Gender Pay Gap, partizipative Vergütungssysteme oder Langzeitkonten zur Vorbereitung auf den Vorruhestand – beim 8. Praxisforum Total Rewards wurden wieder einige dicke thematische Bretter gebohrt. Das Thema Inflation ist allerdings in diesem Jahr zur Erleichterung aller in den Hintergrund gerückt. „Das Problem ist glücklicherweise inzwischen nicht mehr so akut“, stellte Personalwirtschaft-Herausgeber Erwin Stickling in seiner Begrüßung fest. Trotzdem spiele die volatile wirtschaftliche Lage nach wie vor eine Rolle bei der Entgeltplanung deutscher Unternehmen.
Was dies für die Praxis bedeutet und welche Themen Unternehmen – und HR – in Sachen Vergütung noch unter den Nägeln brennen, zeigten die Expertinnen und Experten an diesem Tag anhand von Fallbeispielen, cleveren Lösungen und Tipps, wie Unternehmen ihre Entgeltplanung krisenfest, rechtssicher und innovativ gestalten können. Zwischendurch gab es zudem Zeit, sich auszutauschen oder bei den Referentinnen und Referenten tiefergehende Fragen zu stellen.
Jedes Unternehmen kann Equal Salary
In seiner Eröffnungskeynote gab Jannis Tsalikis einen Einblick in die Herausforderungen und Erfolge auf dem Weg zu einem Equal-Salary-zertifizierten Unternehmen. „Dabei sollte Gehaltsgerechtigkeit eigentlich kein Thema mehr sein, oder?“, fragte der HR-Director von Lautsprecher Teufel eingangs leicht provokant und nahm das Fachpublikum mit auf eine Reise durch die wenig rühmliche Geschichte der ungleichen Vergütung in der Bundesrepublik. Wie es besser geht, zeigte er am Beispiel seines – inzwischen zertifizierten – Arbeitgebers, und erklärte, wie es jedem Unternehmen gelingen kann, Mechanismen zu etablieren, zu pflegen und zu kontrollieren, um Lohngerechtigkeit zu gewährleisten.
Sein Rat: „Sie müssen kontinuierlich am Ball bleiben und im Prozess immer wieder prüfen, wo Sie stehen.“ Letztlich, das bekräftigte Tsalikis, zahle eine Equal-Salary-Lizenzierung auch auf das Employer Branding ein. „Wir bekommen tatsächlich von Bewerbenden positive Rückmeldungen dazu.“ Auch aus der Teufel-Belegschaft gebe es eine wohlwollende Resonanz.
Vergütungssysteme aus der Mitte der Organisation
Wie sich Vergütungssysteme partizipativ transparent gestalten lassen, zeigten anschließend die beiden Autorinnen Stefanie Hornung und Nadine Nobile. Am Beispiel einer IT-Beratung skizzierten die beiden Referentinnen, wie sich das von ihnen entwickelte „New-Pay“-Konzept implementieren lässt, welche Herausforderungen es gibt und welchen Mehrwert das Unternehmen und seine Mitarbeitenden gleichermaßen haben.

Eines der Kernelemente des New-Pay-Konzeptes: „Man muss die Mitarbeitenden in den Prozess mit einbeziehen“, unterstrich Stefanie Hornung. Ein wichtiges Element bei der Implementierung eines entsprechenden Vergütungssystems sind nach Einschätzung der beiden Referentinnen daher regelmäßige Feedbackschleifen zwischen Geschäftsführung und Belegschaft.
Entscheidend sei auch eine ganzheitliche Betrachtung von Vergütung und Gesamtorganisation, bekräftigte Nadine Nobile. Zudem müsse es gelingen, bei allen Beteiligten – Führungskräften und Mitarbeitenden gleichermaßen – „ein vertieftes Verständnis für Vergütungsthemen“ zu entwickeln. Nur so lasse sich eine Teilhabe an der Gestaltung des Themas Gehalt langfristig durchsetzen.
Attraktive Vergütung und flexible Arbeitszeit
Was attraktive Vergütungssysteme mit flexiblen Arbeitszeitmodellen zu tun haben, erklärte im Anschluss Karsten Bich, Mitglied der Geschäftsleitung DIN HR & Transformation beim Deutschen Institut für Normung (DIN), gemeinsam mit Dr. Alexander Insam, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Görg. Anhand des sogenannten „MaxiFlex@DIN2024“-Systems von DIN zeigten sie, wie sich lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle und das Thema Vergütung miteinander verbinden lassen. Das Ziel: als attraktiver Arbeitgeber zu punkten und der vorhandenen Belegschaft eine größtmögliche Flexibilität zu ermöglichen.
