Personalwirtschaft: Frau Professor Lluent, herzlichen Glückwunsch zur neuen Position. Welche Schwerpunkte innerhalb des Diversity-Spektrums möchten Sie für Ihre Forschung setzen?
Prof. Tatiana Lluent: Mein Fokus liegt auf der Geschlechter-Diversität in Organisationen. Ich möchte die Mechanismen untersuchen, die zu geschlechtsspezifischen Unterschieden hinsichtlich beruflichem Aufstieg, dem Gehalt und unternehmerischer Aktivitäten führen. In meiner Forschung habe ich mich bisher auf den geschlechtsspezifischen Aspekt der Vielfalt konzentriert, aber nun in meinen Vorlesungen versuche ich, so viele Aspekte von Diversity wie möglich zu integrieren.
Was für einen Eindruck haben Sie bisher von der Situation in Deutschland? Wie steht es um die Gleichberechtigung der Geschlechter in deutschen Unternehmen?
Bisher bin ich noch keine Expertin für Diversity in Deutschland. Mein Erster Eindruck ist aber, dass generell Menschen mehr an dem Thema Diversität interessiert sind als früher. Sie sehen und erleben durch die Globalisierung, dass darüber auch in anderen Ländern diskutiert wird. Dadurch wird Diversity auch in lokalen Niederlassungen in Deutschland relevant. Zudem fordern Mitarbeitenden und die Öffentlichkeit immer mehr Diversity-Maßnahmen. Das nehmen die Unternehmen wahr und ihnen ist in den meisten Fällen bewusst, dass sie etwas tun müssen.
Wie ist die Lage in Frankreich, Ihrem Heimatland, in dem Sie einen Großteil Ihrer bisherigen Forschung betrieben haben?
Was Frankreich betrifft, weiß ich, dass der Stand der Gleichstellung der Geschlechter oft an historische und kulturelle Gegebenheiten geknüpft ist. Bis ich diese Dinge für Deutschland erforscht habe, wird es etwas dauern. Aber ich freue mich darauf.
Wie wollen Sie hier vorgehen?
Meine Forschung fokussiert sich darauf, Mechanismen in Organisationen zu untersuchen, die hinter der Ungleichheit stecken. Dabei möchte ich strukturelle und kulturelle Probleme sowie Phänomene offenbaren, die einer Gleichberechtigung im Weg stehen und zu einem Diversitätsmangel in Organisationen führen. Das soll zum einen durch die Sammlung und Untersuchung von Daten geschehen, aber auch durch Gespräche mit Diversity-Interessierten der Volkswagen-Gruppe, die den Lehrstuhl sponsert.
Ich möchte verstehen, welche Maßnahmen zur Vielfaltsförderung funktionieren und welche nicht.
Planen Sie auch mit anderen Unternehmen zusammenzuarbeiten?
Ja, abgesehen von der Volkswagen-Gruppe bin ich natürlich auch daran interessiert, mit anderen Unternehmen zu kollaborieren und Diversity-Experimente durchzuführen, um zu verstehen, welche Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt funktionieren und welche nicht.
Wie können diese Experimente aussehen?
In einem Projekt, an dem ich gerade arbeite, geht es um das Design von Büroräumen. Dabei interessiert mich, ob das Aufbrechen von Abteilungssilos bei der Sitzordnung dazu beitragen könnte, die Karriere von Frauen zu fördern. Dafür nutze ich Daten aus einem Unternehmen, in dem die Sitzordnung nach einem Büroumzug experimentell verändert wurde. Vor dem Umzug saßen alle Mitarbeitenden neben Kolleginnen und Kollegen aus der eigenen Abteilung. Nach dem Umzug saßen die Mitarbeitenden viel häufiger neben Kolleginnen und Kollegen aus anderen Abteilungen. Ich vergleiche dabei die Art der Verbindungen, die Frauen und Männer vor und nach dem Umzug eingehen. Anhand von Umfrage- und E-Mail-Daten zeige ich, dass Frauen die neue Sitzordnung besser nutzen, um vielfältigere Beziehungen aufzubauen. Das ist sehr interessant, da in der Fachliteratur nachgewiesen wurde, dass vielfältigere Netzwerke zu besseren Karriereergebnissen führen.
Das klingt spannend. Haben Sie noch ein weiteres Beispiel?
