Betriebliche Altersversorgung (bAV) wird zwar politisch gewünscht, birgt aber insbesondere für KMU erhebliche Risiken, warnt Arbeitsrechtler Tobias Neufeld von der Kanzlei Arqis. Juristische Tücken haben insbesondere Uraltvereinbarungen.
COMP & BEN: Herr Neufeld, die Verwaltung der betrieblichen Altersversorgung ist hochkomplex. Wo sollte Ihrer Meinung nach die Verantwortlichkeit für die bAV-Angebote im Unternehmen liegen?
Tobias Neufeld: Das hängt, wie bei fast allen Themen in der bAV, von der Größe des Unternehmens ab. Man muss den Markt zweigeteilt betrachten. Auf der einen Seite stehen die großen Konzerne mit über 1000 Beschäftigten. Das sind häufig alte Industriebetriebe, tarifgebunden, mit eigenen Abteilungen für HR, Finance oder Compensation and Benefits. Diese Unternehmen verfügen über spezialisierte Fachbereiche, teilweise sogar eigene bAV- oder Investment-Abteilungen, die sich um die Pension Liabilities und Assets kümmern. Auf der anderen Seite steht der Rest: der Mittelstand und kleinere Unternehmen. Dort gibt es meist nur sehr einfache Strukturen, häufig ist die bAV-Verwaltung outgesourct.
Was ist daran problematisch?
Viele Pensionssysteme in kleinen und mittleren Unternehmen sind jahrzehntealt und wurden nie richtig modernisiert – teilweise existieren noch alte Versorgungsordnungen, die früher einmal mit der Schreibmaschine erstellt und im Betrieb ausgehängt wurden. In vielen Fällen betreut niemand das Thema professionell, und angesichts der rechtlichen Komplexität und des finanziellen Risikos reicht das heute einfach nicht mehr aus.
Was raten Sie diesen kleineren und mittleren oder auch neu gegründeten Unternehmen?
Gerade für jüngere Unternehmen ist die bAV oft ein zu komplexer Vergütungsbaustein, obwohl teilweise steuer- und sozialversicherungsrechtlich privilegiert. Das materialisiert sich aber zu wenig. Selbstverständlich muss der Arbeitgeber die gesetzlich vorgesehene Entgeltumwandlung nach dem Betriebsrentengesetz, § 1a BetrAVG, ermöglichen. Mein Rat ist daher: „Macht keine eigenen, komplizierten arbeitgeberfinanzierten Pensionszusagen, wenn ihr jung oder klein seid – nutzt lieber einfache, flexible Vergütung. Macht eine Cash-Kompensation für die Mitarbeitenden und erhöht damit deren private Sparquote.“ Das ist einfacher, transparenter und am Ende für alle Seiten stressfreier.
Das ist ein radikaler Rat, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Altersversorgung angesichts der großen Versorgungslücken gestärkt werden müsste.
Ja, theoretisch stimmt das. Zugespitzt profitieren aber von der bAV angesichts deren aktueller Komplexität und geringer Wirkmächtigkeit vor allem die involvierten Berater und bAV-Experten. Denn die Themen werden immer komplexer, sodass kaum ein Unternehmen ohne juristische oder steuerliche Beratung auskommt. Selbst größere Unternehmen geraten schnell an ihre Grenzen, wenn sie bestehende Versorgungssysteme modernisieren wollen. Häufig sind die Versorgungsordnungen teuer, schwer ausrechenbar, überkompliziert, widersprüchlich und damit rechtlich fehleranfällig. Sobald der erste Versorgungsfall eintritt, merkt man oft, dass vieles anders gemeint war, als es formuliert ist. Das führt zu erheblichen Risiken – gut für Anwälte, aber schlecht für Unternehmen.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Fallstricke für Unternehmen?
Überall. Schon die Definition des Versorgungsfalls kann Probleme machen. Viele Unternehmen schließen bestimmte Gruppen aus, ohne zu bedenken, dass das rechtlich nicht haltbar ist. Hinzu kommt die Berechnung der Leistungen, die kompliziert ist, und die Frage, wie man bestehende Systeme an geänderte Realitäten und die wirtschaftliche Lage des Unternehmens anpasst. Rein rechtlich hat man das versprochene Geld zu haben. Wirtschaftlich sieht es oft anders aus, und die anwachsenden Verbindlichkeiten belasten die Unternehmen.
Inwiefern müssen Systeme angepasst werden?
Die bAV ist eine langfristige Verpflichtung, und wenn ich als Unternehmen einmal ein Versorgungsniveau zugesagt habe, komme ich da kaum wieder heraus. Jede Veränderung – etwa in Restrukturierungen – ist rechtlich heikel und anfällig für Fehler, da wenig im Betriebsrentengesetz geregelt und die Rechtsprechung oft schwer vorhersehbar ist. Selbst 30 Jahre nach Reduzierung des Versorgungsniveaus können Mitarbeiter Ansprüche geltend machen. Dann steht das Unternehmen in der Beweispflicht – mitunter ohne Zeugen, weil alle Beteiligten längst im Ruhestand sind und eine ausreichende Dokumentation Löschkonzepten zum Opfer gefallen ist.