Konkret erlaubt das „Lebensphasen-Arbeitszeit-Modell“ MaxiFlex den Mitarbeitenden, regelmäßig zwischen 35 bis 42 Wochenstunden Arbeitszeit zu wählen. Gleichzeitig ist es möglich, an nur vier Tagen pro Woche die Gesamtzahl von 35 Stunden „abzuarbeiten“. Zudem ist DIN aus dem Tarifvertrag ausgestiegen und bietet sechs Gehaltsbänder an, von denen die ersten vier Stufen inzwischen einen Bonus auf Basis des Unternehmensziels beinhalten, während die obersten beiden Stufen zehn beziehungsweise 15 Prozent variable Vergütung vorsehen. „Wichtig ist uns, dass jeder Mitarbeiter die Wahl hat, ob er das MaxiFlex-Modell nutzen will oder lieber in der alten Struktur verbleibt“, unterstrich Karsten Bich. Wobei man darauf setze, Betriebsrat und Mitarbeitende davon zu überzeugen, dass das neue System nur Vorteile bietet: Finanziell schlechter gestellt sei nämlich trotz Tarifausstieg niemand.
Dass diese Wahlmöglichkeit für DIN auch mit einer hohen Komplexität verbunden ist, erklärte anschließend Arbeitsrechtler Alexander Insam. So müssten Dutzende von Betriebsvereinbarungen rechtssicher in das neue System überführt werden. „Wir führen sowohl mit dem Betriebsrat als auch mit der Geschäftsführung Workshops durch, um alle Beteiligten umfassend zu informieren“, erklärte Insam.
Wie man das finanzielle Wohlbefinden verbessert
Dass das Thema Geld für viele Mitarbeitende auch mit Sorgen verbunden ist, zeigten Hrvoje Klobucar, Personalleiter der Supreme Sports Hospitality Frankfurt, und Kurt Beckers, Geschäftsführer von HR Improvement. „Zwei von drei Mitarbeitenden überziehen regelmäßig ihr Konto“, erläuterte Kurt Beckers. Entsprechende finanzielle Sorgen drückten auf die Stimmung und sorgten für Stress und einen erhöhten Krankenstand. Um Abhilfe zu schaffen, bietet HR Improvement eine Softwarelösung an, die es den Mitarbeitenden ermöglicht, ihr Gehalt abzurufen, wenn sie es brauchen – und nicht erst am Monatsende.
Wie die Supreme Sports Hospitality die Lösung nutzt, erklärte Hrvoje Klobucar. Die Besonderheit: Während sein Unternehmen mit rund 50 eher wenige Festangestellte hat, ist die Zahl der Minijobber umso größer. Das Unternehmen zeichnet nämlich unter anderem für das Catering in den großen Fußballstadien in Frankfurt, Bremen und Lissabon verantwortlich und hat an Spieltagen bis zu 1.200 Mitarbeitende im Einsatz. Gerade für sie bietet die flexible Gehaltszahlung viele Vorteile, glaubt Klobucar. „Jeder Mitarbeiter hat eine App, mit der er sich seinen Lohn flexibel auszahlen lassen kann. Die Akzeptanz liegt bei nahezu 100 Prozent“, bekräftigte er.
Letztlich, unterstrich der Supreme-Sports-Personalleiter, profitieren sowohl Unternehmen als auch Mitarbeitende vom verbesserten finanziellen Wohlbefinden: „Mehr Motivation, mehr Loyalität, mehr Engagement, mehr Produktivität, weniger Fluktuation, weniger Fehltage, weniger Administration, weniger Recruitingkosten“, zählte er die Vorteile auf.
Mehr Transparenz für das Gehalt
Kurz vor der Mittagspause stand für die Besucherinnen und Besucher des Praxisforums noch ein auf den ersten Blick „trockenes“ Thema auf der Agenda: Lisa Bourcarde, Managerin bei Deloitte Consulting, Klaus Heeke, Rechtsanwalt und Partner bei Deloitte Legal, und Moderator Peter Devlin, Partner und Leiter des Fachbereichs Benefits & Compensation bei Deloitte Consulting, stellten die Entgelttransparenzrichtlinie der Europäischen Union vor und gaben einen Überblick darüber, wie Unternehmen sich auf die neuen Anforderungen und Fragestellungen vorbereiten können, einschließlich der Risiken und Chancen, die sich aus der Gesetzgebung ergeben.
