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Die Komplexität von Vorstandsvergütungsmodellen: Was sind die Treiber?

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In der ökonomischen und betriebswirtschaftlichen Theorie ist die Wirkung von monetären Anreizen eindeutig: Möchte man Individuen, in diesem Fall Vorstände, dazu bringen, im Interesse der Unternehmen zu handeln, um bestimmte Ergebnisse zu erzielen, dann sollte das Erreichen der Ziele entsprechend variabel entlohnt werden. Das bedeutet nichts anderes, als bei Erfolg eine vorher festgelegte Vergütung auszubezahlen und bei ausbleibendem Erfolg eben nicht. Gleichzeitig wird die Kritik immer lauter: Vorstandsvergütung sei zu komplex, undurchsichtig und unverständlich. Stimmt das? Wie komplex ist die Vorstandsvergütung wirklich? Und warum?

Um diese Fragen beantworten zu können, müssen zunächst adäquate Kriterien zur Messung von Komplexität in der Vorstandsvergütung konzipiert und validiert werden. Genau dieser Aufgabe hat sich ein Forschungsteam um Prof. Dr. Ingo Weller am Institut für Personalwirtschaft an der LMU München angenommen und die Ergebnisse kürzlich im Journal der Academy of Management Discoveries (siehe „Mehr zum Thema“) vorgestellt. Der Ansatz, an dem einer der Autoren dieses Textes mitgewirkt hat, beruht auf einer Zerlegung der Vorstandsvergütung in ihre Einzelteile, die durch Standardisierung gleich gewichtet und aufsummiert werden. Im Resultat zeigen sich fünf übergeordnete Kategorien, auf deren Basis untersucht werden kann, ob die Komplexität in der Vorstandsvergütung über die Zeit tatsächlich zugenommen hat und welche Entwicklungen dafür verantwortlich sind:

  1. die Anzahl der Leistungskennzahlen,
  2. die Verschiedenartigkeit der Leistungskennzahlen,
  3. die Abhängigkeiten der Leistungskennzahlen,
  4. der durchschnittliche festgeschriebene Zeitraum zur
    Zielerreichung sowie
  5. die unterschiedlichen Gewährungsarten (Aktien, bar
    oder Aktienoptionen).

Basierend auf dem oben beschriebenen Design hat das Forschungsteam der LMU München Daten aus den USA, wo die Offenlegung von Vorstandsvergütungssystemen und -höhen schon seit 2006 Pflicht ist, untersucht. Dabei konnte festgestellt werden, dass die Komplexität in der Vorstandsvergütung tatsächlich von 2006 bis 2017 (letztes Jahr des Datensatzes) stetig zugenommen hat (siehe Abbildung 1). Es zeigt sich, dass die Komplexität dabei stetig zunahm und im Beobachtungszeitraum um 75 Prozent angestiegen ist. Dieser Anstieg lässt sich auch in allen einzelnen Komponenten der Komplexität in der Vorstandsvergütung (Grafik 2) ablesen. Über die Zeit ist eine immer größere Anzahl an Leistungskennzahlen in die Vorstandsvergütungsverträge aufgenommen worden. Diese sind sehr heterogen, müssen über längere Zeiträume erreicht werden und beeinflussen abhängig voneinander die Auszahlung in immer stärkerem Maße.

Multidimensionale Einflussfaktoren als Treiber

Die Ursprünge der Komplexität in der Vorstandsvergütung lassen sich in einer Vielzahl von Einflussfaktoren verorten – von der Größe, der Vielschichtigkeit und anderen Charakteristika der Unternehmung selbst bis hin zu bestehenden Governance-Mechanismen. In der Tat zeigen Analysen, dass Eigenschaften beziehungsweise Merkmale des Unternehmens, des Vorstands, der Governance, der Aktionäre, der Branche sowie andere Besonderheiten alle einen Teil der Komplexität in der Vorstandsvergütung erklären können.