Wie teuer kann das für Unternehmen werden?
Sehr teuer. Schon der laufende Aufwand für Administration, Beratung und versicherungsmathematische Gutachten ist oft erheblich. Dazu kommen die rechtlichen Risiken. Wenn ein Unternehmen einmal das Versorgungsniveau senkt, kann es später zu Zusatzforderungen kommen. Das summiert sich bei größeren Versorgungswerken – gerade über Jahrzehnte – schnell auf mehrere Millionen Euro.
Das Risiko ist also groß und nicht vorhersehbar. Ist denn davon auszugehen, dass viele Beschäftigte gegen ihre Arbeitgeber klagen?
Ja, vor allem in großen Unternehmen mit aktiven Rentnergruppen. Dort gibt es oft eigene Betriebsrentnervereinigungen, die gut informiert sind und regelmäßig Anpassungen einfordern oder klagen. In kleineren Betrieben ist die Zahl geringer, teils, weil viele gar nicht wissen, welche Ansprüche sie haben, oder nicht leicht jemanden finden, der sie juristisch unterstützt. Dennoch schätze ich, dass etwa 80 Prozent der berechtigten Fälle letztlich zu Klagen führen.
Ein kürzlich gefälltes Urteil des Bundesarbeitsgerichtes (BAG), hat jedoch die Arbeitgeber gestärkt: Ein Arbeitnehmer hatte gegen die Commerzbank geklagt und höhere Rentenanpassungen nach § 16 BetrAVG gefordert. Das hat das BAG abgelehnt. Ist das nicht ein positives Signal für Unternehmen?
Ja, das jüngste Urteil zur Commerzbank bestätigt: Arbeitgeber müssen nur auf Basis der wirtschaftlichen Lage zum jeweiligen Anpassungsstichtag entscheiden; sie müssen nicht in die Glaskugel schauen. Das ist aber keine Garantie für die Zukunft, weil wir nie wissen, wie Gerichte urteilen werden. Ein ähnlicher Fall mag künftig abweichend entschieden werden. Mittelständer müssen sich zudem fragen, ob sie in jedem Streitfall bis vor das BAG ziehen wollen und nicht eine vergleichsweise Lösung im Einzelfall suchen – soweit das rechtlich funktioniert.
Was empfehlen Sie Unternehmen, damit sie nicht in Haftungsfallen geraten, vor allem, wenn sie noch alte oder viele Einzelverträge haben?
Alte Systeme zu modernisieren ist fast unmöglich, vor allem bei Einzelverträgen ohne Betriebsrat. Änderungen müssen alle Betroffenen mittragen – und wer unterschreibt schon freiwillig, wenn er danach weniger bekommt? Mit einem Betriebsrat kann man über eine Betriebsvereinbarung etwas mehr erreichen, aber das ist politisch und kommunikativ schwierig. Häufig bleibt nur der Weg, alte Systeme komplett zu schließen und neue, vereinfachte Modelle für neue Mitarbeiter einzuführen.
„Mit einem Betriebsrat kann man viel regeln, aber schön ist die Diskussion nie, wenn Leistungen reduziert werden.“
Und was wären das für Modelle?
Denkbar sind heute eine ganze Reihe moderner Vergütungssysteme außerhalb der bAV – vom Dienstfahrrad, Jobticket, Mobilitäts- oder Gesundheitsbudget über flexible Bonusmodelle und virtuelle Beteiligungsprogramme bis einfach hin zu einem höheren Fixgehalt. Sagt der Arbeitgeber: „Ich zahle dir mehr Cash, investiere du selbst in ETFs oder Fonds“, ist das für viele Beschäftigte langfristig keine schlechtere Lösung: Man verzichtet zwar auf Steuervorteile der bAV, gewinnt dafür aber Transparenz, Flexibilität und keine Abhängigkeit von einem schwerfälligen Versorgungssystem.
Was könnte denn der Gesetzgeber tun, um die betriebliche Altersversorgung zu stärken und deren Komplexität zu reduzieren?
Da gibt es viele Forderungen. Wir brauchen zum Beispiel echte Rechtssicherheit nach der Änderung von Versorgungssystemen, etwa durch klare Klagefristen nach solchen Restrukturierungen und Wirksamkeitsfiktionen danach. Zudem müsste die Garantiepflicht der Arbeitgeber in der bAV überdacht und reduziert werden.
Warum?
Nach geltendem Recht haftet der Arbeitgeber regelmäßig für die volle zugesagte Leistung, und die Vergangenheit hat gezeigt, dass Modelle mit reduziertem Garantieniveau in Deutschland auf vielleicht 60 oder 70 Prozent der aufgewendeten bAV-Beiträge kaum verhandelbar und somit politisch bislang kaum durchsetzbar sind. Die reine Beitragszusage im Sozialpartnermodell aus dem Betriebsentenstärkungsgesetz, BRSG, ist ein eng begrenzter Sonderfall ohne Breitenwirkung, selbst wenn das BRSG II diese Option öffnet.
