Ob Berufseinsteiger, Wechselwillige oder Beschäftigte vor interner Versetzung oder Beförderung – zum Thema Entgelt machen sich Kandidatinnen und Kandidaten vorher schlau. Online finden sie nicht nur Gehaltsdatenbanken mit mehr oder weniger realistischen Angaben, sondern auch Ratschläge für Gehaltsgespräche, die sich wie Spielanleitungen lesen: „Mit genialen Tricks den Gehaltswunsch durchsetzen“, „Stets das Eröffnungsgebot machen und hoch pokern“, „Spiegle Verhalten und Wortwahl Deines Chefs in der Gehaltsverhandlung wider. Signalisiere subtil, dass Du auf seiner Wellenlänge liegst, so erreichst Du leichter Zugeständnisse“, „Behalte die Trümpfe in der Hinterhand und bringe Dein stärkstes Argument erst gegen Ende des Gesprächs“. Wie Arbeitgeber auf diese und andere Taktiken reagieren können, erläutert Florenz Klasen, CEO und Recruiting-Experte der Personalberatung TechMinds.
Comp & Ben: Erschweren Tipps, Tricks, Belehrungen und Empfehlungen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Gehaltsverhandlungen im Internet lesen, Vorgesetzten das Gespräch?
Florenz Klasen: Wenn Personaler, Führungskräfte oder Vorgesetzte noch nicht viel Erfahrung haben, können die Argumente von Arbeitnehmern sie durchaus verunsichern. Manche Beschäftigte verhandeln auf Basis von online gelesenen Gehaltsspannen, die oft nicht mit ihrer tatsächlichen Funktion, Leistung oder Kompetenz übereinstimmen. Besonders bei Berufseinsteigern trifft man auf Bewerberinnen und Bewerber mit unrealistischen Gehaltsvorstellungen. Die Diskrepanz zwischen den im Internet gefundenen Informationen und der tatsächlichen Einstufung im Unternehmen ist groß. Für unerfahrene Vorgesetzte kann es daher eine Herausforderung sein zu erkennen, ob die Person eine fundierte Position vertritt oder einfach nur hoch pokert.
Sollten sich People Management und Vorgesetzte schlaumachen, welche Argumente im Internet für Gehaltsgespräche kursieren?
Wichtiger ist es jedoch, die Marktdaten für die jeweilige Position und Funktion zu kennen, um Rede und Antwort stehen zu können. Dabei empfiehlt es sich, auf verlässliche Benchmark-Daten zurückzugreifen und nicht auf Online-Gehaltsdatenbanken, bei denen unklar ist, welche Zahlen und Positionen diese miteinander vergleichen.
Wie können Arbeitgeber auf überhöhte Gehaltserwartungen reagieren?
Beim Berufseinstieg erlebt man häufiger überhöhte Gehaltsforderungen, mit denen sich die Personen selbst aus dem Rennen nehmen. Sicherlich begünstigt der Arbeitnehmermarkt das Pokern nach dem Motto: „Nur wenn das Gehalt die Marke X erreicht, erwäge ich einen Einstieg.“ Hier muss HR klare Grenzen ziehen. Auch manche Wechselwillige, speziell in Fachrichtungen, die auf dem Arbeitsmarkt begehrt sind, neigen zu Fantasiezahlen, die sie von einem neuen Arbeitgeber erwarten. Der Mangel an Fachkräften spielt die „Macht“ den Arbeitnehmern zu. Will ein Unternehmen eine bestimmte Person unbedingt gewinnen, sollten Total-Rewards-Verantwortliche zwar einen gewissen Puffer einbauen, der ein Abweichen nach oben ermöglicht. Aber wenn die Forderung die Gehaltsstruktur sprengt, müssen sie deutlich machen, dass eine unrealistische Forderung die Kandidatin oder den Kandidaten disqualifiziert.
Wie sollten sich Führungskräfte bei sehr großen Erwartungen an die jährliche Gehaltssteigerung im laufenden Arbeitsverhältnis eines Mitarbeiters verhalten?
Als Verhandlungspartner auf Unternehmensseite muss ich prüfen, ob die Leistung des Mitarbeitenden seine Erwartung rechtfertigt oder davon abgekoppelt ist. An dieser Stelle empfiehlt es sich, den Ball zurückzuspielen: „Welche Punkte sprechen aus Deiner Sicht für einen so hohen Gehaltssprung?“ Auf dem Markt sind zwei bis drei Prozent pro Jahr üblich, wie kommt der oder die Mitarbeitende auf zehn Prozent? Wichtig ist, keine Emotionen zuzulassen, sondern sich in den Beschäftigten hineinzuversetzen. Die Forderung sollte nicht als persönlicher Angriff verstanden, sondern aus einer empathischen Perspektive betrachtet werden, um herauszufinden, was dahintersteckt.
Welche Motive können dahinterstecken?
Hat der oder die Mitarbeitende nur eine Gehaltshöhe im Internet gelesen, die nun als realistisch angenommen wird? Befindet sich die Person privat in einer finanziellen Notlage? Oder hat sie ein anderes, lukrativeres Angebot vorliegen? Wenn man den aktuellen Hintergrund verstanden hat, eröffnen sich Möglichkeiten zu reagieren. Manchmal geht es Beschäftigten auch gar nicht um die Gehaltssteigerung, sondern um eine ausdrückliche Anerkennung ihrer Leistung in Form einer Einmalzahlung oder von Benefits. Oder aber der oder die Mitarbeitende will das Unternehmen sowieso verlassen. Die Motive sind nicht immer leicht zu erkennen, sollten aber erfragt werden.
