der
Beeinträchtigung, wenn wir informiert sind“, sagt Mendes.

Um den Gegenüber zu verstehen, muss man Zeit aufwenden. Beim
Medizinproduktehersteller finde das zum einen im Alltag statt, wie Ralf Hensiek
berichtet. Hensiek ist linksseitig spastisch gelähmt und verpackt seit 2009
Produkte im Unternehmen. „Alles wurde mir in Ruhe erklärt und gezeigt. Meine
Kolleginnen und Kollegen behandeln mich hier wie jeden anderen und helfen mir
weiter, wenn ich mal wieder Probleme am Computer habe“, sagt Hensiek.  Zum anderen finden Fußballturniere, Grillfeste
und Kennlern-Workshops mit den Mitarbeitenden und Werkstätten-Mitgliedern statt,
erzählt Dettmar. Bei Letzterem verbringen Menschen mit Behinderung mehrere
Stunden mit der Geschäftsführung, unterhalten sich, malen zusammen und lernen
sich bei Ballspielen kennen. „Der direkte Austausch schafft eine emotionale
Bindung“, sagt Dettmar.

Dabei würden die Mitarbeitenden ohne Behinderung merken,
dass ihre Kolleginnen und Kollegen mit Einschränkungen – oder wie Dettmar sie
nennt „Menschen mit besonderen Begabungen“ – nicht zerbrechlich sind. „Menschen
mit Behinderung sind sehr direkt und kritisieren einen auch ziemlich offen“,
sagt Mendes. „Das hat den Mitarbeitenden ohne Behinderung die Berührungsängste
genommen.“ Menschen mit Behinderung einzustellen habe sich auch positiv auf die
Unternehmenskultur ausgewirkt. Man schaue genauer hin, wer was braucht, um
seine Arbeit gut machen zu können, die Mitarbeitenden würden sich mehr helfen
und könnten generell besser Probleme lösen.

Obwohl auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der
Mitarbeitenden eingegangen werde, würden für alle dieselben Regeln gelten: 100
Prozent zu geben, pünktlich und ehrlich zu sein. “ Das verstehen wir als eine
Begegnung auf Augenhöhe. Wir scheuen hier keine Auseinandersetzung und machen
keine Ausnahme für Menschen mit Behinderung“, sagt Dettmar.

Scheu vor direkter Anstellung

Die Menschen mit Behinderung arbeiten zwar im Betrieb , sind
beim Unternehmen aber über die Werkstätte in Form eines ausgelagerten
Arbeitsplatzes angemeldet – eine Tatsache, die unter anderem von EU-Parlamentarierin
Katrin Langensiepen (Die Grünen) kritisiert
wird
. Trotzdem würden die Mitarbeitenden mit Behinderung bei Dr. Ausbüttel
dasselbe Gehalt erhalten wie alle anderen Mitarbeitenden- auch, manchmal etwas
mehr, weil zehn bis zwanzig Prozent an die Werkstätte für Verwaltungsgebühren abgegeben
würden. „Wir würden einige der Menschen mit Behinderung gerne fest bei uns
anstellen, doch sie wollen das nicht“, sagt Mendes. „Sie haben Angst, dass ihnen
die Arbeit in einem Wirtschaftsunternehmen zu viel wird und sie nicht mehr in
die Werkstätten zurück können. Für ihre Rente und eine finanzielle
Unterstützung ist ihnen das zu heikel.“ Mendes und Dettmar hoffen, dass diese
Sorge bald der Vergangenheit angehört. Für ihr Unternehmen stehe allerdings
fest: Ohne Menschen mit Behinderung geht es nicht mehr.

Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.