Im Speziellen zeigen die Untersuchungen, dass größere Organisationen komplexere Vorstandsvergütungen implementieren als kleinere. Gleichzeitig ist festzustellen, dass Unternehmen mit größeren Wachstumspotenzialen oder größeren Schwankungen in der Aktienrendite und solche, die kürzlich eine Fusion oder Übernahme durchlaufen haben, weniger komplexe Vorstandsvergütungssysteme spezifiziert haben. Es scheint also, als würden die vielschichtigen Variablen der Vorstandsvergütung zu einem gewissen Maß die Komplexität des jeweiligen Unternehmens widerspiegeln. Auffällig dabei ist jedoch, dass die Produktdiversifizierung und die geografische Reichweite keinen messbaren Einfluss zu haben scheinen.

Die Vorstandsvergütung spiegelt ein Stück weit auch die unternehmensspezifische Kultur wider und zieht dabei die individuelle Performance der Vorstandsmitglieder in Betracht, die durch das Vergütungssystem motiviert und an die Organisation gebunden werden sollen. Insofern überrascht es nicht, dass auch personenbezogene Merkmale die Komplexität in der Vorstandsvergütung beeinflussen.

Vorstände, die kurz vor dem Renteneintritt stehen, erhalten Vergütungsverträge mit geringerer Komplexität im Gegensatz zu neu berufenen Vorständen, deren Verträge deutlich mehr steuernde Regelungen enthalten. Dies lässt sich aus wissenschaftlicher Sicht dadurch erklären, dass bei Neuberufungen noch eine größere Ungewissheit über die Fähigkeiten des Vorstandes herrscht, die durch stärkere Kontrolle in Form von einer größeren Anzahl an Leistungskennzahlen abgebaut wird.

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Gewicht der Aktionäre

Der Wunsch nach einem besseren Verständnis für den Einsatz und die Leistung der Vorstände zeigt sich auch in folgenden Ergebnissen: Auf der einen Seite reagieren Aktionäre auf Hauptversammlungen bei wiederholt enttäuschenden Jahresabschlüssen häufig mit dem Wunsch nach mehr Aufsicht und Kontrolle. So legen die Analysen offen, dass Vorstände komplexere Vergütungsverträge erhalten, wenn die Unternehmensperformance in den Vorjahren wiederholt negativ verlaufen ist. Auf der anderen Seite lässt sich beobachten, dass Unternehmen mit großen Familienaktionären weniger komplexe Vorstandsvergütungssysteme aufweisen. In Betrieben mit stark verwurzelten Eigentümerfamilien besteht häufig eine auf Langfristigkeit angelegte, vergleichsweise enge Beziehung und somit ein gutes Verständnis füreinander zwischen Hauptaktionären und Vorständen. Die Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Notwendigkeit für komplexere Vergütungssysteme in diesen Unternehmen als geringer wahrgenommen wird.

Auch branchenspezifische Faktoren beeinflussen die Vergütungsverträge. Dies überrascht nicht, wird doch die Angemessenheit eines Vorstandsvergütungssystems in den USA (wie auch in Deutschland) im Vergleich zu einer Peer Group untersucht, die aus Firmen ähnlicher Größe, Struktur, Geografie und häufig auch der Branche bestehen. So entstehen durch den gegenseitigen Vergleich über die Zeit Vergütungssysteme, in denen sich branchenspezifische Merkmale wiederfinden. Zuletzt zeigen die Analysen, dass die Komplexität des Vorstandsvergütungssystems nach einem Wechsel der mandatierten Vergütungsberatung steigt. Auch dieses Ergebnis ist erwartbar, mandatieren doch häufig vor allem jene Unternehmen Vergütungsberatungen, die unter besonderer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit stehen, also im Schnitt selbst größer und komplexer sein dürften.

Ein Einwirkungsfaktor auf die Vorstandsvergütung konnte noch nicht untersucht werden: der Einfluss von Stimmrechtsberatungen, sogenannten Proxy Advisors. Im Speziellen die Empfehlungen von Stimmrechtsberater Institutional Shareholder Services (ISS) und des US-amerikanischen Proxy-Beratungsunternehmen Glass Lewis spielen in der Konzeption von Vorstandsvergütungen eine zunehmend einflussreichere Rolle. Sie werden dabei gestützt von einer Regulatorik, die Aktionären auf Hauptversammlungen ein immer stärkeres Mitspracherecht bei der Vorstandsvergütung ermöglicht.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Komplexität in der Vorstandsvergütung über die Zeit gestiegen ist und mithilfe des kürzlich vorgestellten und validierten Designs nun auch messbar geworden ist.

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