Durch die Richtlinie soll Lohndiskriminierung bekämpft und das geschlechtsspezifische Lohngefälle abgebaut werden. Unternehmen werden durch sie dazu verpflichtet, ihre geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede zu messen und zu veröffentlichen. „Unternehmen sollten die Herausforderungen der Richtlinie als Möglichkeit begreifen, um eine faire Vergütungskultur innerhalb der Organisation zu etablieren“, appellierte Klaus Heeke.
Mit Langzeitkonten in den Vorruhestand
Wie der Pharmakonzern Merck auf der Basis von Langzeitkonten ein innovatives Vorruhestandsmodell entwickelt hat, skizzierte anschließend Kinga Ollmann, Senior Manager Rewards & Employment Policies bei Merck. Die sogenannte „Brücke zur Rente“ ermöglicht es, Stellenabbau oder -verlagerungen durch Maßnahmen zur Kosteneinsparung und Effizienzsteigerung gleichermaßen sozialverträglich und auf Freiwilligenbasis umzusetzen. Für das Pharmaunternehmen ist sie eine Alternative zur Abfindung und soll mittelfristig die Altersteilzeit ersetzen.
„Bei den Mitarbeitenden wird die Brücke zur Rente sowohl als Benefit, als auch als Bindung an den Arbeitgeber wahrgenommen“, so Ollmann. Obwohl für viele Betroffene eine Abfindung höher ausfallen würde, entschieden sich 90 bis 95 Prozent aller Mitarbeitenden für die „Brücke zur Rente“, weil sie mehr Flexibilität biete.
Vergütung in Familienunternehmen
„From good to great“ – das ist der zentrale Slogan der Wachstumsstrategie von Viega, einem Hersteller von Sanitär- und Heizungstechnik aus Attendorn. Wie der Spagat aus lokalen Familienwurzeln und globalem Maßstab gelingt, wie das Unternehmen die Themen Nachhaltigkeit und Kultur vergütungsseitig adressiert und welche Herausforderungen die Organisation aktuell beschäftigen, erläuterte Eike Heetderks, Senior Director HR Management Global Sales bei dem Familienunternehmen, gemeinsam mit Nils Prüfer, Managing Director & Partner, Kienbaum Consultants International – ebenso wie Viega übrigens auch ein Familienunternehmen.
„Viele Familienunternehmen stehen angesichts des Generationenwechsels vor einem Umbruch“, kommentierte Eike Heetderks die besonderen Herausforderungen, vor denen Arbeitgeber wie Viega aktuell stehen. Der Unterschied zu anderen Unternehmen? „Es herrscht ein Generationendenken vor, nicht der kurzfristige Blick auf Geschäftsquartale“, so Heetderks. Möglicherweise spielt deshalb auch das Thema Nachhaltigkeit in der Vergütungsstrategie von Familienunternehmen eine besondere Rolle, wie die beiden Referenten erklärten.
Neue Total-Rewards-Strategie für mehr Wettbewerbsfähigkeit
Bei der abschließenden Keynote gab es eine Premiere: Marc Deutsch, Head of Compensation Germany, und Elise Nault, Global Head Compensation & Benefits von der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG, präsentierten erstmalig die neue globale Total-Rewards-Strategie des Konzerns. So neu ist das Modell, dass es zum Zeitpunkt des Praxisforums Total Rewards noch nicht einmal in Gänze bei Geschäftsführung und Betriebsrat vorgestellt worden war.
Kernelemente der neuen Strategie: ein ganzheitlicher Vergütungsrahmen, der sich auf den gesamten Konzern abbilden lässt, gleichzeitig aber die lokalen Besonderheiten der Länder berücksichtigt, in denen Boehringer Ingelheim aktiv ist. „Wir müssen weltweit vergleichbare Bedingungen schaffen“, bekräftigte Marc Deutsch: „So global wie nötig, so lokal wie möglich.“
Mit der Strategie wollen das Unternehmen vor allem eines: auf dem Arbeitsmarkt für Bewerberinnen und Bewerber wettbewerbsfähig sein und auch für künftige Generationen ein attraktiver Arbeitgeber sein. „Unsere Total-Rewards-Strategie dockt unmittelbar an das Thema Arbeitgeberattraktivität an“, erklärte Elise Nault.
Info
Das Praxisforum Total Rewards ist eine Veranstaltung der Personalwirtschaft. Unterstützt wird sie von den Partnern Deloitte, Görg, Kienbaum, HR Improvement und whistle.law.
Das nächste Praxisforum Total Rewards findet im Mai 2025 statt.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.

