Thomas Geppert, seines Zeichens Landesgeschäftsführer der DEHOGA Bayern, schäumt. „Unanständig“ und „unverschämt“ sei das, was die Deutsche Bahn (DB) derzeit mache. Stein des Anstoßes: Die DB und die S-Bahn München sprechen mit einer Recruiting-Kampagne gezielt Mitarbeitende aus der Gastronomie an. So ist in einem Werbemotiv zu lesen: „Früher in der Gastro tätig, heute Lokführer“. Damit werbe man um Mitarbeitende in Hotellerie und Gastronomie, damit diese zur Bahn wechseln.
Thomas Geppert schreibt dazu auf Linkedin: „Deutsche Bahn und S-Bahn München wollen sich auf Kosten unseres Gastgewerbes einen Vorteil verschaffen. Ein hochdefizitärer, wesentlich aus Steuermitteln finanzierter Staatsbetrieb darf so nicht in der Öffentlichkeit agieren“, kritisiert der DEHOGA-Funktionär. Lieber solle die Bahn am eigenen Image arbeiten, fordert er, und spielt damit offenbar auf die ausbaufähige Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Fortschrittlichkeit des Konzerns an.
Die Reaktionen auf Gepperts Post sind gemischt. „Soll doch die Gastro lieber mit eigenen Vorzügen auftrumpfen und sich mal beim werblichen Lokalmatadoren SIXT was abschauen“, rät etwa Peter Bierwirth, als Gründer der nach ihm benannten Hotel und Management GmbH ironischerweise ein Vertreter des Gastrogewerbes.
Ins gleiche Horn wie Geppert stößt hingegen die CDU-Bundestagsabgeordnete Anja Karliczek, tourismuspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: „Die Gastronomie indirekt schlecht reden und dann gezielt per Werbekampagne um Mitarbeiter in dieser Branche werben, sorry, das geht nicht. Gastronomie und Bahn leisten beide einen ganz wichtigen Beitrag zum Tourismusstandort Deutschland“, schreibt die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung.
Bei einem Linkedin-Post belässt es die DEHOGA Bayern übrigens nicht. In einem Rundschreiben an seine Mitglieder fordert der Verband die Einstellung der Kampagne. „Bitte seien Sie versichert, dass wir derzeit auf allen Ebenen und Kanälen alles versuchen, damit diese Kampagne nicht weitergeführt wird,“ heißt es in einer E-Mail.
Verkehrsbetriebe suchen vermehrt Quereinsteiger
Dass Unternehmen in scheinbar fremden Branchen nach neuen Mitarbeitenden suchen, ist indes keine Seltenheit. Speziell Verkehrsbetriebe sind hier offenbar aktiv: Auch die S-Bahn in Hamburg wirbt mit ehemaligen Mitarbeitern aus dem Gastgewerbe um Interessierte aus der gleichen Branche. So stellt das Unternehmen auf seiner Website seinen Mitarbeiter Christian Heesch vor, der 20 Jahre in der Gastronomie gearbeitet hat.
Heute steuert Heesch als Lokführer Züge kreuz und quer durch Hamburg und ist damit offenbar mehr als zufrieden. „Die ersten ein, zwei Monate in der Ausbildung sind hart, aber ab dann macht´s nur noch Spaß“, wird er zitiert.
Relativ unverhohlen ködert der Verkehrsbetrieb Bewerbende aus der Gastrobranche mit guten Gehältern, geregelten Arbeitszeiten und einer verlässlichen Schichtplanung – anders als im Gastgewerbe, um deren Mitarbeitende man wirbt. Sogar die Möglichkeit, Plätze in der HSV-Loge und anderen Sportevents zu gewinnen, gibt es: Regelmäßig verlost das Unternehmen entsprechende Karten unter seinen Mitarbeitenden.
Gastrogewerbe will mit „weichen“ Faktoren punkten
Während DB & Co. mit geregelten Arbeitszeiten und einem guten Gehalt um Mitarbeitende werben, setzt die DEHOGA übrigens eher auf die Abenteuerlust der zu Rekrutierenden. „Die Hotellerie und Gastronomie ist eine Branche, die grenzenlose Möglichkeiten bietet. Wer zum professionellen Gastgeber ausgebildet wurde, engagiert und leistungsbereit ist, dem stehen alle Türen offen, mit einer weltweiten Jobgarantie. Jederzeit wird er eine seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Anstellung finden“, heißt es auf der DEHOGA-Bayern-Website.
Immerhin hat man auch im Gastrogewerbe die Zeichen der Zeit erkannt und lockt ebenfalls mit – allerdings eher „weichen“ – Vorteilen für Bewerbende: „Ausbildungen der Gastronomie, Hotellerie und Küche wurden modernisiert und neu strukturiert. Digitales, Nachhaltigkeit und Teamwork spielen Hauptrollen. Alle Ausbildungsinhalte standen auf dem Prüfstand der Branchenexperten und wurden an veränderte Anforderungen angepasst“ schreibt der Verband über seine 2022 modernisierte Rekrutierungs-Strategie von Nachwuchskräften.