Experimente bei der Kommunikation sind auch vorstellbar. In Stellenanzeigen oder Rundmails können in einem Fall genderneutrale Worte verwendet werden, ein anderes Mal wird bei der alten – meist am männlichen Geschlecht orientierten – Wortwahl geblieben.
Die Experimente ermöglichen es Ihnen auch, an Diversity-Daten zu gelangen – etwas, das von vielen Diversity-Expertinnen und -Experten aufgrund des Datenschutzes immer wieder als schwierig angesehen wird. Denn viele Diversity-Merkmale sind höchst sensible Daten.
Das stimmt. Trotzdem gibt es Wege, um zumindest an einen Teil der Daten zu gelangen. In meinem Bereich der Genderforschung habe ich hier etwas mehr Glück als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich beispielsweise mit dem Vielfaltsaspekt der ethnischen Herkunft beschäftigen. In Frankreich konnte ich mir für meine Forschung Zugang zu Informationen zum Alter, Geschlecht, Einkommen und Beruf der Mitarbeitenden aller Unternehmen, die in diesem Land ansässig sind, verschaffen. Diese Daten werden von den Sozialbehörden gesammelt und unter anderem auch dem dortigen Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellt.
Um Zugang zu diesen Daten zu erhalten, musste ich durch einen recht aufwendigen Prozess gehen.
Und die Behörden haben Sie die Daten einfach so anschauen lassen?
Nein. Um Zugang zu diesen Daten zu erhalten, musste ich durch einen recht aufwendigen Prozess gehen und ich bin strikten Regeln unterlegen, die sagen, was von den Daten ich preisgeben darf und was nicht. Für mich waren diese Daten essenziell, um meiner Forschung über die Auswirkung ausländischer Akquisitionen auf die Gleichstellung der Geschlechter in akquirierten Unternehmen in Frankreich nachzugehen. Dabei habe ich untersucht, ob die Kultur des Herkunftslandes des Übernehmers einen Einfluss auf die Gleichstellung der Geschlechter in dem akquirierten französischen Unternehmen hat.
Arbeiten Sie ausschließlich quantitativ?
Jein, ich forsche vorrangig mit quantitativen Methoden. Doch qualitative Interviews helfen hier als Vorbereitung. Nur so findet man heraus, welche Faktoren eine Rolle spielen, worauf man seinen Fokus für eine quantitative Umfrage legt und wo man nach Daten suchen sollte. Gespräche mit Führungskräften und dem Vorstand helfen hier beispielsweise sehr. Deshalb soll der Lehrstuhl auch eine Austauschplattform für Führungskräfte ins Leben rufen.
Wenn es nach Ihnen ginge, was sollte HR und das Topmanagement mit Ergebnissen aus der Diversity-Forschung tun? Wie können diese Erkenntnisse den Arbeitsalltag positiv verändern?
Zum einen würde es uns natürlich freuen, wenn HR und Führungskräfte sich über unsere Forschungsergebnisse informieren. Auf der ESMT-Webseite erklären wir unsere Forschungsergebnisse und übersetzen sie für Führungskräfte und eine größere Zielgruppe. Auch Artikel, die beispielsweise in Fachmagazinen erscheinen, können Personalerinnen und Personalern als Inspiration dienen. Trotzdem würde ich HR raten, die Ergebnisse nicht als generelle Tatsachen zu sehen, sondern immer in ihrem Kontext.
Was meinen Sie damit?
Sie sollten überlegen, wie sehr der jeweilige Forschungskontext mit der eigenen Situation im Unternehmen übereinstimmt. Dann besteht natürlich auch die Möglichkeit, mit Wissenschaftlern wie mir zusammenzuarbeiten, und an einem Forschungsprojekt teilzunehmen. Durch Kollaborationen zwischen Expertinnen und Wissenschaftlern kann sehr viel gelernt und erreicht werden. Davon profitieren beide Seiten.
Zur Person: Tatiana Lluent promovierte Betriebswirtschaftslehre an der Fuqua School of Business der Duke University (North Carolina, USA). Ihren Bachelor- und Master absolvierte sie an der ESSEC Business School in Frankreich.
Lena Onderka ist redaktionell verantwortlich für den Bereich Employee Experience & Retention – wozu zum Beispiel auch die Themen BGM und Mitarbeiterbefragung gehören. Auch Themen aus den Bereichen Recruiting, Employer Branding und Diversity betreut sie. Zudem ist sie redaktionelle Ansprechpartnerin für den Deutschen Human Resources Summit.