Welche Soft Skills benötigen Führungskräfte, um in Gehaltsverhandlungen eine Einigung herbeizuführen?
Gehaltsgespräche gehören nicht zu den Lieblingssituationen von Vorgesetzten, da ein gewisser Druck vorhanden ist. Einerseits wollen sie den Beschäftigten halten und motivieren, andererseits müssen sie sich an Budgets und Gehaltsstrukturen orientieren und damit auch Grenzen aufzeigen. Emotionen sind in diesen Verhandlungen unangebracht. Das Gespräch sollte von Respekt, Wertschätzung und Empathie geprägt sein. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sollten Vorgesetzte den Wert der Mitarbeitenden anerkennen und auch bereit sein, dies finanziell zu zeigen. Gleichzeitig müssen sie aber auch klarmachen, dass ein Gehalt immer dem Prinzip „Geben und Nehmen“ folgt. Die wirtschaftliche Denkweise des Unternehmens zu kommunizieren und zu erläutern, ist durchaus angebracht. Organisationen – in der Regel Konzerne und Großunternehmen – mit transparenten und fairen Gehaltsstrukturen, die einen definierten Rahmen und Gradings vorgeben, sind in Gehaltsgesprächen klar im Vorteil.
Aber nicht alle Unternehmen haben klare Gehaltsstrukturen …
Das stimmt, und im Mittelstand sehen wir häufig, dass Arbeitgeber eine stark interne Sicht auf die Gehälter haben. Sie klammern sich an ihre Gehaltsstrukturen, die nicht selten deutlich unterhalb des Marktdurchschnitts liegen. Deshalb fällt es ihnen oft schwer, dringend benötigte Spezialisten mit deren Erwartungen an das Entgelt zu gewinnen. Letztlich müssen die Gehälter in eine Struktur passen, die fair ist. Ohne ein faires, transparentes Vergütungssystem entstehen Probleme in der Belegschaft. Wichtig ist für Unternehmen jeder Größenordnung, sich mit den Marktdaten auseinanderzusetzen, inklusive der Inflationsraten. Kleine und mittelständische Unternehmen können auch im Netzwerk, also im Austausch mit anderen Betrieben aus der Branche, an solche Daten gelangen. Je besser das Know-how, desto besser können sie argumentieren.
Wie gehen beide Seiten zufrieden auseinander?
Eine höhere Einstufung oder ein größerer Gehaltssprung ist nur dann vorstellbar, wenn sich dies in der Leistung widerspiegelt – gemessen an objektiven Kriterien, die für jeden im Unternehmen nachvollziehbar und transparent sind. Wichtig ist ebenso, dass Vorgesetzte eine klare Perspektive aufzeigen: Eine Gehaltssteigerung ist möglich, aber sie ist an bestimmte Ziele oder Ergebnisse geknüpft, die der Mitarbeitende oder das Unternehmen erreichen muss. Arbeitgeber können auch variable Vergütungsbestandteile oder Benefits anbieten, wie mehr Homeoffice-Tage oder andere Leistungen, die dem Beschäftigten zugutekommen, ohne das Grundgehalt zu erhöhen. Möglich ist auch eine Titeländerung oder eine Beförderung, die sich positiv auf das Gehalt auswirkt, wenn der- oder diejenige sich bewährt hat. Diese Alternativen zeigen Wertschätzung und senden das klare Signal: „Wir möchten dich halten.“ Auf diese Weise können beide Seiten zufrieden aus den Gehaltsverhandlungen hervorgehen, da gleichermaßen die individuellen Bedürfnisse und die Möglichkeiten des Unternehmens berücksichtigt werden.
Ein neuer Trend in den Online-Ratgebern lautet, es sei psychologisch von Vorteil, wenn Arbeitnehmer zunächst schriftlich ein höheres Gehalt verhandeln. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Aus meiner Sicht ist es Unsinn und dürfte nicht erfolgreich sein. Normalerweise erfolgen Quartals- oder Jahresgespräche, die zum Thema Gehalt auch gesondert anberaumt werden und auf die sich beide Seiten vorbereiten können. Ein persönliches Gespräch ist auch eine Frage der Wertschätzung, die sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegenseitig zeigen sollten.
Werden HR und Vorgesetzte darauf vorbereitet, Gehaltsverhandlungen zu führen?
Häufig werden erfahrene Persönlichkeiten geschult, die auch auf der anderen Seite bei der Gehaltsverhandlung gesessen haben. Sie erhalten Führungskräftetrainings, in denen Verhandlungsführung ein wichtiger Bestandteil ist. Im Mittelstand und in Start-ups ohne klare Vergütungsstrukturen sind viele Führungskräfte jedoch unvorbereitet und gehen oft in ein Learning by Doing hinein, wobei sie möglicherweise zu großzügige Gehaltssprünge zulassen. Das sind Fehler, die passieren können. In Konzernen und Großunternehmen können Vorgesetzte sich dagegen auf etablierte Vergütungsstrukturen, objektive Gehaltsstufen und Erfahrungsbänder stützen, die das Verhandeln deutlich erleichtern.
Herr Klasen, vielen Dank für das Gespräch!
Christiane Siemann ist freie Wirtschaftsjournalistin und insbesondere spezialisiert auf die Themen Comp & Ben, bAV, Arbeitsrecht, Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung/Karriere. Sie begleitet einige Round-Table-Gespräche der Personalwirtschaft.

