Fast drei Jahre Corona-Krise haben Menschen und Unternehmen aufgrund verhängter Kontaktbeschränkungen und anderer Maßnahmen bereits zugesetzt. Die zunehmende Inflation und die wegen des Ukraine-Kriegs verhängten Sanktionen der Ampelkoalition haben die Lage durch steigende Strom- und Heizungskosten, aber auch Probleme in den Lieferketten, noch einmal verschärft. Das zeigt eine Studie, die das Berufsnetzwerk LinkedIn beim Marktforschungsinstitut YouGov in Auftrag gegeben hat.
Befragt wurden vom 21. September bis zum 17. Oktober dieses Jahres 2.929 Führungskräfte in 17 Ländern, davon 250 in Deutschland. Doch wie gehen Unternehmen mit dieser Krise um? Für rund vier von zehn Unternehmen (39 Prozent) kommt es in den nächsten Monaten insbesondere darauf an, sich auf die noch bevorstehenden finanziellen Herausforderungen vorzubereiten. In der Praxis bedeutet das vor allem, Einsparungen auf Kosten der Belegschaft vorzunehmen – und das, obwohl fast drei Viertel der Führungskräfte (73 Prozent) befürchten, dass sie damit die Motivation ihrer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beeinträchtigen.
Deutsche Unternehmen reduzieren Benefits
40 Prozent der hiesigen Unternehmen wollen zwar weniger in ihre technische Ausstattung und IT investieren und 34 Prozent planen, ihr Marketingbudget zu kürzen, doch die Einsparungen betreffen vor allem die Beschäftigten: Bislang hat bereits knapp jeder zweite Arbeitgeber (48 Prozent) seine Mitarbeiter-Benefits reduziert und ein weiteres Viertel (26 Prozent) plant solche Kürzungen. Insgesamt sparen 74 Prozent der deutschen Arbeitgeber bei den monetären Zusatzleistungen für ihre Belegschaft oder planen dies. Damit liegt Deutschland über dem internationalen Durchschnitt von 66 Prozent und von den acht untersuchten europäischen Ländern sogar auf Platz zwei hinter Schweden, wo 80 Prozent die Mitarbeiter-Benefits reduziert haben oder dies planen.
Kürzung von Zuschüssen für Beschäftigte in mehreren Bereichen
Jedes dritte deutsche Unternehmen gibt an, dass die aktuellen Einsparungen die Kostenübernahme für die technische Ausstattung im Homeoffice (35 Prozent), zusätzliche freie Tage (35 Prozent) sowie Zuschüsse zu den Internetkosten bei Remote Work (34 Prozent) betreffen. Laut Studie überraschen diese Maßnahmen insofern, als sich die Führungskräfte durchaus der finanziellen Belastung ihrer Beschäftigten bewusst sind. Gefragt nach den ihrer Ansicht nach größten Sorgen ihrer Angestellten, nannten gut vier von zehn Befragten (44 Prozent) die finanzielle Belastung. An zweiter Stelle steht nach ihrer Einschätzung (36 Prozent) die Angst der Angestellten, wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage entlassen zu werden. Angesichts dessen könnten Einsparungen auf Kosten der Belegschaft ein fatales Signal senden und die Sorgen sogar noch verstärken, gibt die Studie zu bedenken.
Unternehmen plädieren wieder für mehr Präsenzarbeit
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass jedes vierte deutsche Unternehmen (24 Prozent) plant, seine Beschäftigten wieder verstärkt ins Firmenbüro zurückzuholen. Grundsätzlich würden es sogar fast sechs von zehn Befragten (58 Prozent) bevorzugen, wenn ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der wirtschaftlich unsicheren Situation weniger im Homeoffice und öfter vor Ort arbeiten würden. Auch bei diesem Aspekt nimmt Deutschland den zweiten Platz ein; lediglich in Irland ist der Anteil mit 65 Prozent noch höher. Obwohl verschiedene Umfragen zu dem Ergebnis kamen, dass Telearbeit die Produktivität nicht beeinträchtigt oder sogar erhöht, geht immer noch mehr als jeder vierte deutsche Befragte (28 Prozent) dieser Studie davon aus, dass Beschäftigte im Homeoffice weniger produktiv sind.
Sechs von zehn Arbeitgeber für demokratischen Führungsstil bereit
Barbara Wittmann, Country Manager und Senior Director Talent Solutions bei LinkedIn DACH, befürchtet, dass die Option, weniger oder gar nicht im Homeoffice arbeiten zu können, negativ auf die Zufriedenheit und Motivation der Beschäftigten auswirken könnte, denn diese hätten die damit verbundene Flexibilität in den letzten Jahren schätzen gelernt. Mehrere Mitarbeiterbefragungen haben jedoch auch gezeigt, dass vielen der Kontakt zu Kollegen und Kolleginnen fehlt, insofern käme etwas weniger Remote Work vielen Beschäftigten sogar recht und könnte gerade in schweren Zeiten den Zusammenhalt stärken. Um das herauszufinden, müssten Arbeitgeber allerdings mit ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sprechen. Laut der LinkedIn-Studie denken immerhin rund sechs von zehn Unternehmen (59 Prozent), dass ein demokratischer Führungsstil jetzt angemessen wäre, und jede zweite Führungskraft (52 Prozent) gibt an, die Belegschaft mit Verbesserungsvorschlägen einzubeziehen, um die Arbeitseffizienz zu erhöhen. Wichtiger als dieses Thema dürfte jedoch der Interessenskonflikt zwischen Unternehmen und Beschäftigten angesichts der Benefits-Kürzungen sein.
Ute Wolter ist freie Mitarbeiterin der Personalwirtschaft in Freiburg und verfasst regelmäßig News, Artikel und Interviews für die Webseite.