Was braucht es noch?
Auch die Übertragbarkeit von Ansprüchen bei Arbeitgeberwechseln sollte erleichtert werden, um heutige Erwerbsbiografien besser abzubilden. Und schließlich wäre auch eine steuerlich flexible Dotierbarkeit sinnvoll, damit Unternehmen – je nach Lage – unterschiedlich hohe Beiträge leisten können.
In vielen anderen Ländern sind die bAV-Systeme bei Weitem nicht so komplex wie in Deutschland – und damit auch deutlich attraktiver. Was ist hierzulande so schwierig?
Das liegt am Grundkonzept. Egal ob Direktzusage, Pensionskasse oder Direktversicherung – der Arbeitgeber haftet in Deutschland immer für die zugesagte Leistung. Diese Garantiepflicht ist das größte Hemmnis. Solange man sie nicht lockert, wird sich an der Zurückhaltung der Arbeitgeber nichts ändern. Daran können auch positive Vorstöße nichts ändern wie die reine Beitragszusage im Sozialpartnermodell. Sie bringt zwar Vorteile, allerdings betrifft sie nur einen kleinen Teil der Unternehmen. Für den Mittelstand ist sie in der Breite irrelevant. Andere Länder, in denen der Arbeitgeber nicht für das Ergebnis des Investment- oder Sparprozesses haftet, haben deutlich höhere Anteile an reinen Beitragssystemen.
Info
Über die Kanzlei
Arqis (Eigenschreibweise: ARQIS) ist eine unabhängige Wirtschafts-kanzlei, die international tätig ist. Rund 80 Anwälte und Legal Specialists beraten in- und ausländische Unternehmen zu deutschem, europäischem und japanischem Wirtschaftsrecht. Die Sozietät unterhält Standorte in Düsseldorf, München und Tokio.
Was halten Sie von dem Trend zu Pension Buyouts?
Pension Buyouts sind eine der wenigen wirklich guten Nachrichten für den deutschen bAV-Markt. Bei ihnen überträgt ein Unternehmen seine Pensionsverpflichtungen auf einen spezialisierten Anbieter – eine sogenannte Rentnergesellschaft. Diese übernimmt die Zahlungen und die Risiken, gesichert durch ein Treuhandvermögen (CTA). Für Arbeitgeber ist das eine Entlastung, weil die Verpflichtungen aus der Bilanz, der Administration und dem Risikomanagement verschwinden. Für Arbeitnehmer kann es sogar sicherer werden, weil die Pensionen in der Rentnergesellschaft erstmals überhaupt finanziell abgesichert sind, denn zuvor gab es meist nur Rückstellungen ohne zugeordnetes und gebundenes Pensionskapital dahinter. Pension Buyouts reduzieren also die Haftungsrisiken und schaffen für beide Seiten mehr Sicherheit, zumal das BAG Mindestanforderungen an die Ausfinanzierung solcher Pension Buyouts definiert hat.
„Pension Buyouts sind eine der wenigen wirklich guten Nachrichten für den deutschen bAV-Markt.“
Was könnte außerdem helfen, den Dschungel der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland zu lichten?
Auch die zunehmende Digitalisierung hilft: Transparente Systeme, Self-Service-Portale und klare Kommunikation können die bAV für Beschäftigte nachvollziehbarer machen. Wenn ich als Mitarbeiter sehen kann, welche Anwartschaften ich habe und was das für meine Altersversorgung bedeutet, entsteht Vertrauen.
Was ist Ihr Fazit: Was sollten Arbeitgeber heute tun?
Mit den aktuellen bAV-Rahmenbedingungen haben wir eine Rakete gebaut, die dreimal zum Mond fliegen kann, obwohl wir nur von Bremen nach Hamburg müssen. Mit anderen Worten: Die bAV ist komplex, teuer und rechtlich riskant und daher nicht im Mittelstand verbreitet. Wer sie nutzt, sollte das sehr bewusst tun und sich gut beraten lassen. Trotzdem bleibt diese zweite Säule der Altersvorsorge volkswirtschaftlich wichtig. Wir bräuchten aber mehr Mut zu echten Reformen – weniger Bürokratie, mehr Flexibilität und klare Regeln, die Arbeitgebern wieder Lust auf bAV machen. Bis dahin gilt: Wer heute neu startet, sollte gut überlegen, ob er sich dieses System wirklich antun möchte.
Kirstin Gründel beschäftigt sich mit den Themen Compensation & Benefits, Vergütung und betriebliche Altersvorsorge. Zudem kümmert sie sich als Redakteurin um das Magazin "Comp & Ben". Sie ist redaktionelle Ansprechpartnerin für das Praxisforum Total Rewards.