Der Kuchen wird kleiner
Generell setzen immer mehr Unternehmen bei der Rekrutierung neuer Mitarbeitender auf Quereinsteiger. Kein Wunder: Laut Statistischem Bundesamt schrumpft die Kernarbeitsgruppe der 25-60-jährige allein bis 2025 in Deutschland um 1,1 Millionen Menschen. In der Praxis fällt es vor allem dem Mittelstand immer noch schwer, branchenfremde Fachkräfte gezielt zu umwerben.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass deutsche Arbeitgeber sich zunehmend offen für Quereinsteiger zeigen. Laut einer aktuellen Studie der Employer-Branding-Beratung Index für das Handelsblatt schalteten 2022 mehr als 600.000 Unternehmen rund 25 Millionen Stellenanzeigen in Deutschland. Laut Studie war jeder zehnte Job davon ausdrücklich für fach- oder branchenfremde Bewerberinnen und Bewerber geeignet. Für die Studie wurden rund 270 Printmedien, mehr als 400 Online-Stellenbörsen und 650.000 Firmenwebsites sowie das Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet.
In den entsprechenden Stellenanzeigen fanden sich Formulierungen wie „gerne Quereinsteiger“ oder „Quereinsteiger willkommen“. Damit habe sich das Stellenangebot speziell für Umsteiger im Vergleich zu 2020 vervierfacht, so die Studie. Die besten Chancen haben Quereinsteiger übrigens im Vertrieb, im Handwerk sowie in Transport und Logistik. Ironischerweise sucht laut der wIndex-Studie auch das Gastrogewerbe nach branchenfremden Kräften: Von rund 240.000 im Jahr 2022 ausgeschriebenen Stellen richteten sich knapp 105.000 ausdrücklich auch an Quereinsteiger.
Ansprache von Quereinsteigern will gelernt sein
Doch wie spricht man potenziell wechselwillige Branchen-Hopper am besten an? Die Verantwortlichen der Personalberatung Heico sind nach eigenem Bekunden „Fans von Quereinsteigern, von Menschen mit Cross Business Experience“ und raten Unternehmen, die Quereinsteiger für sich gewinnen wollen dazu, offen zu sein für Neues.
„Natürlich ist es nicht immer leicht, branchenfremde Kandidaten einzuordnen. Noch schwerer ist es, mögliche Kandidaten zu identifizieren und anzusprechen. Es erfordert ein anderes Mindset, ein neues Onboarding und die Entwicklung einer Firmenkultur, die die Integration von branchenfremden neuen Mitarbeitern überhaupt ermöglicht“, rät Heico. Und das dürfe alles auch keine Jahre dauern.
Branchenfremde Erfahrungen einer Berufslaufbahn würden helfen, einen qualifizierten „Blick über den Tellerrand“ zu werfen. Neue Mitarbeitende mit Cross-Business-Experience bereicherten Unternehmen, helfen den Personalbedarf zu decken und bringen „mit Sicherheit neue Horizonte“. Dazu passt auch, was der Video-Recruiting-Spezialist Viasto schreibt: „Quereinsteiger sind keine B-Kandidaten, sondern die Talente von morgen. Warum? Weil sie bereits bewiesen haben, dass sie sich aktiv an neue Herausforderungen heranwagen und aus ihrer Comfort Zone herausgehen können.“ Ein Quereinstieg sei keine Flucht, sondern Ausdruck von Veränderungsbereitschaft und Motivation. Viasto hat vier Punkte ausgemacht, die für die Rekrutierung von branchenfremden Mitarbeitenden sprechen:
- Der Wunsch, den steinigen Weg eines Quereinstiegs zu gehen, ist oftmals Ausdruck einer starken intrinsischen Motivation und der Bereitschaft, die berühmte Extra-Meile zu gehen.
- Das Team wird durch Quereinsteiger heterogener und fördert so eine vielfältige Belegschaft im Sinne eines ausgewogenen Diversity Managements.
- Zudem ergänzen fachfremde Kompetenzen die bestehenden Fähigkeiten des Teams und können durch die dazugewonnene Perspektive für neue Ideen und Impulse sorgen. Dadurch werden festgefahrene Denkmuster effektiv hinterfragt und die Innovationskraft erhöht.
- Quereinsteiger sind oft froh über die ermöglichte Chance ihre Wünsche zu verwirklichen. Das führt im besten Fall zu erhöhter Zufriedenheit, gestiegener Motivation und geringerer Fluktuation.
(Quelle: Viasto)
In einer Studie mit über 1000 Bewerbern hat das Marktforschungsunternehmen respondi im Auftrag von Viasto übrigens herausgefunden, dass ganze 75 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und -nehmer grundsätzlich daran interessiert sind, einen Jobwechsel in ein neues Berufsfeld vorzunehmen. Der mit 60 Prozent meistgenannte Grund für den Wechselgedanken: „Veränderung gehört halt dazu.“ Wenn drei von vier Mitarbeitenden sich einen beruflichen Wechsel vorstellen können, ist das Recruiting-Potenzial offenbar enorm – und zwar für alle Branchen, die händeringend nach Fachkräften suchen.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.

